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Round Table Ausbildung: Motivation statt Schulnoten

Da der Trend zur Akademisierung und der demografische Wandel weiter voranschreiten, sinkt die Zahl der Auszubildenden seit Jahren. Rund 63.000 Ausbildungsplätze konnten 2021 nicht besetzt werden. Das sind 3000 mehr als im Vorjahr, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) feststellt.

Was also tun? Um das Image der beruflichen Ausbildung zu verbessern, sind bildungspolitische Maßnahmen erforderlich, damit Deutschland nicht in einen noch größeren Fachkräftemangel abrutscht. Die Kammern und Berufsverbände haben dies erkannt und versuchen mit zahlreichen Initiativen – von Infobroschüren bis Ausbildungsmessen – das Ansehen der betrieblichen Ausbildung ins Positive zu drehen. Doch bis diese greifen, müssen die Betriebe ihre Besetzungsprobleme selbst in den Griff bekommen.

Wie Unternehmen und potenzielle Azubis zusammenfinden

Bei der Vielzahl der (Online-)Medien, Berufsbildungsmessen und Schulkooperationen wäre eigentlich zu erwarten, dass die Ansprache von Schulabgängern unproblematisch ist. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ob und wie diese Instrumente eingesetzt werden, ist vor allem von den zeitlichen und finanziellen Ressourcen des Personalmarketings oder der HR-Abteilung abhängig. Konzerne, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrads von vornherein einen Vorteil haben, spielen die komplette Klaviatur der Möglichkeiten.

Da aber viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) kein großes Budget für das Azubi-Recruiting haben, sollten sie sich lieber auf drei bis vier Maßnahmen beschränken und diese wirklich gut umsetzen. Gleichzeitig sprechen sich die Diskussionsteilenehmer für die Kooperation mit Schulen aus, da auf diesem Weg die Zielgruppe direkt angesprochen werden könne. Als wichtige ergänzende Maßnahme bewerten sie die Präsenz auf Social-Media-Kanälen, die Schülerinnen und Schüler in ihrer Freizeit nutzen: derzeit vor allem Instagram, Snapchat, Twitch, YouTube und TikTok. Unternehmen, die im Wettbewerb mit anderen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen müssten, könnten auf die sozialen Medien nicht verzichten.

Überzeugen mit Zusatzleistungen?

Um passende Bewerbende zur Unterschrift unter den Ausbildungsvertrag zu bewegen, wetteifern seit einigen Jahren manche Unternehmen um die attraktivsten Zugaben: Ob Auto, E-Bike oder ein Plus bei den Urlaubstagen – welche Goodies überzeugen junge Menschen?

Ob Zusatzleistungen als solche wahrgenommen werden, ist unter anderem vom Lebensraum der Azubis abhängig. In Großstädten ist ein Firmenwagen beispielsweise kaum relevant. Geschätzt werde dagegen, wenn Arbeitgeber an Standorten mit hohen Quadratmeterpreisen die jungen Menschen dabei unterstützt, eine Wohnung oder ein WG-Zimmer zu beziehen. Andere Präferenzen haben die Azubis in ländlichen Regionen: Wer nur mit einem Auto zur Berufsschule oder zur Arbeit kommen kann, der sieht das Unternehmen in der Pflicht, dieses zur Verfügung zu stellen. Als Anreize zählen außerdem Weiterbildungsangebote, gute Perspektiven nach der Ausbildung oder zusätzliche Freizeit, um sich auch außerhalb der Ausbildung verwirklichen zu können.

Unternehmen mit einem großen Namen, in einer attraktiven Region und idealerweise noch mit konkreten Karriereaussichten müssen nicht zu „Lockmitteln“ greifen. In dieser Liga gelten Arbeitgeber als attraktiv, wenn sie eine gute Ausbildungsvergütung und umfassende Sozialleistungen anbieten. Ein weiteres Kriterium, auf das angehende Fachkräfte Wert legen: Die technische Ausstattung, gerade im kaufmännischen Bereich, muss überzeugen. Ein Laptop als Arbeitsgerät gilt als Selbstverständlichkeit und auch Lernmaterialien über Apps und Plattformen kommen dem Nachwuchs sehr entgegen.

Zielgruppenfokus erweitern

Da Ausbildungsbetriebe selbst für den Fachkräftenachwuchs sorgen müssen, legen sie inzwischen weniger Wert auf Schulnoten, sondern eher auf persönliche Eigenschaften wie Lernwilligkeit und Motivation. Als weitere Zielgruppe haben sich auch unqualifizierte Anlernkräfte mit Berufspraxis bewährt, die eine Ausbildung nachholen möchten. Ähnliches gilt für Erwachsene auf der Suche nach einer Umschulung oder Zweitausbildung.

Auch die noch häufig angewandten Auswahlverfahren von gestern taugen nicht mehr für die Anforderungen der Zukunft. Welche Eigenschaften und Kompetenzen der Nachwuchs vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung mitbringen muss, sind noch nicht klar definiert. Sicher ist nur, dass Kandidatinnen und Kandidaten eine schnelle Auffassungsgabe mitbringen und sich flexibel auf neue Anforderungen einstellen müssen.

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Ausbildung

Eine Ausbildung ist eine Bildungsmaßnahme, die den Teilnehmenden für eine bestimmte Tätigkeit qualifizieren soll. Im Rahmen einer Ausbildung werden Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt oder weiterentwickelt. Der Begriff Ausbildung umschließt eine Berufsausbildung, ein Studium sowie die allgemeine Schulbildung.

Duales Studium: keine Lösung für den Fachkräftemangel

Das duale Studium ist zwar bei vielen jungen Menschen nach dem Schulabschluss sehr begehrt, aber fragt der Arbeitsmarkt die Absolventen auch in gleichem Maße nach? Nein, lautet das Urteil der Expertinnen und Experten, weil das Duale Studium das Problem des Fachkräftemangels nicht löst. So sehen es auch die Arbeitgeber: Nach dem Bedarf an Bewerbenden in fünf Jahren gefragt, prognostizieren sie in der Studie „Azubis Trends 2022“: Die begehrteste Gruppe bleibe weiterhin die der Auszubildenden (80 Prozent). Bei Dual Studierenden steigt der Wert von sechs auf 14 Prozent. Rund sechs Prozent fallen auf Hochschulabsolventen.

Azubi-Experience

Aus Sicht der Ausbildungsbetriebe liegt die kritische Phase direkt am Anfang des Recruiting-Prozesses: Die Schulabgänger fühlen sich hängengelassen, wenn sie nicht zeitnah auf ihre Bewerbungsaktion ein Feedback bekommen. Idealerweise sollten sie innerhalb von 48 Stunden eine Antwort erhalten. Manche Unternehmen setzen daher im Recruiting-Prozess Service Level Agreements (SLA) auf. Sie legen fest, wie schnell das Personalmarketing auf die einzelnen Touch Points reagieren muss.

Eine weitere wichtige Empfehlung: Betriebe sollten sehr früh eine enge Verbundenheit zu den Einsteigerinnen und Einsteigern herstellen. Ein persönlicher Ansprechpartner, Mentor oder Buddy stärke die Integration der jungen Menschen in den Betrieb.

Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.