Quadratur des Kreises
Ein Projekt der Norddeutschen Landesbank zeigt, wie der effiziente und flexible Einsatz von Personalressourcen zum Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg werden kann – und zur zukunftsweisenden Strategie für die Bankenbranche.
Seit 2008 befindet sich die Finanzbranche in einem tiefgreifenden Umbruch: Ein sich permanent wandelndes Marktumfeld, sinkende Erträge und neue digitale Wettbewerber üben auf viele Banken einen anhaltenden Druck aus, ihre Effizienz zu erhöhen und dabei zugleich noch effektiver zu arbeiten.
Überdies wirken sich die vom Gesetzgeber neu beschlossenen regulatorischen Bestimmungen ebenso wie die Neuordnung der Bankenaufsicht ebenfalls langfristig auf das unternehmerische Handeln der Banken und Institute aus.
Widersprüchliche Anforderungen an HR
Diese vielfältigen externen Herausforderungen, denen sich die Branche insgesamt gegenübersieht, spiegeln sich auch in den gestiegenen und auf den ersten Blick scheinbar widersprüchlichen Anforderungen an die Personalarbeit wider. Während einerseits die Erwartungen an die spezifischen Kompetenzen der Mitarbeiter wachsen, steht andererseits außer Frage, dass nach wie vor eine Reduzierung von Arbeitsplätzen für die gesamte Branche erforderlich ist. Hinzu kommt die Aufgabe, mittels geeigneter Maßnahmen vor allem im Bereich der Vergütungssysteme die Umsetzung der regulatorischen Vorschriften sicherzustellen. Der demografische Wandel und ein sich zunehmend verschlechterndes Arbeitgeberimage erschweren die Personalarbeit zusätzlich.
Um auf all diese Anforderungen und vermeintlichen Widersprüche angemessen reagieren zu können, müssen Personalbereiche eine deutlich aktivere Rolle in der Steuerung des Unternehmens einnehmen, als dies bisher in vielen Firmen üblich ist. Strategisches HR-Management wird zukünftig zum Schlüsselfaktor für die Sicherung des Unternehmenserfolgs.
Dieses strategische Selbstverständnis von HR ist heutzutage eher die Ausnahme als die Regel. Tatsächlich sind die HR-Modelle vieler Unternehmen veraltet und daher nicht in der Lage, die Unternehmen bei der Orientierung im heutigen Umfeld zu unterstützen. Zu oft verharrt der Personalbereich noch in seiner traditionellen Rolle als Dienstleister, statt den Geschäftsbereichen ein echter strategischer Partner zu sein. Zudem ist häufig unklar, wie diese Rolle konkret aussehen kann und welche Veränderungen hierfür notwendig sind.
Fest steht allerdings: Spielt der Personalbereich eine deutlich aktivere strategische Rolle in der Steuerung des Unternehmens, so führt dies zu erheblichen Verbesserungen sowohl bei der finanziellen wie auch der operativen Performance. Wie dies ganz konkret in einem Fall innerhalb der Bankenbranche gelungen ist, soll im Folgenden dargestellt werden.
Vier Stellhebel für effiziente Personalsteuerung
The Boston Consulting Group arbeitete gemeinsam mit der Norddeutschen Landesbank Girozentrale (Nord LB) im Rahmen eines mehrmonatigen Projekts an unterschiedlichen Hebeln zur Effizienzsteigerung. An diesem Beispiel lässt sich zeigen, wie zukunftsorientierte HR-Arbeit gestaltet werden kann.
Zur Erfüllung des Wirtschaftsplans und um zukünftige Wachstumspotenziale zu heben, war bei der Nord LB eine Kostensenkung und damit ein nicht unerheblicher Personalabbau unvermeidbar. Gleichzeitig musste gewährleistet sein, dass die vorhandenen Mittel zur Restrukturierung optimal und kosteneffizient eingesetzt werden.
Um diese Ziele zu erreichen, wurden im Rahmen des genannten Projekts die personalwirtschaftliche Steuerung und die Personalstrategie grundlegend neu ausgerichtet. Die erarbeitete mittel- bis langfristige Personalstrategie nutzte dabei vier zentrale Stellhebel: Personalmenge, Personalkosten, Personalqualität und Transformation & Management. Die drei erstgenannten Hebel stehen in Wechselwirkung, der vierte ist häufig nur sehr schwach ausgeprägt, bildet jedoch die Grundlage für eine erfolgreiche Umsetzung von Veränderungen und gewinnt daher zunehmend an Bedeutung. Jedem dieser vier Hebel können dabei konkrete Handlungsfelder zugeordnet werden.
1. Personalmenge
Was die Personalmenge, den ersten Hebel, betrifft, so muss HR sicherstellen, dass das Unternehmen über die richtige Anzahl von Mitarbeitern in den richtigen Rollen und unter den richtigen Beschäftigungsbedingungen (z.B. Vollzeit, Teilzeit, flexible Arbeitszeiten) verfügt. Dies setzt umfassende Transparenz über den aktuellen und zukünftigen Personalbedarf voraus. Die besten Personalabteilungen sind heutzutage in der Lage, dynamische Szenarien zu erstellen und abzuschätzen, welcher spezifische Personalbedarf sich zukünftig aus der Strategie des Unternehmens ergibt. Bei der Nord LB wurde zu diesem Zweck unternehmensweit eine einheitliche Jobcluster-Logik und ein damit verbundenes Überhang- und Unterdeckungsmanagement eingeführt. Das diente dazu, potenzielle Ungleichgewichte zwischen Angebot und Bedarf schnell und effizient zu identifizieren und auszugleichen. Neben dem kurzfristigen Handlungsbedarf geht es hierbei außerdem um die Fortentwicklung des personalwirtschaftlichen Planungsprozesses zur langfristigen und wertschöpfungsorientierten Steuerung des Personalbedarfs und um die Herstellung des richtigen Gleichgewichts zwischen interner Personalentwicklung und Personalrekrutierung aus dem Markt.
2. Personalkosten
Der zweite Hebel betrifft die Vergütung der Mitarbeiter sowie die personalbezogenen Sachaufwände. Die besten HR-Abteilungen sind nicht nur in der Lage, die aktuellen Personalkosten des Unternehmens detailliert darzustellen. Sie können zudem die Implikationen unterschiedlicher Zukunftsszenarien abschätzen und diese Szenarien in Budgetzielen abbilden. Entscheidende Voraussetzung für eine professionelle Steuerung der Personalkosten ist dabei eine konsequente Vergütungsstrategie.
Bei der Nord LB wurden die Vergütungsstrukturen über einen Total-Compensation-Ansatz konzeptionell neu ausgerichtet. In die Vergütungsstrategie floss auch die Neujustierung der Sozial- und Nebenleistungen ein, die darüber hinaus gezielter als zuvor für Motivationsanreize und zur Mitarbeiterbindung eingesetzt wurden.
3. Personalqualität
Die Personalqualität als dritter Hebel setzt voraus, dass Aufgaben und erforderliche Qualifikationen für alle Stellen und Mitarbeiter im Unternehmen definiert und ausreichend bekannt sind. Dies ermöglicht eine Prognose, inwiefern der gegenwärtige Zustand den angestrebten Zielen entspricht beziehungsweise wie sich die Beschäftigten weiterentwickeln müssen. Gemeinsam mit der Nord LB wurde ein dynamisches strategiebasiertes Kompetenzmodell entwickelt. Der darin enthaltene verhaltensorientierte Ansatz schafft Impulse für den angestrebten Kulturwandel und die Verankerung einer nachhaltigen Leistungsorientierung.
4. Transformation & Management
Dieser Hebel ist in vielen Unternehmen meist nur schwach ausgeprägt; er stellt jedoch eine wesentliche Bedingung dar, um den Erfolg von unternehmensweiten Transformationen, Restrukturierungen und Effizienzprogrammen sicherzustellen. Transformation & Management umfasst unter anderem eine klare Verteilung der Verantwortlichkeiten, effiziente schnittstellenübergreifende Prozesse sowie objektive Spielregeln für die zentrale Steuerung der Personalressourcen. Entscheidend ist zudem, dass die Zuständigkeit für alle personalwirtschaftlichen Entscheidungen im Personalbereich verankert ist und dieser auf Basis objektiver Kriterien im Sinne einer unternehmensweiten Optimierung agiert.
Im Rahmen der Zusammenarbeit von The Boston Consulting Group und Nord LB wurde durch die Klärung der Verantwortung für einzelne Kostenartengruppen die notwendige Transparenz und damit Nachvollziehbarkeit des Wertbeitrags der Personalarbeit geschaffen. Mit dem Einsatz von Prozessverantwortlichen wurde das Augenmerk auf die zentralen Leistungsprozesse gelegt und diese wurden institutionell verankert. Die Definition und Überwachung der entsprechenden KPIs stellte die wertschöpfungsorientierte Betrachtung der Prozesse sicher.
Abbildung 1
Vier Stellhebel zur Ausrichtung der Personalstrategie

Daten als Grundlage
Der Einsatz der vier beschriebenen Stellhebel steht und fällt mit einer belastbaren quantitativen Datenbasis. Nachvollziehbare, konsistente Daten bilden die Grundlage für faktenbasierte quantitative Personalarbeit. Der Personalbereich selbst und einzelne Führungskräfte sind nicht in der Lage, die objektiv richtigen Entscheidungen zu treffen, wenn sie kein genaues Bild von der aktuellen Personalsituation haben. Deshalb müssen Unternehmen für hochwertige Personaldaten sorgen, die auf standardisierten Prozessen, klaren Verantwortlichkeiten und einer eindeutigen Terminologie beruhen. Für viele Unternehmen heißt das: Die Daten müssen deutlich reichhaltiger sein als das, was bislang erfasst wird. Unverzichtbar ist dabei die Erstellung regelmäßiger Reports für verschiedene Adressaten und Zwecke. Solche adressatengerechten Reports gibt es heutzutage jedoch nur in vergleichsweise wenigen Unternehmen.
Im Rahmen des skizzierten Projekts wurden diese beschriebenen erforderlichen Grundlagen durch eine Erweiterung der vorliegenden Datenbasis, die unternehmensweite Einführung einer Jobcluster-Logik und die entsprechende Anpassung aller relevanten Prozesse geschaffen. So wurden beispielsweise alle Prozesse, die sich auf das Personalkostenbudget auswirken, grundlegend überarbeitet. Das Ergebnis: Jede Budgetänderung mit Wirkung auf das Personalkostenbudget, wie zum Beispiel Stellenaufbauten, geht nun synchron sowohl in das Personal- als auch in das Finanzcontrolling ein.
Die zusätzliche Einführung von für spezifische Adressaten bestimmten Reports dient zudem als objektive Grundlage für jegliche personalwirtschaftliche Entscheidung, wie zum Beispiel den Stellenbesetzungsprozess oder die Vergabe von Vorruheständen und Aufhebungsverträgen.
Wenn es eine freie Stelle zu besetzen gilt, werden bei der Nord LB zuerst interne Kandidaten berücksichtigt, die am schnellsten und kostengünstigsten einsetzbar sind (das heißt Kandidaten mit dem adäquaten Jobprofil). Stehen keine solchen Kandidaten zur Verfügung, wird die Suche in einem mehrstufigen Prozess nach und nach auf Jobcluster und danach auf Jobcluster-Gruppen ausgeweitet (siehe Abbildung 2). Erst wenn sich auch dann immer noch kein passender Kandidat findet, kann die Stelle extern ausgeschrieben werden. Durch diesen Prozess können offene Stellen auf eine Art und Weise besetzt werden, die es erlaubt, Schulungsaufwand, Kosten für neue Mitarbeiter und letzten Endes auch Restrukturierungskosten zu minimieren.
Abbildung 2
Mehrstufiger Prozess für interne Stellenbesetzung

HR wird zum Business Enabler
Zur effizienten Umsetzung des Personalabbaus wurde bei der Nord LB zudem das klassische HR-Instrumentarium um Instrumente wie die Internalisierung externer Dienstleistungen, die Einführung von Remanenzpools und die konsequente Nutzung von Versetzungsketten erweitert. Alle diese Komponenten wurden aufeinander abgestimmt und miteinander verzahnt.
Das daraus resultierende systematische Vorgehen diente im Ergebnis nicht nur der Erreichung der erforderlichen Kosteneinsparungen, sondern es bildet auch die Grundlage für ein schnelleres Reagieren auf zukünftige Herausforderungen. In Zukunft lassen sich Kapazitätsbedarf und -angebot unter strategischer Perspektive unternehmensweit analysieren und steuern. Kritische Jobcluster können frühzeitig identifiziert und entsprechende Maßnahmen und Instrumente daraufhin angepasst oder entwickelt werden.
Insbesondere die Banken müssen heute angesichts der eingangs skizzierten Herausforderungen zugleich schlanker und effizienter werden. Diese Quadratur des Kreises gelingt nur mithilfe eines strategisch operierenden Personalbereichs. Der Personalbereich wird so zu einem entscheidenden Differenzierungsfaktor und hilft dem Management, die angestrebten Ziele zu erreichen.
Dies verlangt eine Konzentration auf die vier von uns dargestellten Stellhebel – Personalmenge, Personalkosten, Personalqualität sowie Transformation & Management – und den Einsatz dieser vier Stellhebel auf der Grundlage einer hochwertigen Datenbasis.
Im vorstehend dargestellten Beispiel leistete der Personalbereich der Nord LB mit seinem Personalsteuerungskonzept einen wichtigen Beitrag zur Zukunftssicherung der Bank. Im Einklang mit der konzeptionellen Ausrichtung an Wertschöpfungsbeitrag und Performance erfüllte sich so im Fall der Nord LB die Vision von der Rolle des Personalbereichs als „Business Enabler“ für das gesamte Unternehmen.
Autoren
Dr. Anja Marzuillo, Personalleiterin, NORD/LB Norddeutsche Landesbank Girozentrale, Hannover, anja.marzuillo@nordlb.de
Mike Galicija, Leiter HR Competence Center, NORD/LB Norddeutsche Landesbank Girozentrale, Hannover, mike.galicija@nordlb.de
Dr. Markus Klevenz, Project Leader, Boston Consulting Group, München, klevenz.markus@bcg.com
Dr. Reinhard Messenböck, Senior Partner und Managing Director, Boston Consulting Group, Berlin, messenboeck.reinhard@bcg.com
Dieser Beitrag ist in der Personalwirtschaft 7/2015 erschienen.
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