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Physische Distanz überbrücken

Physische Distanz überwinden
Foto: © freshidea / stock.adobe.com

Die Wirtschaft läuft wieder an und Unternehmen stehen vor der Herausforderung, die Ausbreitung der Infektion am Arbeitsplatz zu verhindern. Damit die Belegschaft gesund bleibt, müssen sie nicht nur den betrieblichen Pandemieplan und den SARS-Covid-2-Arbeitsschutzstandard umsetzen, sondern auch die körperliche und psychische Gesundheit der Mitarbeiter im Blick behalten.

Der üblicherweise an erster Stelle stehende Präventionsgedanke von BGM rückt in Zeiten von Corona zwar ganz weit nach hinten – aktuell ist Krisenmanagement angesagt –, aber sollte nicht gänzlich beiseitegeschoben werden.

Wenn Face-to-Face wegfällt

Die Pandemie traf die Mehrheit der Unternehmen ebenso unvorbereitet wie die BGM-Dienstleister, die von einem auf den anderen Tag ihre Vorort-Maßnahmen, Umfragen und Analysen einstellen mussten. Was also tun, um Mitarbeiter nicht im Stich zu lassen und Betriebe zu unterstützen? Die Krankenkassen, in Normalzeiten Partner von BGM-Maßnahmen, sind zum einen mit praktischen Aufgaben beschäftigt. Sie stunden die Beiträge und informieren über alle sozialversicherungsrechtlichen Fragen. Zum anderen versorgen sie Versicherte und Firmenkunden mit allen notwendigen Informationen zur Ansteckungsvorbeugung – per Telefon, Webinaren, Apps und Videos.

Auch die Experten für betriebliche Gesundheit haben sich schnell auf die aktuelle Situation eingestellt. Trainings, Workshops oder Beratungen erfolgen ausschließlich über telefonische oder virtuelle Kanäle. Neu ist der Schritt für die Anbieter nicht. Schon bisher arbeiten viele von ihnen mit Videos zur Vertiefung des Gelernten. Aktuell ist jedoch Kreativität gefragt, um den Zustand der physischen Distanz zu überbrücken. Eine Methode ist zum Bespiel das interaktive „Live“-Training mit qualifizierten Trainern. Es verbessert die Erlebbarkeit und reduziert die Distanz.

Eine andere Praktik, auf die Arbeitgeber in der Krise verstärkt setzen, hat sich schon vor Corona bewährt: Employer Assistance Programs (EAP). Da sich die Nöte der Beschäftigten, wie beispielsweise soziale Isolation im Homeoffice, finanzielle Sorgen, Probleme bei der Kinderbetreuung oder Angst vor Ansteckung momentan summieren, melden sich viel mehr Beschäftigte als sonst bei der telefonischen Hotline. Diejenigen Betriebe, die bereits mit einem EAP-Service arbeiten, sind aktuell gut aufgestellt.

Führen auf Distanz

Auch wenn Face-to-Face-Seminare zum gesundheitsförderlichen Führen derzeit nicht stattfinden können, so hat das Thema eine neue Brisanz bekommen. Wie funktioniert Führung, wenn alle Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten? Jetzt zeigt sich, ob und welche Führungskräfte die Kompetenzen und genügend Vertrauen aufgebaut haben, um die Leistungsfähigkeit am Remote-Arbeitsplatz zu erhalten. Die Beschäftigten arbeiten zwar digitaler, aber das ist nicht überall vertraute Praxis: Teamwork-Prozesse müssen anders gestaltet und auch der Zusammenhalt auf Distanz aufrechterhalten werden. An dieser Stelle unterstützen BGM-Dienstleister mit zugeschnittenen Online-Workshops, damit Vorgesetzte und Bereichsleiter besser auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren können.

Gute Rahmenbedingungen im Betrieb

Erkennbar ist, so die Erfahrung der BGM-Spezialisten, dass Unternehmen, die bereits eine gesundheitsförderliche Kultur leben, in Krisenzeiten davon profitieren. Sie haben Vertrauen in das Engagement ihrer Mitarbeiter- auch im Homeoffice. Diese Betriebe nehmen ihre Fürsorgepflicht ernst, da sie in der Ausnahmesituation dafür sorgen, dass die persönlichen Ängste und Nöte der Beschäftigten aufgefangen werden. Dies alles trägt letztlich zur Motivation und Gesunderhaltung bei.
Die Weiterentwicklung von BGM ist auch für den Übergang vom Lockdown zur Normalität notwendig, mahnen einige Berater. Doch ein Großteil der Kunden agiert im Krisenmodus und hat derzeit keine Ressourcen, an den präventiven Wert von BGM zu denken, was sich durchaus in einigen Monaten rächen könnte.

Der Stellenwert von Arbeitsmedizin

Ohne Arbeitsmediziner sollte kein BGM-Prozess aufgesetzt werden. In der Vor-Corona-Zeit war diese Erkenntnis nicht immer vorhanden, da auf beiden Seiten Berührungsängste bestehen. Zwar funktioniert in manchen Unternehmen die Zusammenarbeit zwischen Betriebsmediziner und BGM-Steuerungskreis vorbildlich, in anderen dagegen arbeiten sie aneinander vorbei. Aktuell ist erkennbar, dass diejenigen Organisationen, in denen der Betriebsarzt in Gesundheitskonzepte und Planungen integriert ist, besser mit der Krise umgehen können. Hier sind alle Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeitenden eng verzahnt und greifen sinnvoll ineinander. Doch das ist leider nicht die Regel. Für die Post-Corona-Zeit wünschen sich die Gesundheitsberater ein gemeinsames kuratives und präventives Vorgehen.

Wo steht BGM in einem Jahr?

Solange es keinen sicheren Impfstoff gibt, wird das Corona-Virus Wirtschaft, Gesellschaft und das Gesundheitssystem in Atem halten. Ob die Krise BGM stärken wird? Momentan fahren die meisten Unternehmen auf Sicht. Doch betriebliche Gesundheit ist keine Frage von ein oder zwei Wochen, sondern immer auf die Zukunft ausgerichtet. Daher stehen die Chancen für BGM gut – auch weil Gesundheit eine neue Wertschätzung erfahren wird.

Die Fachleute sind sich einig: Die Krise wird Spuren hinterlassen, Ängste und Verunsicherungen der  Arbeitnehmer könnten zunehmen. Arbeitgeber werden reagieren müssen, um die physische und psychische Gesundheit in der Arbeitswelt wiederherzustellen oder zu erhalten. Überdies erfordert auch die wachsende Digitalisierung der Arbeitsprozesse neue Konzepte. Viel mehr als bisher stelle sich auch die Frage, wie sich die virtuelle Arbeitswelt auf die Mitarbeitenden auswirkt. Das Fazit der Gesundheitsberater lautet: BGM ist ein erfolgskritisches Instrument der Unternehmens- und HR-Strategie – nach Corona erst recht.


Die Langfassung dieses Round Tables ist im
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6/2020 erschienen. Das Special können Sie auf › dieser Seite kostenlos
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Bilderstrecke: Round Table Betriebliches Gesundheitsmanagement 2020

Wie funktioniert BGM in der Corona-Krise? Beim virtuellen Round Table mit Experten wird deutlich: In und nach der Pandemie kommen neue Gesundheitsaufgaben auf Dienstleister und Arbeitgeber zu.

Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.