Forschung zwischen Lockout und Extraschicht Auch Forschungszentren spüren die Auswirkungen des neuen Corona-Virus. Die ohnehin hohen Sicherheitsstandards werden verschärft oder es wird im Schichtbetrieb gearbeitet. Besonderheiten gibt es in medizinischen Forschungseinrichtungen, wie dem Helmholtz-Zentrum Berlin.
In der riesigen Halle des Berliner Elektronenspeicherrings BESSY II herrscht für gewöhnlich reger Betrieb. Wissenschaftler aus aller Welt experimentieren an den zahlreichen Messplätzen und Instrumenten mit dem hochintensiven Röntgenlicht der Synchrotronquelle des Helmholtz-Zentrums Berlin (HZB). „Zudem kümmern sich rund 200 Mitarbeiter des HZB um die Betreuung der Anlage und der Forscher“, sagt Dr. Markus Ries, wissenschaftlicher Betriebsleiter.
+++ Wir versorgen Sie mit HR-Neuigkeiten! Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an✉️ +++
Ein medizinisch relevantes Forschungszentrum mit in der Krise hoch gefragten Experten – und doch hat SARS-CoV-2 dafür gesorgt, dass an diesem Ort seit dem 20. März die Arbeit ruht. Beinahe jedenfalls. Denn BESSY II wurde zuletzt unter anderem genutzt, um dem neuartigen Corona-Virus nachzuspüren. Deshalb genehmigte die Geschäftsleitung des HZB eine Ausnahme vom Minimalbetrieb: Messungen zur Entschlüsselung dieses Virus werden fortgesetzt.
Anfang April wurde das Großgerät für zwei Tage aus dem Stand-by-Modus wieder in den Betriebsmodus hochgefahren. „Ein Team der Universität Lübeck hatte uns 200 Proben des SARS-CoV-2 geschickt, die wir sofort untersucht haben. Unsere Beamlines (Strahlführungen für beschleunigte Teilchen, d. Red.) sind für die Strukturanalyse von Proteinkristallen wie diesen besonders geeignet“, sagt Dr. Manfred Weiss, Leiter des zuständigen Teams. Und Strukturanalysen wie diese sind besonders wichtig, weil sie Wissenschaftlern Erkenntnisse über mögliche Angriffspunkte für Wirkstoffe liefern.
Die Beschäftigung mit dem Virus ist das eine, die personalorganisatorische Reaktion auf die Pandemie etwas anderes. Grundsätzlich war das HZB auf Krisen wie diese vorbereitet. „Es ist in den Arbeitsplatzbeschreibungen genau geregelt, wer für welche Aufgaben zur Verfügung steht und auch im Schichtdienst eingesetzt werden kann“, erläutert Ries. „Den Schichtplan erstellt die Betriebsgruppe selbst und hinterlegt ihn bei der Personalabteilung, die damit jederzeit im Bilde ist.“
In der aktuellen Lage musste man natürlich auch improvisieren. Nur fünf Mitarbeiter waren für das Hochfahren der Anlage binnen eines Tages sowie deren kurzzeitigen Betrieb erforderlich: Ein Supervisor sowie drei Operator im Acht-Stunden-Schichtbetrieb, die die Anlage überwachten. Hinzu kam ein Mitarbeiter der rund 20 Spezialisten umfassenden Rufbereitschaft, die für verschiedene technische Aufgaben jederzeit angefordert werden kann. „Für die ungeplant erforderlichen Schichten haben sich kurzfristig zahlreiche Kollegen freiwillig gemeldet“, sagt Ries. „Jeder weiß, wie wichtig die Experimente sind.“
Aufgrund der Corona-Beschränkungen war den Lübecker Wissenschaftlern der Zugang zur Anlage verwehrt, weshalb Manfred Weiss und seine Kollegen die Vermessung der Proben unter Einhaltung der Abstandsregeln selbst vornahmen. „Normalerweise dauert es mehrere Wochen, bis Forscher nach eingehender Prüfung ihrer Anträge Messzeit an BESSY II erhalten“, erläutert Weiss. Man habe aber ein „Fast-Track-Verfahren“ für dringliche Forschungsprojekte entwickelt, das eine Prüfung „in wenigen Tagen“ möglich mache.
Man kann es wohl so zusammenfassen: Das HZB war sich schon lange vor SARS-CoV-2 der Tatsache bewusst, dass es Situationen gibt, die schnelle Reaktionen verlangen.
›› Fazit: Wer vor der Corona-Krise Notfallpläne in der Schublade hatte, konnte organisatorisch und personell besser auf die Ausnahmesituation reagieren
Sektor | Forschung |
Gründung | 2009 |
Mitarbeiterzahl | ca. 1100 |
Standorte | 2 |
Von: Christoph Neuschäffer
›› Lesen Sie auch die Titel-Case der Itzehoer Versicherungen.
›› Weitere Fallbeispiele sowie Interviews und Analysen zur Personalorganisation in Pandemie-Zeiten lesen Sie in Ausgabe 06/20 der Personalwirtschaft.