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„Es muss dem Business dienen“

Personalwirtschaft: Wie kam es zur agilen HR-Organisation?
Signe Wüstefeld: Der Markt gibt uns ein Tempo, eine Anforderung vor. Auch die HR-Arbeit wandelt sich, sodass wir uns als HRler viel stärker auf diese Marktentwicklung und damit auf Themen wie Transformationsbegleitung und Organisationsentwicklung konzentrieren müssen. Es wäre in unserer alten Struktur schwierig gewesen, die Manpower auf die Themen zu kriegen, auf denen sie gerade gefordert ist.

Signe Wüstefeld ist HR Business Partnerin für den Bereich Regionalvertrieb bem DB Vertrieb. / Foto: Privat
Signe Wüstefeld ist HR Business Partnerin für den Bereich Regionalvertrieb bem DB Vertrieb. / Foto: Privat

Wann sind Sie gestartet?
Wüstefeld: Wir haben vor etwa zwei Jahren angefangen. Bevor wir die Organisationsstruktur endgültig angepasst haben, haben wir erst viele Fragen geklärt und ausprobiert: Wie arbeiten wir zusammen? Wie führen wir? Wie gestalten wir Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse? Das Ganze ist ja auch ein großer Transformationsprozess für uns, und gleichzeitig mussten wir sicherstellen, dass die Qualität unserer täglichen Personalarbeit darunter nicht leidet und die Schnittstellen zu den Fachbereichen sauber abgedeckt sind.

Wie haben Sie die Schnittstellenproblematik gelöst?
Wüstefeld: Uns war wichtig, dass der Fachbereich sich mit seinem Anliegen nicht durch die ganze Personalorganisation fragen muss, sondern klare Ansprechpartner hat: Für strategische Themen sind das die HR Business Partner, für operative die HR Partner.

Die Zusammenarbeit läuft also gut?
Wüstefeld: Hier und da erntet man ein Schmunzeln, wenn die alte Welt sich an der neuen Welt reibt. Aber auch die Fachbereiche haben viele Impulse aufgenommen und handeln, wenn sich die Gelegenheit bietet, schon anders. Und warum machen wir das? Am Ende doch, um einen Mehrwert für das Geschäft zu generieren. Mit dieser Haltung und der Kommunikation sind alle offener, weil sie nicht das Gefühl haben, die Personaler beschäftigen sich mit sich selbst und vermarkten sich, sondern über allem steht: Es muss dem Business dienen.

Sind Sie als HR jetzt auch strategisch besser aufgestellt?
Christoph von Ungern-Sternberg: Ja, denn in der Rolle der HR Business Partner sind viele Aufgaben der früheren Personalleiter abgebildet – die klassische Rolle als Führungskraft oder Leiter fällt aber weg. Dadurch wird Ressource frei und die Business Partner können sich darauf konzentrieren, deutlich frühzeitiger und intensiver als früher die strategische Ausrichtung der Fachbereiche mitzugestalten.

Führungskraft Christoph von Ungern-Sternberg berichtet aus dem HR Business Circle. / Foto: Privat
Führungskraft Christoph von Ungern-Sternberg berichtet aus dem HR Business Circle. / Foto: Privat

Wie konnten Sie Vorstand, Geschäftsführung und Betriebsrat für diesen Piloten gewinnen?
von Ungern-Sternberg: Bei Ulrich Weber, dem Personalvorstand der DB, und bei der Geschäftsführung des Vertriebs stießen wir auf Interesse und Entgegenkommen, denn aufgrund anderer Projekte im Konzern und insbesondere durch die Marktsituation gibt es eine grundsätzliche Offenheit für diese Themen. Und der Betriebsrat ist bei uns im Vertrieb ein Gremium, das sich selbst schon seit einiger Zeit intensiv mit den Marktveränderungen beschäftigt. Wir haben mit der Interessenvertretung vereinbart, regelmäßige Reviews zu unserem Piloten zu machen.

Wie ging Ihre Wahl zur Führungskraft vonstatten?
von Ungern-Sternberg: Dieses Modell und die Frage, ob wir uns auf dieses Experiment einlassen wollen, haben wir auf dem HR-Gesamttreffen, an dem alle 60 Mitarbeiter aus dem Personalbereich hier im Vertrieb teilnehmen können, zur Wahl gestellt. Danach haben wir die agile Führungskraft gewählt. Es gab zwei Kandidaten, einer davon war ich. Beide Kandidaten stellten sich vor und dann wurde in geheimer Wahl abgestimmt. Dieses Gefühl ist schon ungewöhnlich: Man steht vor den Kollegen und möchte für diese Aufgabe gewählt werden. Dadurch erhält man in seiner Rolle eine besondere Legitimation.

Fühlt man sich verantwortlicher?
von Ungern-Sternberg: Natürlich weiß man, dass man eine besondere Verantwortung trägt. Die eine agile Führungskraft muss jetzt bei uns etwa 60 Menschen kennen, ihre Kompetenzen fördern, die Menschen entwickeln, im Zweifel auch die disziplinarische Führungskraft für sie sein.

Was ist dabei wichtig?
von Ungern-Sternberg: Das ganze Modell muss einhergehen mit klaren Strukturen und Regeln für die Zusammenarbeit. Dabei bedienen wir uns aus dem Werkzeugkasten agiler Tools und Formate, wie Kanban-Boards oder Stand-up- Meetings. Außerdem haben wir einzelne Führungsaufgaben aufgeteilt, etwa auf Product Owner oder Agile Coaches.

Sie haben sich im Rahmen des Projekts mit anderen Unternehmen ausgetauscht, auch die Betriebsräte untereinander. Solch eine Offenheit ist nicht überall üblich.
Wüstefeld: Wir haben uns sehr bewusst geöffnet und geschaut, wie sich andere Unternehmen, die sich in einem ähnlichen Marktumfeld bewegen, aufgestellt haben. Zum Beispiel haben der Kontakt mit der Arbeitnehmervertretung von Otto und der Austausch der Betriebsräte untereinander eine stärkere Offenheit zu agiler HR erzeugt und uns damit nochmal ordentlich Rückenwind gegeben.

Was hat sich für Sie im Alltäglichen verändert?
Wüstefeld: Als ehemalige Führungskraft ist das schon eine ordentliche Veränderung. Früher das eigene Team, etablierte Strukturen, eben klassische Zusammenarbeit. Jetzt arbeiten wir viel vernetzter und in wechselnden Konstellationen.
von Ungern-Sternberg: Das interdisziplinäre, standortübergreifende Zusammenarbeiten hat zugenommen. Wir haben keine klassischen Leiterrunden mehr, sondern ein Prio-Board, in dem wir die Themen gegeneinander priorisieren. Da sitzen eben nicht nur ehemalige Führungskräfte, sondern alle Business Partner, gewählte Vertreter der HR-Partner und der HR-Experten, ein Agile Coach, die Geschäftsführerin Personal und die Agile Führungskraft.

Was heißt das für die Kommunikation?

Wüstefeld: Die Kommunikation geht direkt in die Breite, an alle. Es gibt aber auch noch Stand-ups für die verschiedenen Geschäftseinheiten, in denen sich diejenigen inhaltlich abstimmen, die an den Themen arbeiten. Ansonsten finden Telcos und Meetings statt, an denen alle teilnehmen können.
von Ungern-Sternberg: Die Transparenz über die Themen im HR-Bereich produziert ein sehr umfangreiches Informationsangebot für jeden Einzelnen. Darauf muss man sich erstmal einstellen. Es geht ja nicht nur darum, den Überblick über die Informationen zu haben, sondern auch darum, für sich zu filtern, in welche Themen man tiefer einsteigen muss.

Aber man kann sich auch viel mehr einbringen, oder?
Wüstefeld: Total. Das ist ja die Riesenchance, dass man für sich entscheidet, an welchen Themen man arbeiten möchte. So kann ich ganz eigenverantwortlich meine Kompetenzen ausbauen und mein Profil erweitern. In einer klassischen Teamstruktur entscheiden im Zweifel die Leiter, wer welches Thema bearbeitet, beziehungsweise kommen auch nicht alle Themen überall, in allen Subeinheiten an.

HR Business Circle: Neue Agilität statt alter Hierarchie: HR beim DB Vertrieb ist nun als Kreis organisiert. / Quelle: DB Vertrieb
HR Business Circle: Neue Agilität statt alter Hierarchie: HR beim DB Vertrieb ist nun als Kreis organisiert. / Quelle: DB Vertrieb

Wie kann jemand bei Ihnen in HR Karriere machen?
Wüstefeld: Grundsätzlich durch Kompetenzerweiterung und indem ich auf Themen gehe, die verschiedene Anforderungsniveaus fordern. Es gibt in unserer Agilen HR verschiedene Rollen, die man natürlich auch nur mit einem gewissen Profil wahrnehmen kann. Wenn wir Fluktuation in diesen Rollen haben, ergibt sich eine entsprechende Chance.

Aber für gestandene Führungskräfte kann die Umstellung schwierig sein, oder?
Wüstefeld: Prinzipiell ja, wobei viele von uns schon so lange Führungskräfte waren, dass sie Veränderung mal wieder spannend fanden. Wir haben aber auch Nachwuchsführungskräfte gehabt, die nun bewusst erstmal den Schritt in eine klassische Organisationsform machen und dort Führungserfahrung sammeln. Ich weiß nicht, ob ich das mit frischer Führungserfahrung so toll gefunden hätte, keine Mitarbeiterführung mehr zu haben.
von Ungern-Sternberg: Ich denke schon, dass unsere neue Organisation für die bisherigen Führungskräfte ein besonderer Change ist. Dass die meisten von ihnen den Weg der Personalorganisation mitgehen, davor habe ich wirklich Respekt. Schließlich hatten sie sich ihre Positionen ja hart erarbeitet. Auf diese Führungsrolle jetzt zu verzichten, ist eine echte Herausforderung – zieht aber auch durchaus Menschen an. Seit ein paar Wochen ist zum Beispiel ein neuer Kollege als Business Partner an Bord, der schon einige Erfahrungen als Führungskraft gemacht hat und ganz klassisch auch seine Führungskarriere hätte weiter verfolgen können. Der hat sich aber bewusst für unsere Organisationsform entschieden, weil er Lust auf die Art hatte, wie wir zusammenarbeiten.

Ich habe gehört, dass die verschiedenen agilen Projekte geradezu Wellen schlagen bei Ihnen im Konzern. Kriegen Sie das auch mit?
Wüstefeld: Es macht viel mehr Spaß so zu arbeiten und es ist ein massiver Ruck durch unsere ganze Organisation gegangen. Ich glaube, das strahlen wir aus und das macht viele neugierig.
von Ungern-Sternberg: Ja, es gibt ein großes Interesse weit über den Vertrieb hinaus. Wir stellen unsere Personalorganisation auf verschiedenen Veranstaltungen und in unterschiedlichen Gremien vor. Und viele wollen sich selbst ein Bild machen und kommen vorbei. Denn auch unsere konkrete Arbeitsumgebung in der Zentrale und an weiteren Standorten sieht anders aus. Wir haben dort schon seit einiger Zeit keine klassischen Einer-, Zweier- oder Dreierbüros mehr, sondern arbeiten in einem selbstgestalteten, funktionalen „Workspace“-Konzept, in dem es keine festen Büros mehr gibt.

Das ist aber sicher nicht jedermanns Sache.
Wüstefeld: Es muss frühzeitig thematisiert werden, dass Führungskräfte ihre Einzelbüros aufgeben. Diese Kultur „wer hat hier das größte Büro, der wird ja wohl das meiste zu sagen haben“ muss vorher aufgebrochen werden und eine Grundhaltung, dass Zusammenarbeit unabhängig von Status auf Augenhöhe stattfindet, vorhanden sein.

Was empfehlen Sie HR-Abteilungen, die sich agil aufstellen wollen?
von Ungern-Sternberg: Klärt zuerst die Motivation für die Veränderung. Agilität darf kein Selbstzweck sein, sondern muss einen Mehrwert fürs Geschäft bringen. Und: Stellt nicht als Erstes eure Organisation um. Fangt damit an, zu überlegen, wie ihr eure Zusammenarbeit gestalten wollt. Wir haben über die letzten Jahre Selbststeuerung und Selbstverantwortung in den Teams gefördert, Erfahrungen mit agilen Tools gesammelt – und trotzdem ist es ein großer Schritt.

Und was steht als Nächstes an?
von Ungern-Sternberg: Was jetzt ansteht, ist zu zeigen, dass dieses Organisationsmodell funktioniert, und es dabei iterativ weiterzuentwickeln. Gleichzeitig müssen wir das, was an Strukturen alte Führung ersetzt oder übernommen hat, in eine Selbstverständlichkeit bringen. Wenn wir da sind, haben wir eine ganze Ecke geschafft.

Das Interview führte Wiebke Joester.

Das Projekt im Überblick

Das Unternehmen
Die DB Vertrieb GmbH verantwortet den Vertrieb des Personenverkehrs der Deutschen Bahn und weiterer Verkehrsunternehmen im Öffentlichen Personennahverkehr sowie das Produktmanagement von Mobilitätsleistungen. Im Vertrieb und seinen Töchtern sind bundesweit rund 5800 Mitarbeiter beschäftigt, davon etwa 2500 in den Reisezentren.

Das Projekt
Die HR-Abteilung arbeitet agil in cross-funktionalen, fluiden Teams. Die Ziele des zweijährigen Pilotprojektes: flexibler Einsatz von Ressourcen und Kompetenzen, höherer Einfluss aufs Geschäft, mehr Geschwindigkeit, mehr Qualität und höhere Kundenzufriedenheit.

Die Umsetzung
Zum 1. Juni 2017 wurde die alte Organisationsstruktur gekippt. Die HR-Abteilung sprach sich zu 77 Prozent für die agile Arbeitsweise aus und organisiert sich nun selbst. Agile Führungskraft ist Dr. Christoph von Ungern-Sternberg, der vom Team für drei Jahre gewählt wurde.

Dieser Beitrag stammt aus der Personalwirtschaft 10/2017.

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