Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Schulterschluss für mehr Beweglichkeit

André Häusling eröffnet die sechste Agile HR Conference in den Balloni-Hallen Köln. Foto: Marc Thürbach
André Häusling eröffnet die sechste Agile HR Conference in den Balloni-Hallen Köln. Foto: Marc Thürbach

Es ist ein ungebührlich kalter Aprilmorgen, an dem sich 300 Personaler auf den Weg zur „Agile HR Conference“ in die Kölner Balloni-Hallen machen. Umso angenehmer ist das, was sie erwartet: eine reibungslose Akkreditierung, ein freundlich dargereichtes Getränk und eine ungemein heimelige Atmosphäre. „Veränderung braucht Sicherheit“, wird André Häusling, Geschäftsführer des Veranstalters HR Pioneers, später sagen, und genau dieses Gefühl vermag das Ambiente zu vermitteln.

Wie macht ihr das? Austausch unter Gleichgesinnten steht für alle im Vordergrund. Foto: Marc Thürbach
Wie macht ihr das? Austausch unter Gleichgesinnten steht für alle im Vordergrund. Foto: Marc Thürbach

Dennoch ist es erstaunlich, dass bereits in der ersten halben Stunde der eindrucksvollste Moment der Konferenz stattfindet. Häusling fordert die Anwesenden auf, sich einen weiteren Teilnehmer zu suchen und diesem die wichtigste Frage zu stellen, zu der sie Inspiration brauchen; dann umgekehrt. Nur Sekunden später ist die Halle ein Ort der ausnahmslosen Kommunikation: Grüppchen von zwei bis vier Personen steigen umgehend in die Diskussion ein, offensichtlich stark bewegt und voller Vertrauen, hier Antworten auf ihre Fragen zu finden. Es wird richtig laut, es wird richtig munter, die Hände stehen in den Erklärungen nicht still: Alle sind angekommen.

Fehlerkultur – ja, bitte!

Mutig: Carina Visser und Thu Pakasathanan von Sipgate stellen ihren Feedback-Fail vor. Foto: Marc Thürbach.
Mutig: Carina Visser und Thu Pakasathanan von Sipgate stellen ihren Feedback-Fail vor. Foto: Marc Thürbach.

„Wie machen es die anderen?“ lautet die meist gestellte Frage zur Konferenz. Hier sind alle auf der Suche nach „Puzzleteilen“, wie es eine Teilnehmerin beschreibt, die ihnen im agilen Berufsalltag weiterhelfen. Unternehmen unterschiedlicher Größe stellen ihre Projekte oder ihre agilen Organisationen vor. Favorit ist die Sipgate GmbH, deren HR-Verantwortliche Thu Pakasathanan und Carina Visser mittlerweile in der Szene für ihre Agilitätserfolge zur Benchmark geworden sind. Dieses Mal präsentieren sie den Prozess der „Feedback für alle“-Implementierung in ihrem Unternehmen – der gnadenlos gescheitert ist. Was mit den einzuarbeitenden Neuzugängen als Peer-Feedback funktioniert, ließ sich für die gestandenen Mitarbeiter nicht adaptieren. Der Zuspruch im Auditorium könnte bei einem Erfolg nicht größer sein. Dankbar nehmen die HR-Kollegen die Ehrlichkeit und die Denkanstöße auf. Kaum ein nachfolgender Vortrag, kaum ein Gespräch, in dem Sipgate nicht erwähnt wird.

Joern Bock, COO von AOE, lernte: Softwareentwickler sind nicht generell agil. Foto: Marc Thürbach.
Joern Bock, COO von AOE, lernte: Softwareentwickler sind nicht generell agil. Foto: Marc Thürbach.

Eine weitere Firma lässt am zweiten Konferenztag die Hosen runter: Die AOE GmbH aus Wiesbaden hatte bei der Übernahme einer anderen Softwarefirma gedacht, diese sehr schnell in ihre agile Organisation aufnehmen zu können. Dabei jedoch die Rechnung ohne den individuellen Menschen gemacht.

Auch Dinos können agil sein

Nichtsdestotrotz gibt es auch Best-Practice-Beispiele, die beeindrucken. So versetzen die Referenten der DM Drogeriemarkt GmbH, der Otto Gruppe und der DB Vertrieb GmbH dem Killersatz „Das geht vielleicht beim Startup, aber nicht bei einem Unternehmen unserer Größe“ endgültig den Dolchstoß. „Mach’s doch einfach!“ lautet nicht umsonst das Credo von Karsten Röth, Scrum Master bei DM. Er ist durch die bunten Klebezettel der hauseigenen IT auf Scrum aufmerksam geworden, hat sich weitergebildet und mittlerweile etliche agile Projekte in unterschiedlichen Unternehmensbereichen durchgeführt. „Es erzeugt Sog“, berichtet er.

Für die Otto Group legen Stefanie Hirte und Kristine Kiwitt dar, warum ihr Dino das Katalogversandhaus-Aussterben überlebt hat. Im Zuge des Kulturwandels 4.0 hat Otto Feedback auf Augenhöhe eingeführt und auch eine Lösung für Mitarbeiterbeurteilungsgespräche gefunden. Das neu aufgebaute Agile Center berichtet direkt an den Vorstand – per Du.

Dr. Matthias Glaub geht überzeugt voran: von der Führungsposition ins Team. Foto: Marc Thürbach
Dr. Matthias Glaub geht überzeugt voran: von der Führungsposition ins Team. Foto: Marc Thürbach

Bei der DB Vertrieb GmbH ist Matthias Glaub in Kürze seine Führungsposition los. Im Zuge der Transformation fragte sich die HR-Abteilung, wie sie sich agil aufstellen könnte und stimmte demokratisch ab, ob man in Zukunft agil oder wie gehabt agieren wolle. 77 Prozent waren für neue Wege und es folgte die Wahl einer Führungskraft. Glaub wird wie alle anderen Teil von fluiden Teams.

Wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist in den Augen der Referenten von Otto und DB Vertrieb eins: Vorstand und Betriebsrat müssen dabei sein. Darüber hinaus ist Austausch wichtig, etwa indem die eine Betriebsrätin zum Vortrag in das andere Unternehmen reist und berichtet. Überhaupt auffällig: Immer wieder wird hin und her verwiesen. Man kennt sich, man fragt sich, man berät sich, man vertraut sich. Und wer am ersten Tag gesprochen hat, ist am zweiten immer noch anwesend, um von anderen zu lernen und Gelerntes weiterzugeben.

Haltung einnehmen!

Haltung hatte André Häusling im Eröffnungsvortrag als Grundvoraussetzung gefordert. Agilität bedarf der Ausrichtung auf den Kunden. Der ist kein winziges Kästchen am untersten Ende des Organigramms, sondern steht am Kopf der Pyramide. Haltung zeige sich in Pioniergeist, Vertrauen, Selbstverantwortung, Kollaboration, Lernbereitschaft und einem klaren Fokus, so Häusling. Die Vortragenden der DB Vertrieb GmbH und der S-Bahn München, Matthias Glaub und Heiko Büttner, kleiden es in Zahlen: „20 Prozent sind Struktur, Prozesse und Methode; 80 Prozent sind Haltung.“

Dr. Phillip David Schallers Vortrag zu Führung in der Bundeswehr ist überzeugender als die aktuellen Schlagzeilen. Foto: Marc Thürbach
Dr. Phillip David Schallers Vortrag zu Führung in der Bundeswehr ist überzeugender als die aktuellen Schlagzeilen. Foto: Marc Thürbach

Dass diese essentiell wichtig ist, fand sich – Überraschung – auch im Vortrag von Philipp David Schaller von der Führungsakademie der Bundeswehr wieder. Im Special Track „Horizont erweitern“ angetreten, hinterließ der Hauptmann und Dozent für Wissens- und Veränderungsmanagement mit seiner Präsentation zunächst sprachlose Personaler. Keiner hatte erwartet, auf so viel Inspiration zu stoßen. Für manche der tatsächliche Höhepunkt der Veranstaltung – auch wenn der Vortrag heute im Licht der aktuellen Bundeswehr-Affäre einen schalen Beigeschmack bekommt. Diese zeigt jedoch sehr gut, dass Agilität vor allem heißt, sich nie auf die faule Haut zu legen. Es muss immer wieder nachjustiert werden.

Schulterschluss mit Gleichgesinnten

Natürlich lässt sich zur Veranstaltung Kritisches anmerken. So hat man ab und an das Gefühl, Agilität sei das neue Statussymbol der Szene. Dem ein oder anderen könnte entfallen sein, dass man bisweilen Probleme ohne bunte Klebezettel lösen oder sogar ganz ohne diese agil sein kann. Aber im Grunde wissen es alle und betonen es auch: Agilität ist keine Universallösung. Wichtig ist, genau hinzuschauen und für jeden individuellen Fall das zu finden, was funktioniert. Mit oder ohne buntes Blattwerk. Zudem scheint die Begeisterung einer dringend benötigten Resilienz geschuldet: Offensichtlich kämpft der engagierte, agile HRler noch jeden Tag gegen Windmühlen der Engstirnigkeit, des Machtmissbrauchs und der Ignoranz bei den Führungskräften. Sowie gegen die Mitarbeiter und Kollegen, die den Status quo feiern. Da tut der Schulterschluss mit Gleichgesinnten einfach mal gut.

Der Leidtragende der Unbeweglichkeit ist am Ende sowieso nicht der Personaler, sondern der Kunde – womit wir wieder beim Thema Haltung und der umgedrehten Pyramide wären. Wer kundenorientiert ist, kann nur agil sein. Alles andere funktioniert nicht. Dass die Ansätze bisher noch nicht reichen, erfährt der Referent von Unity Media am eigenen Leib, als er nach der Kundenzufriedenheit mit seinem Arbeitgeber fragt: In der sonst so beweglichen Szene erhebt sich nur eine äußerst dürftige Anzahl an Händen, auf sehr mühsame Art und Weise.

Die Quintessenz von zwei Tagen „Agile HR Conference“: Wie klappt agil?

Auf die Haltung kommt es an, sagt André Häusling. Foto: Marc Thürbach
Auf die Haltung kommt es an, sagt André Häusling. Foto: Marc Thürbach

1. Auf die Haltung kommt es an.
2. Vorstand und Betriebsrat müssen den Weg mitgehen.
3. Scheitern macht nichts.
4. Es gibt keine Standardlösung.
5. Lerne von anderen.
6. Keine Vorurteile.
7. Eine VUCA-Welt erfordert VUCA-Lösungen.
8. Scheitern frühzeitig anerkennen.
9. Einfach mal machen!

Autorin: Wiebke Joester

Weitere Bilder von der „Agile HR Conference“ am 26. und 27. April 2017 in Köln und die Präsentationen zu den Vorträgen finden Sie bei den › HR Pioneers.