Der Traum vom papierlosen Büro
Die ungebremste Nachfrage nach der Digitalisierung von Personalakten bescherte den Dienstleistern im vergangenen Jahr gut gefüllte Auftragsbücher. Doch die Kunden werden anspruchsvoller. Die Teilnehmer des Round Tables diskutierten über ihre Erfahrungen in ihren digitalen Personalprojekten.
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Ungebrochen hoher Bedarf
„Wir sind mit der geschäftlichen Entwicklung des vergangenen Jahres sehr zufrieden“, kommentiert Thomas Triebsch, Leiter Vertriebsentwicklung der VRG-Tochter VRG IT, das abgelaufene Geschäftsjahr. „Das DPA-Thema führt schnell zu weiteren interessanten Themen. Wir haben beispielsweise im Rahmen der von uns für DPA-Projekte genutzten Dokumentenmanagement-Software enaio eine Vielzahl von Templates entwickelt, die am Markt gut angenommen wurden.“ Stefan Witwicki, Director Sales & Marketing beim HR Softwarehersteller VEDA, teilt die Erfahrungen seines Kollegen Triebsch: „Wir hatten 2017/2018 für VEDA ein Rekordjahr. 2019 war unsere Planung abermals sehr ambitioniert, doch das Ziel wurde übererfüllt.“
Auch für Frank Rüttger, Managing Director beim auf Enterprise Information Management spezialisierten Anbieter IQDoQ, ist klar, dass es noch genügend Unternehmen gibt, die mit Papierakten arbeiten. „Wenn man sich den Markt anschaut, wird es noch eine ganze Weile Projekte zur Einführung der digitalen Personalakte geben.“ Üblicherweise sind dabei auch Scandienstleister involviert. Diese haben, so auch das bereits 1976 gegründete Unternehmen ALPHA COM, einen guten Überblick über den aktuellen Bedarf der Unternehmen.
„Die digitale Personalakte ist in den vergangenen zehn Jahren einer unserer Dauerbrenner“, kommentiert Daniel Holub, Niederlassungsleiter von ALPHA COM in Frankfurt, die aktuell nach wie vor sehr gute Marktsituation für das Unternehmen. „Es ist erstaunlich, wie viele Unternehmen es nach wie vor auf dem Markt gibt, die noch am Anfang zur digitalen Welt stehen und daher teilweise wenige oder gar keine Prozesse digital abwickeln.“
Ein wenig anders sieht die Situation bei Danielle Software aus. Das Unternehmen wurde erst vor einigen Monaten gegründet. Für Günther Fernbach, Gründer und CEO, war es zunächst wichtig, das Thema Personalwirtschaft für sich grundsätzlich zu definieren und zu bestimmen, wo in diesem Kontext die Personalakte zu verorten sei, bevor man tiefer ins Geschäft einstieg.
Projekte um die Ecke
Nicht selten profitieren Digitalisierungsprojekte von anderen Projekten. Ursächlich liegt das, so die von einigen Teilnehmern geäußerte Begründung, an den großen Anstrengungen der Unternehmen, Fachkräfte zu akquirieren. Denn an dieser Stelle setzen sowohl Recruiting- als auch Bewerbermanagement-Lösungen an. Das bringt Kunden im Rahmen ihrer Digital-Strategie oft dazu, die Digitalisierung der noch vorhandenen Personalakten ebenfalls in Angriff zu nehmen. Thomas Triebsch stimmt zu: „Der eigentliche Treiber im abgelaufenen Geschäftsjahr war das Bewerbermanagement. E-Recruiting, und hier insbesondere digitales Bewerbermanagement und die digitale Personalakte, sollte man gerade in Zeiten des Fachkräftemangels zusammenbringen. Frühere Bewerbermanagementsysteme wurden vorwiegend genutzt, um eine Flut von Bewerbungen einfach administrativ besser abarbeiten zu können.“
Heute gebe es, so Triebsch, weitere Informations- und Kommunikationswege. Man habe sozusagen das Bewerbermanagement von der internen Nutzung nach Außen erweitert, weil die Anbindung an Bewerbungsplattformen wie Stepstone, Monster oder die Agentur für Arbeit viele Prozesse automatisiere. „Danach kommen dann die Workflows für Onboarding, Talent Management und andere Aufgaben hinzu“, ergänzt er.
„Tatsächlich kommen viele Kunden über den Bedarf einer HR-fokussierten Prozessautomatisierung, sowie auch aus dem Bewerbermanagement”, bestätigt auch Kay Ackermann, Head of Business Development und Geschäftsführer von HR lab, im Hinblick auf Treiber zur Digitalisierung der Personalakten. „Im Recruitment gibt es die meisten Innovationen, auch weil immer neue USPs am Markt platziert werden müssen. Doch wie geht es dann weiter? Ich denke, da hat man bereits die erste Verbindung zur Personalakte, die man digital lösen möchte.“ Wenn es im unteren Mittelstand um Bewerbermanagement-Systeme als Einstieg in die Digitalisierung auch der Personalakte geht, kontert Günther Fernbach: „Mittelständler liegen bei circa zehn Prozent Fluktuationsquote. Wenn Sie das auf die Anzahl von Bewerbungen umrechnen, lohnt sich doch der Einsatz eines solchen Systems zumindest im unteren Mittelstand überhaupt nicht.“
Für Frank Rüttger gibt es zwei weitere Entwicklungen, die neben den klassischen Effizienz-Themen der Digitalisierung zu starken Treibern in HR-Abteilungen geworden sind. „Es gibt vielversprechende Technologien, die man sehr gut im HR-Bereich nutzen kann“, sagt Rüttger. „Da ist beispielsweise die zurzeit sehr intensive Diskussion um KI und um den Einsatz von Chatbots. Deren Grundvoraussetzung ist, dass Daten sauber digitalisiert vorliegen. Die andere Entwicklung: auch Personaler suchen nach Mitarbeitern, die sich mit Technologien auskennen. Personalabteilungen müssen deshalb für neue Mitarbeiter attraktiver werden.“ Im Hinblick auf die Daten meint auch Stefan Witwicki: „Von Kunden erhalten wir immer wieder die Rückmeldung, sie bräuchten mehr Informationsqualität. Und man braucht die Information schneller. Am liebsten in Echtzeit und jederzeit verfügbar.“
Kunden durch digitale Personalprojekte führen
Wenn es um die eigentliche Umsetzung von Projekten gehe, so Daniel Holub, schauten sich einige Unternehmen zunächst einige Anbieter an, bevor sie sich entscheiden. Andere würden einfach jemanden aus der Personalabteilung zu einem der Workshops schicken, „weil man das eventuell in ein paar Jahren umsetzen wolle“. „Einige Kunden stehen ganz am Anfang, andere haben schon konkrete Pläne“, beschreibt Holub die Digitalisierungs-Überlegungen seiner Kunden.
Etwas anders sieht es bei den Systemanbietern aus: weil die Anforderungen der Kunden stetig steigen, müssen diese während der meist drei bis sechs Monate dauernden Projekte umso mehr an die Hand genommen, begleitet und intensiv beraten werden. „Bei uns geht es nicht ohne Beratung – und das ist auch gut so“, beschreibt Stefan Witwicki die unterschiedlichen Anforderungen von VEDAs breitem Kundenspektrum. „In unserem Segment ist jedes Unternehmen ein Unikat. Und das wissen wir zu schätzen und stellen uns darauf ein.“ Auch Frank Rüttger ist überzeugt, dass Kunden in die digitalisierte Welt begleitet werden müssen: „Unsere Erfahrung ist, dass der Kunde ein Stück weit geführt werden sollte. Das beginnt unter anderem vor dem Projektstart damit, dass wir prüfen, ob die wichtigen Stakeholder Betriebsrat, Datenschutz und IT wirklich involviert werden.“ In diesem Zusammenhang weist er auch auf Auftragsverarbeitungs-Verträge (AVV) nach DSGVO hin, wenn beispielsweise im Rahmen eines Projekts ein Partner die Akten digitalisiert oder wenn die Lösung in der Cloud betrieben wird: „Dann muss eine solche Vereinbarung auch mit diesen Partnern abgeschlossen werden.“
Im Rahmen dieser Projekte hält Thomas Triebsch es für wichtig, dass der Kunde versteht, digital zu denken und zu handeln und ein digitales Prozessdenken zu verinnerlichen, das er dann in Projekten umsetzt. „Auch die Akzeptanz in den beteiligten Abteilungen ist wichtig. Sie müssen merken, dass die Digitalisierung sie in ihrer täglichen Arbeit unterstützt.“
Nach Ansicht von Kay Ackermann sei vielen Kunden gar nicht klar, was die Einführung eines digitalen Prozesses mit sich bringe und wie viele Argumente dafür und dagegen sprächen. „Dann wissen die auch nicht, welcher Aufwand damit verbunden ist, was es kostet und natürlich auch nicht, welche Effizienzgewinne die Digitalisierung mit sich bringt“, so Ackermann. „In den von uns geführten Workshops, die wir in der Implementierungsphase bei den Kunden durchführen, merken Kunden in der Reflektion erst, welche technischen Möglichkeiten die Digitalisierung schafft. Dann steigt in der Regel auch der Wunsch, weitere Prozesse zu digitalisieren.“
Einen anderen Ansatz verfolge man bei Danielle Software. „Ich vertrete die Position, jeden Monat etwas Neues zu bringen“, beschreibt Günther Fernbach seine Vorgehensweise bei Projekten. „Es geht nicht darum, Mammutprojekte durchzuführen, nur weil die Software so umfassend ist. Ich halte es für besser, regelmäßig Neuerungen rauszubringen und dann dem Kunden Vorschläge darüber zu machen, wie er etwas damit umsetzen kann. Wir bieten für gewöhnlich eine zweistündige Websession an, um die Software kennenzulernen und gehen dann Schritt für Schritt weiter. Bis jetzt funktioniert das bestens“, so Fernbach. „Bei komplizierteren Fällen schlagen wir einen entsprechenden Vorgehensplan vor.“
Hier und da ein Stolperstein
Jahrelange Projekterfahrung stärkt die Umsetzung jedes neuen Projektes. Dennoch: immer häufiger treffen seitens der Kunden zum Teil gegensätzliche Ausgangssituationen und Standpunkte aufeinander. Ursache: in den HR-Abteilungen kommt es zu einem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen und Erwartungshaltungen, verursacht durch teilweise stark auseinanderklaffende Altersstrukturen. Thomas Triebsch kennt die Situation wenn in Projekten, in denen vor allem oftmals jüngere Menschen aus dem Recruiting, wo Apps zum Standard gehören, auf Payroll-Mitarbeiter treffen, die vielleicht noch analog geprägt sind: „Aufgrund der unterschiedlichen Anforderungen können solche Projekte sehr ambitioniert werden. So ein Projekt verläuft dann aber gut, wenn die Kunden mithelfen, über diese Anforderungen nachzudenken und gemeinsam auf einen Nenner zu kommen. Solche Fragen klären wir in der Regel vorab in Workshops mit dem Kunden gemeinsam.“
Auch bei VEDA gibt es ähnliche Erfahrungen mit der teilweise sehr unterschiedlichen Altersstruktur in Personalabteilungen. „Es gibt immer größere Anforderungen seitens der Kunden“, erzählt Stefan Witwicki. So betreuten er und sein Team ein stark wachsendes Startup, das alle Prozesse in jedem Bereich durchgängig digitalisiert haben wollte. Laut Witwicki war der Anforderungskatalog so groß, dass selbst die größten Softwareanbieter nicht alles hätten umsetzen können. „Die jüngeren Mitarbeiter hatten spezielle Anforderungen, die Älteren wieder andere. Dabei schlichen sich inhaltliche und konzeptionelle Denkfehler ein.“
Witwicki weiter: „Hätten wir das Projekt einfach laufen lassen, wären sie in dessen Verlauf auf das Problem aufmerksam gemacht worden. Anstatt es laufen und später eskalieren zu lassen, entschieden wir uns aber dafür, dies gemeinsam mit dem Kunden zu diskutieren und dabei alles offenzulegen. Das löste den Widerspruch auf und das Problem war gelöst. Schließlich wollten alle, dass das Projekt eine Erfolgsgeschichte wird.“
Sein Kollege Frank Rüttger nennt noch weitere Gründe für mögliche Projektverzögerungen: „Wenn Unternehmen mit verschiedenen Standorten, beispielsweise eine Holding mit fünf Teilgesellschaften, Bestandsakten digitalisieren, müssen sich zunächst die fünf Personalabteilungen, die alle über eine über Jahre gewachsene Aktenstruktur verfügen, über die gemeinsame neue Struktur der digitalen Akte einigen.“ Auf ein Hindernis ganz anderer Art macht Kay Ackermann aufmerksam. „Wir stellen immer wieder fest, dass unsere Ansprechpartner vor allem in mittelständischen Unternehmen nur eine begrenzte Entscheidungsbefugnis haben“, kritisiert er die seiner Ansicht nach ohnehin eher beklagenswerte Position der Personaler im Unternehmen. „Weil sie von Seiten der Geschäftsführung bisher immer diejenigen waren, deren Bedeutung auf administrative Aufgaben reduziert wurde. Sie waren nie in der Position, ein Teil des Geschäftsführungsprozesses zu sein.“ Aber es habe bisher das Verständnis der Geschäftsführung gefehlt und HR habe auch selbst nie etwas getan, um aus dieser eher restriktiven Ecke rauszukommen.“
Bei allen Projekten – nicht nur bei der Digitalisierung der Personalakte – existieren einige feste Eckpunkte, die bewusst niemand umgehen sollte: die wichtigsten Stakeholder müssen rechtzeitig ins Boot genommen werden. Namentlich sind das neben den involvierten Fachabteilungen vor allem der Betriebsrat und der. Sonst kann das Projekt scheitern, bevor es richtig begonnen hat. Zumindest aber kommt es nicht selten zu Projektverzögerungen.
Störfaktoren gegen Innovationen
Für Innovationen könnten gesetzliche Vorgaben hinderlich zu sein. Zumal wenn man auf andere Länder blickt, in denen es im Arbeitsumfeld weniger restriktive Regularien als in Europa gibt. Beispielsweise, wenn man sich das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement ansieht und die Chancen, die präventiv durch die Auswertung ganz persönlicher Daten des Mitarbeiters (etwa durch Tragen einer Smartwatch) ergriffen werden könnten. „Das ist ein schönes Beispiel“, kommentiert Frank Rüttger die Idee des Einsatzes von Smartwatches für präventive Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. „Nur, wenn es um den Datenschutz geht, verhält sich das in der Consumerwelt völlig anders als in Unternehmen. Versuchen Sie dieses Prinzip in einem Unternehmen einzuführen, ernten Sie rasch böse Blicke und Unverständnis.“
Woher kommt dieses Unverständnis? Kay Ackermann glaubt: „Das kommt meistens vom Betriebsrat, der sagt, er müsse die Mitarbeiter schützen. Doch wovor schützt er denn wirklich die Mitarbeiter? Verstehen Sie mich richtig: ich will keine Berechtigungsfrage zur Arbeit des Betriebsrates stellen.“ Jeder müsse für sich entscheiden, ob er das für zeitgemäß halte oder nicht, so Ackermann weiter. „Aber wir denken so viel an Innovation. Wir könnten so viele Mehrwerte für den Mitarbeiter und/oder den Team Manager schaffen. Doch in Deutschland ist das unheimlich schwierig umzusetzen.“ Er verweist auf die USA oder nach Indien, das ein exzellenter Markt für HCM-Lösungen sei und wie viel Innovation dort stattfinde und auf die enormen Möglichkeiten gerade im Bereich der prädiktiven Analytik, die aus den Daten, die sowieso im Unternehmen zur Verfügung stünden, rauszuholen wären.
Geht es nach Günther Fernbach, kollidiert das technisch Mögliche nicht mit rechtlichen Beschränkungen. „Es fallen so viele Daten über die Produktion im Unternehmen an. Diese Daten, unabhängig von der Personen-Identifikation, sind sehr hilfreich für Prozessverbesserungen. Dafür braucht man da meines Erachtens auch keine Datenschutz-rechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen.“
Das papierlose Büro?
Wenn es um die Gerichtsverwertbarkeit digitalisierter Personalakten geht, gibt es nach wie vor bestimmte Situationen, in denen, wenn man das Papier vorlegen kann, das Papier das entscheidende Dokument sein könnte. Deswegen sollte man sich mit internen oder externen Experten in Verbindung setzen um zu prüfen, was weiterhin in Papierform aufgehoben werden soll. Die Realität zeige, so Daniel Holub, dass trotz Digitalisierung der Personalakte nach wie vor immer noch das eine oder andere Dokument in Papierform aufbewahrt werde. Viele seiner Kunden hätten zum Beispiel den Arbeitsvertrag nicht nur digital vorliegen, sondern auch noch physisch als Papier.
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Dieser Beitrag ist Teil des Specials "Digitale Personalakte". Weitere interessante Beiträge rund um das Thema finden Sie › hier.