Von der reaktiven zur proaktiven Personalstrategie

Der Industriebetrieb Knipex hat seine Personalarbeit in den vergangenen Jahren grundlegend verändert. Das Praxisbeispiel zeigt, wie ein Hidden Champion sein internes und externes Personalmarketing stärkt, um dem Fachkräftemangel und wachsendem Innovationsdruck zu begegnen.
Die Knipex-Werk C. Gustav Putsch KG, kurz Knipex, zählt zu den Hidden Champions im Bergischen Land. Seit über 130 Jahren konzentriert sich der Hersteller von Zangen für Anwender in Handwerk und Industrie auf eine einzige Produktgruppe und ist damit in mehr als 100 Ländern erfolgreich. Die komplette Wertschöpfung – vom Schmieden der Zangenrohlinge bis zum Verpacken – erfolgt durch die mehr als 900 Mitarbeiter am Standort Wuppertal. Aufgrund von altersbedingten Abgängen, technischen Veränderungen und stetigem Wachstum stellte Knipex in den vergangenen Jahren zunehmend mehr Mitarbeiter ein. Im Jahr 2014 waren es allein über 60 neue Mitarbeiter und im laufenden Jahr rechnet man mit einem ähnlichen Zuwachs, sowohl in der Produktion als auch im Vertrieb sowie in lagerhaltenden Gesellschaften.
Allerdings nimmt für Knipex wie für viele andere Produktionsbetriebe der Wettbewerbsdruck zu. Die Automatisierung hat inzwischen eine hohe Dynamik erreicht. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Aufgaben mit anspruchsvolleren Steuerungs- und Kontrollfunktionen und damit auch der Bedarf an gut ausgebildeten Mitarbeitern und Fachkräften.
Um den Entwicklungs- und Produktionsstandort Wuppertal hinsichtlich seines Know-hows, seiner Innovationskraft und Produktivität langfristig zu stärken und zu sichern, reifte vor rund sechs Jahren im Management die Erkenntnis, dass das Personalwesen einer Modernisierung bedarf, um sich für zukünftige Anforderungen zu wappnen. Denn Wuppertal ist nicht nur Produktionsstätte, sondern zugleich Ideenschmiede: Hier werden die Zangen entworfen und entwickelt, ebenso wie die Maschinen, die für die Produktion notwendig sind.
Ein neues Leitbild
Den Grundstein der Modernisierung legte das Unternehmen vor rund fünf Jahren mit der Entwicklung des Leitbildes. Der bodenständige Betrieb wollte keine Hochglanzbroschüre erstellen, sondern an der Wirklichkeit orientierte Grundsätze zu Führung und Zusammenarbeit formulieren, die auch von den Mitarbeitern getragen werden. Dazu startete Knipex einen unternehmensweiten internen Dialog und entwickelte parallel zum Leitbild ein Kompetenzmodell, das heute auch die Grundlage für das Personalmanagement bildet. Das Modell wird durch die Ergebnisse von Mitarbeiterbefragungen gestützt. Bei den Befragungen ging es vor allem darum, wie Knipex sich die Zusammenarbeit der Zukunft vorstellt und welches Anforderungsprofil Mitarbeiter heute und morgen erfüllen müssen.
Veränderungskompetenz ist gefragt
Wer mehr als ein Jahrhundert am Markt besteht, hat bewiesen, dass er mit Veränderungen umgehen kann – eine Fähigkeit, die der Zangenspezialist auch von seiner Belegschaft erwartet. Fachkenntnisse sind wichtig, doch für den Industriehersteller rückt die Persönlichkeit eines Mitarbeiters zunehmend in den Vordergrund. Knipex sucht Menschen, die offen sind für Veränderungen und auch bereit, Verantwortung zu übernehmen – das gilt für den Auszubildenden und für die Fach- und Führungskraft gleichermaßen. Genügte es am Wuppertaler Standort über Jahrzehnte, dass der Chef nicht nur das Sagen hatte, sondern auch alle Fragen beantworten konnte, muss die Verantwortung in einem arbeitsteiligen Betrieb mit fast 1000 Mitarbeitern heute auf viele Schultern verteilt werden. Nur so kann das Unternehmen den steigenden Anforderungen des Marktes gerecht werden.
Neuaufstellung des Personalbereichs
Diese Sichtweise stellt einen Paradigmenwechsel dar, der Knipex zunächst dazu veranlasste, Strukturen zu verändern, Prozesse wie beispielsweise die Abrechnungsverfahren zu verschlanken und vorhandene Ressourcen in der Personalabteilung neu zu positionieren. Lag der Fokus früher primär auf der Lohnbuchhaltung, versteht sich das Personalwesen heute als Dienstleister. Unternehmensintern spielen die Themen Personalentwicklung, Mitarbeiterbindung und Stärkung der Führungsebene heute eine mindestens genauso wichtige Rolle wie administrative Aufgaben.
Praktisch bedeutet das: Zwei statt drei Mitarbeiter erledigen heute die Lohnabrechnung. Zusätzlich wurden zwei der nunmehr drei Referenten eingestellt, die die Bereiche operative Personalbetreuung, Personalmarketing und Personalentwicklung aktiv betreiben und ständig weiterentwickeln. Zudem soll ein Recruiter beziehungsweise Sourcer eingestellt werden, der sich verstärkt mit dem Talentscouting auf der Ebene von Fach- und Führungskräften auf dem Markt befasst. Darüber hinaus optimierte Knipex die Prozessdokumentation und erreichte damit eine höhere Transparenz und verbesserte Kommunikation.
Investitionen in Recruiting und Mitarbeiterbindung
Eine durchdachte proaktive statt reaktive Personalstrategie bildet heute eine wichtige Säule für das Recruiting von Mitarbeitern und die Zukunftssicherung des Betriebs. Weil Knipex sich wie andere Produktionsbetriebe auch mit dem zunehmenden Fachkräftemangel auseinandersetzen muss, investiert das Unternehmen verstärkt in die Anwerbung von Fach- und Führungskräften. Die Strahlkraft für das in Wuppertal ansässige Unternehmen soll über die lokalen Grenzen hinaus sichtbar werden, um insbesondere auch Leitungspositionen schnell und passgenau besetzen zu können. Eine hervorragende Reputation als Produktmarke hat sich der Zangenhersteller bereits erarbeitet. Der nächste notwendige Schritt ist, Knipex als Arbeitgebermarke stärker zu positionieren.
Zum deutlich differenzierteren Personalmarketing gehört nicht nur, Berufsanfänger anzuwerben und qualifiziert auszubilden. Knipex beschäftigt 45 Auszubildende in gewerblichen und kaufmännischen Ausbildungsberufen sowie dualen Ausbildungen (Lehre und Studium). Jährlich kommen zwölf bis 15 Berufsanfänger hinzu. Zum Personalmarketing gehört auch, signifikant in die ständige Weiterqualifizierung und das lebenslange Lernen zu investieren. Das Ziel: das Personal langfristig und nachhaltig an das Unternehmen zu binden.
In den vergangenen drei Jahren durchliefen etwa 30 Mitarbeiter berufsbegleitend die IHK-Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer. Dafür wurden sie einmal im Monat für eine Woche freigestellt. Dank der Umstrukturierung kann die Personalabteilung Mitarbeiter bei ihren Schulungs- und Entwicklungsmöglichkeiten viel effektiver unterstützen und entlastet auf diese Weise zusätzlich das Management. Es ist wichtig, Menschen daran zu gewöhnen, wieder zu lernen. Je höher sie qualifiziert sind, desto besser können sie den Wandel aktiv mitgestalten und sich integrieren, wenn es zu Veränderungen kommt.
Zur Mitarbeiterbindung trägt außerdem bei, dass das tarifgebundene Unternehmen seinen Mitarbeitern mit der betrieblichen Kindertagesstätte „Knipskiste“ eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht. Angebote wie eine Kantine und flexible Arbeitszeiten gelten bei den Mitarbeitern inzwischen als Selbstverständlichkeit. Die Fluktuation bei Knipex ist mit einer Betriebszugehörigkeit von durchschnittlich 13 Jahren sehr gering.
Den Veränderungsprozess auf den Prüfstein stellen
Nachdem erste Meilensteine in der Umstellungsphase des Personalwesens erreicht waren, startete Knipex zunächst zwei Mitarbeiterbefragungen, um zu ermitteln: Kommen unsere Bemühungen in der Zielgruppe an? Sind wir auf dem richtigen Weg? Sehen unsere Mitarbeiter das genauso? Die Ergebnisse waren so ermutigend, dass Knipex sich entschloss, einen kritischen Blick und fachkundiges Feedback zum aktuellen Stand des Personalmanagements durch unabhängige Dritte einzuholen.
Inzwischen gibt es am Markt eine ganze Reihe von Zertifizierungen rund um das Employer Branding. Knipex entschied sich für die Zertifizierung „Ausgezeichneter Arbeitgeber“ vom TÜV Rheinland. Dessen neues Konzept überzeugte unter anderem, weil nicht nur das Personalmanagement dem Auditor Rede und Antwort zu stehen hat, sondern auch Mitarbeiter in Interviews zu Wort kommen. Außerdem stehen bei dem Prüfverfahren sämtliche Bereiche des Personalmanagements im Fokus. Nach der Erstzertifizierung und Verleihung des damit verbundenen Siegels in 2014 hat Knipex jetzt auch den Bereich Ausbildung zertifizieren lassen.
Kontinuierliche Verbesserung
Beim Audit zum „Ausgezeichneten Arbeitgeber“ werden insgesamt sechs Bereiche geprüft: Personalmarketing, Personalbeschaffung, operatives Personalmanagement, Personalentwicklung, Personalcontrolling und das Austritts- und Übergangsmanagement. Bei der Prüfung vor Ort checkten die Auditoren vom TÜV Rheinland, inwiefern bei Knipex die Prozesse des Personalwesens dokumentiert sind, gelebt werden und entsprechend wirksam sind. Das Ergebnis der Prüfung war positiv und bestärkte das Unternehmen, dass der Veränderungsprozess erfolgreich verläuft.
Die alljährlich wiederkehrenden Überwachungsaudits durch den TÜV Rheinland nutzt das Unternehmen dazu, Verbesserungspotenziale auszuloten, sich neue Ziele zu setzen und Aufgaben vorzunehmen, um das Personalmanagement stetig weiterzuentwickeln. Vor allem geht es nun darum, alle Prozesse, die angestoßen wurden, wirklich zu festigen. Die Bereiche, die sich noch in der Umsetzung befinden, sind kritisch zu bewerten und mit der Realität der Mitarbeiter abzugleichen. Dabei ist es Knipex wichtig, nicht jeden Trend aus dem Personalmanagement mitzumachen, nur weil er gerade in ist.
Als Nächstes etwa will das Unternehmen herausfinden, wie es um die Akzeptanz von Mitarbeitergesprächen steht, die seit zwei Jahren schrittweise eingeführt werden. Parallel dazu soll das Bewerbermanagement weiter konsolidiert werden. Immerhin verzeichnet Knipex 100 bis 150 Bewerbungen auf Stellenausschreibungen. Ziel ist es, gerade Bewerber von Anfang an mitzunehmen. Schließlich ist das auch für den Arbeitgeber eine einmalige Chance, sich als Unternehmen bei Talenten von morgen zu präsentieren. Mittelfristig will Knipex ein Netzwerk potenziell interessanter Bewerber aufbauen und so mit ihnen in Kontakt bleiben, auch wenn es für eine aktuelle Position gerade nicht passt.
Effekte im Personalmarketing
Das Siegel „Ausgezeichneter Arbeitgeber“, hat der Wuppertaler Industriebetrieb festgestellt, wirkt sich positiv auf das Personalmarketing aus. Knipex setzt das Siegel für unterschiedlichste Kommunikationsmedien ein. Es ist nicht das entscheidende Kriterium, sich für eine Stelle bei Knipex zu bewerben, dient jedoch als bestärkendes Instrument. Vielfach wird Knipex bei Bewerbungsgesprächen auf die Zertifizierung angesprochen. Insgesamt verzeichnet der Zangenspezialist einen Anstieg von Initiativbewerbungen um zehn Prozent. Ein zusätzliches Zeichen dafür, dass die Veränderungen des Personalmanagements insbesondere auch im Personalmarketing positive Effekte haben und sich Knipex trotz Fachkräftemangels in einer guten Ausgangslage befindet.
Autoren
Kai Wiedemann, Leiter Personalwesen, Knipex-Werk C. Gustav Putsch KG, Wuppertal, k.wiedemann@knipex.de
Reinhard Bier, Projektmanager, TÜV Rheinland, Köln, reinhard.bier@de.tuv.com
Dieser Beitrag ist in der Personalwirtschaft 9/2015 erschienen.
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