Margret Suckale empfängt pünktlich um 10.45 Uhr im Vorstandsbüro, statt an einem klassischen Besprechungstisch nehmen wir Platz an einem erhöhten Tisch mit Businessbarhockern. Sie habe so viele Sitzungen, da könne eine „Stehung“ zwischendurch nicht schaden, scherzt Suckale.
Es sind ihre letzten Wochen bei BASF, nach acht Jahren im Unternehmen, sechs davon im Vorstand. Wenn sich Suckale in der deutschen Businesslandschaft einen Ruf erworben hat, dann den der beharrlichen Verhandlerin mit kühlem Kopf: sachlich, analytisch, präzise. Und hartnäckig. Als sich während des Lokführerstreiks 2007 Bahnchef Hartmut Mehdorn und Gewerkschaftsboss Manfred Schell testosterongeladene Gefechte lieferten, wurde Suckale als Personalvorstand der Deutschen Bahn zur ausgleichenden Stimme. Eine Diskussion mit Schell bei Anne Will machte sie bundesweit bekannt und verschaffte ihr Respekt.
Damals war Margret Suckale die einzige Frau unter den rund 550 Vorstandsmitgliedern der 100 umsatzstärksten deutschen Konzerne. Als wir sie später darauf ansprechen, sagt sie, das möge zu einem bestimmten Zeitpunkt der Fall gewesen sein, doch sei sie ja beileibe nicht die erste Vorstandsfrau überhaupt gewesen. Bescheidenheit ist eine Zier.
Personalwirtschaft: Frau Suckale, sechs Jahre als HRVorstand und Arbeitsdirektorin der BASF liegen hinter Ihnen. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?
Margret Suckale: Tatsächlich war ich ja nicht nur für den Personalbereich zuständig. Dieses Vorstandsressort war schon vor meiner Zeit verantwortlich für Ingenieurleistungen und Instandhaltung, Umweltschutz, Gesundheit und Arbeitssicherheit sowie Human Resources. Ferner bin ich Arbeitsdirektorin der BASF SE und Standortleiterin des Werks Ludwigshafen sowie der Standorte Antwerpen und Schwarzheide. HR umfasst in etwa ein Viertel meiner Tätigkeit. Das war auch bei meinen Vorgängern so, und dieses Ressort wird auch in Zukunft genauso zugeschnitten bleiben. Diese Kombination hat sich bewährt.
Klingt, als wollten Sie nicht als „HR only“-Frau gehen.
Ich bin ja gar kein klassischer HRler. Ich war bei Mobil Oil nach meinem Einstieg sechs Jahre lang Justiziarin. Erst danach hatte ich verschiedene HR-Positionen in Europa, und als ich damals das erste Mal mit betriebsverfassungsrechtlichen Fragen konfrontiert wurde, da habe ich mich schon gefragt: In welchem Gesetz steht das überhaupt? Da war ich bereits Mitte Dreißig und musste mich in dieses Themenfeld neu einarbeiten. Auch später bei der Bahn habe ich lange den Rechtsbereich geleitet und hatte auch in dieser Zeit wenig mit HR zu tun.
Ab 2005 waren Sie im Vorstand der Bahn aber für Personal und Dienstleistungen zuständig und sind 2009 dann, zunächst unterhalb des Vorstands, in die Führungskräfteentwicklung der BASF eingestiegen. Was hat Sie an dieser Position gereizt?
Dieser Bereich berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden, und die Idee war, durch die Arbeit mit den Führungskräften das Unternehmen insgesamt kennenzulernen. Ich hatte das Glück, dass ich bei der BASF eine herausragende Personalentwicklung vorgefunden habe.
Mich hat sofort begeistert, dass das Talent hier zum Unternehmen gehört und nicht zur Abteilung.
Was heißt das konkret?
Drei Ebenen unter dem Vorstand versuchen wir, mindestens alle vier Jahre eine Jobrotation vorzunehmen, und zwar in fast jede Richtung. Wir befördern – oder verschieben auf gleicher Ebene – zwischen Funktion, Geschäft und Region. In unserer Kommission Personal sitzen acht Bereichsleiter einmal im Monat fünf Stunden zusammen und entscheiden über Beförderungen und Rotationen von Topführungskräften. Und einmal im Monat beschäftigt sich auch der Vorstand mit dem Thema. Hier werden keine Kaminkarrieren forciert, man hebt nicht seinen Best Buddy auf Position X. Es ist ein neutraler Prozess. Wir würden zwar keinen Juristen im Labor beschäftigen und auch keinen Ingenieur zum Leiter der Rechtsabteilung machen, aber die Grenzen sind fließend.
Sie gelten als nahbar und sichtbar im Konzern, führen viele Gespräche mit Mitarbeitern.
Ich gehe in die Werkstätten zu den Ingenieuren, zu den Kollegen, die sich um Umweltfragen kümmern, aber auch zu denjenigen, die sich um unsere Anlagen kümmern, zu den Kollegen in den Messwarten. Da versuche ich herauszufinden, wo der Schuh drückt. Außerdem habe ich regelmäßige Gesprächsrunden mit Vertrauensleuten, Betriebsleitern, Produktmanagern. Diese direkten, persönlichen Kontakte haben mir sehr viel gegeben.
Ist das eine bewusste Interpretation Ihres Jobs als Personalvorstand?
Das hat nichts mit meiner HR-Rolle zu tun. Ich würde jedem Manager in jedem Bereich empfehlen, sichtbar zu sein. Natürlich wird es schwieriger, weil wir heutzutage viel Ablenkung durch technische Geräte haben. Aber das ersetzt nicht den persönlichen Kontakt. Das ist für eine Führungskraft das A und O.
Wenn Führungskräfte scheitern, dann haben sie sich meist längere Zeit nicht mehr blicken lassen.
Ihre persönlich sichtbarste Zeit war sicher die Phase des Lokführerstreiks vor knapp zehn Jahren. Neben dem rustikal auftretenden Bahnchef Mehdorn standen Sie für Analyse und Beharrlichkeit.
Die Sichtbarkeit war natürlich immens, weil wahnsinnig viele Menschen durch den Streik betroffen waren – Millionen von Pendlern tagtäglich. Es war unsere Pflicht, die Öffentlichkeit so gut wie möglich zu informieren. Es ging uns damals um die Tarifeinheit, ein großes, wichtiges Ziel, das inzwischen zum Glück erreicht wurde. Und es war entscheidend, zu vermitteln, dass ein schnelles Nachgeben das Problem nicht lösen würde. Das Thema war nicht, dass wir als Arbeitgeber nicht bereit waren, Geld auszugeben. Vielmehr war es so, dass sich zwei Gewerkschaften gegeneinander ausgespielt haben – die Folge war eine mögliche Ungleichbehandlung der Mitarbeiter, je nachdem welcher Gewerkschaft sie zugehörig waren. Das konnten wir nicht zulassen.
In dieser Zeit sind die Headhunter der Nation auf Sie aufmerksam geworden. Sie haben zahlreiche Angebote bekommen.
Es gab einige Angebote, auch von anderen Dax-Unternehmen. Doch bei der BASF hat es mich tatsächlich gewundert, weil – aufgrund der guten Personalentwicklung – bis dahin jeder Vorstand aus dem Unternehmen kam. Insofern war ich schon sehr angenehm überrascht.
Nun ist die Chemiebranche im Gegensatz zur Bahn oder zu anderen Bereichen von Streiks so gut wie gar nicht betroffen. Vermissen Sie gelegentlich die Reibereien?
Ich komme ja nicht ursprünglich aus der Bahn, hatte zuvor zwölf Jahre lang bei Mobil Oil in den Branchen Chemie, Mineralöl und Pharma gearbeitet. Ich kannte den Sozialpartner IG BCE. Das waren früher schon konstruktive Verhandlungen, und sie sind es heute auch noch. Hart in der Sache, aber immer von einem Konsens begleitet. Eine Sozialpartnerschaft klappt dann gut, wenn zwei gleich starke Partner da sind. Das ist bei der IG BCE und dem BAVC so. Bei der Bahn war das nicht immer der Fall, die Gewerkschaften waren unterschiedlich stark und unterschiedlich groß.
Wo wir gerade bei den Gewerkschaften sind: Was halten Sie davon, wenn ehemalige Betriebsratsvorsitzende zu Arbeitsdirektoren bestellt und zu HR-Vorständen werden?
Ich halte das für problematisch. Wenn man bis gestern auf der Arbeitnehmerseite gestanden hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man heute das genaue Gegenteil tun und authentisch Arbeitgeberinteressen wahrnehmen kann. Vielleicht mag das nach einer Abkühlungsphase gehen, aber nicht von heute auf morgen. Ein Arbeitsrechtsdozent hat mir einmal gesagt: Ihr müsst euch entscheiden, ob ihr auf der einen oder auf der anderen Seite steht. Ich glaube, das ist die richtige Haltung. Gleichwohl habe ich Personalvorstände erlebt, die aus der Gewerkschaft kamen, die einen sehr guten Job machen.
Sie wurden als „Vorstandsfrau des Jahrhunderts“ bezeichnet, in den Rankings deutscher Managerinnen stehen Sie seit Jahren weit vorn. Gibt es eine Liste, auf die Sie es gern geschafft hätten, aber nicht haben?
Solche Listen und Porträts sind nicht immer besonders aussagefähig und auch nicht immer sonderlich dauerhaft. Bei so manchem „Manager des Jahres“ stand im Folgejahr die Vertragsauflösung an. Sinnvoll sind die Ehrungen dann, wenn sie ein ehrliches Bild des Geehrten abgeben.
Das heißt: Nicht alle Managerporträts sind ehrlich?
Na ja, wenn ich mir so manches Beispiel anschaue, da komme ich mir gleich ganz klein vor. Ich bin nicht die Beste in der Schule gewesen, habe keine Klasse übersprungen und war keine Leistungssportlerin. Mir ist nichts in den Schoß gefallen. Ich lege Wert darauf, in solchen Listen nicht als Star zu erscheinen, sondern betone immer: Ich habe viele Fehler gemacht, bin hingefallen, bin aber auch immer wieder aufgestanden. Das mag der Unterschied sein zu manch anderer Kollegin.
Jedenfalls ist Ihnen als Frau das gelungen, was man allgemein als Karriere bezeichnet. Damit werden Sie automatisch zum Vorbild für ambitionierte jüngere Kolleginnen. Wie regeln Sie das Thema weibliche Karrieren bei der BASF? Gibt es Quoten?
Ich glaube, dass Frauen genauso wie Männer Top-Positionen bekleiden können. Eine Quote für Frauen haben und wollen wir nicht, weil wir rein nach Leistung entscheiden, und es gibt genügend Frauen, die sich auf diesem Wege empfehlen. Wir haben aber Zielvorgaben zum Thema Diversity. Wir wollen beispielsweise den Anteil von nicht-deutschen Mitarbeitern in Senior Executive Positions auf 40 Prozent bringen, und das haben wir auch fast geschafft. Bei BASF wird das Thema Vielfalt seit zehn Jahren forciert, weil wir der festen Überzeugung sind, dass die wahre Stärke in der Zusammensetzung diverser Teams aus Frauen und Männern, älteren und jüngeren Mitarbeitern, verschiedenen Nationalitäten, Lebensmodellen, Ausbildungen, Hintergründen und Werten liegt. Das Thema Vielfalt wird oft nur auf das Gender-Thema reduziert, und das finde ich falsch.
Sie haben kürzlich das Buch „Chemie digital: Arbeitgeber 4.0“ herausgegeben. Darin bitten Sie Politiker, Manager, Gewerkschafter und Wissenschaftler zur Diskussion über die digitale Transformation. Wie kam es dazu?
Die Digitalisierung ist neben der demografischen Entwicklung das Topthema der nächsten Jahre. Keiner weiß, wie die digitale Welt von morgen aussehen wird. Es gibt einige Annahmen, auch viele Drohszenarien. Ich finde es im Gegensatz dazu wichtig, die Chancen zu benennen. Das ist eine wichtige Diskussion im BAVC, und auch bei der BASF haben wir vor zwei Jahren hierzu ein Senior Project beim Vorstandsvorsitzenden eingerichtet. Viele Kollegen arbeiten bei uns also ausschließlich an diesem Thema.
Was heißt Digitalisierung bei BASF konkret?
Das betrifft ganz viele Gebiete. Bei uns ist es im Anlagenbereich beispielsweise die vorbeugende Instandhaltung. Mittlerweile melden uns Sensoren, wenn Anlagenteile verschleißen oder auszufallen drohen. Und im Laborbereich etwa haben wir gerade erst in einen Supercomputer investiert, der uns hilft, die Rechenzeit bei Simulationen und Modellierungen von Monaten auf Tage zu reduzieren. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten für unsere Forschung und Entwicklung.
Gibt es Ängste im Unternehmen?
Es gibt generell Ängste in Bezug auf die Veränderung der Arbeitswelt, ja. In Deutschland ist das besonders ausgeprägt. Nicht besonders hilfreich sind da Studien, die uns zeigen, wer in nächster Zeit alles vermeintlich seinen Job verliert. Dabei ist gar nicht immer klar, ob Robotik hier und da nicht sogar teurer als menschliche Arbeit ist.
Sie sind da relativ gelassen.
Nicht gelassen. Wir passen schon auf, was das für uns bedeutet, und wir werden sicher keine Chance verpassen. Aber es gibt nicht den Kurs „Digitalisierung in drei Wochen“. Wir haben hier in den Messwarten inzwischen Prozessleitsysteme, da sehen die Arbeitsplätze aus wie in der Frankfurter Wertpapierbörse. Früher wurden diese Anlagen manuell geleitet. Wie lernt man das? On the Job! Natürlich schicken wir unsere Mitarbeiter, die jetzt mit 3D-Druckern arbeiten, auf Kurse, damit sie ein bestimmtes 3D-Druckverfahren kennenlernen. Auch in der Ausbildung der Laboranten spielt das Thema Digitalisierung eine wesentliche Rolle. Aber mit Augenmaß – es wird keine komplett neue Ausbildung daraus. Es wäre Aktionismus, 115 000 Leute jetzt möglichst schnell auf Digitalisierung trimmen zu wollen.
Inwiefern hängen für Sie Digitalisierung und Demografie zusammen?
Beispielsweise denken wir darüber nach, hier am Standort autonom fahrende Waggons einzusetzen. Das hängt eng mit der demografischen Entwicklung zusammen. Denn wir werden in den nächsten Jahren erhebliche Abgänge von Mitarbeitern haben, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Die Digitalisierung wird uns teilweise helfen, den Fachkräftemangel zu mindern. Bestimmte einfachere Tätigkeiten und Kontrollfunktionen fallen weg. Die Menschen erhalten dadurch mehr Freiraum.
Welches Ihrer Projekte werden Sie Ihrem Nachfolger Michael Heinz als persönliche Herzensangelegenheit übergeben?
Ganz wichtig ist die Zukunft dieses Standorts. Wir befinden uns in einer komplexen geopolitischen Situation, haben zum Teil verzerrte Wettbewerbsbedingungen, und wir sind uns einig, dass wir den Standort weiter auf die Zukunft vorbereiten wollen. Etwas zu ändern nur um des Änderns Willen, das ist zum Glück nicht die BASF-DNA, und damit sind wir 150 Jahre gut gefahren. Das Schöne ist ja, dass mein Nachfolger mit mir zusammen in den Vorstand eingetreten ist. Wir arbeiten sehr eng zusammen und haben zahlreiche Projekte zusammen umgesetzt. Auch solche, die meinen Bereich betreffen – Restrukturierungen etwa. Es ist ja nicht so, dass ich irgendetwas allein erledige, das jetzt liegenbleibt. Alle wichtigen Beschlüsse treffen wir gemeinsam im Vorstand. Das macht einen guten Vorstand aus.
Sie sind sehr bescheiden. Dabei gibt es einige Bereiche, für die Sie ganz persönlich stehen. ZumThema Work-Life- Balance haben Sie 2013 gleich ein eigenes Zentrum auf 10 000 Quadratmetern eröffnet.
Auch das war ein Erfolg des Vorstands insgesamt. Das Zentrum nennt sich „LuMit“, besteht aus fünf Gebäuden und wird täglich von rund 600 Mitarbeitern genutzt. Unsere Kinderkrippe haben wir dabei von 70 auf 250 Plätze ausgebaut. Außerdem haben wir ein Fitness- und Gesundheitsstudio, eine werksärztliche Beratung sowie eine Praxis für Physiotherapie eingerichtet. Zudem sind hier zwölf Kollegen in der Sozialberatung tätig.
Sie haben für sich ja künftig Ihre persönliche Life-Life- Balance zu klären. Was werden Sie da ausbalancieren? Grundsätzlich erreichen alle Senior Executives bei uns mit rund 60 Jahren das Pensionsalter. Das heißt: Schon wenn Sie zur BASF kommen, wissen Sie ziemlich genau, wann der Tag sein wird, an dem Sie ausscheiden. Ich hatte also jetzt acht Jahre Zeit, mich gedanklich vorzubereiten, und ich freue mich darauf. Ich will mich mehr ehrenamtlich engagieren, mich um Freunde und Familie kümmern, mehr Sport machen. Ich kann mir vorstellen, kleinere Unternehmen im Aufsichtsrat zu begleiten oder auch jüngere Führungskräfte zu coachen. Die Wahrscheinlichkeit, dass mein Terminkalender ähnlich voll wird wie heute, ist also durchaus gegeben.
Zur Person:
Margret Suckale ist seit 2011 Mitglied des Vorstands der BASF SE, verantwortlich für Engineering & Maintenance, Environmental Protection, Health & Safety, European Site & Verbund Management sowie Human Resources, ferner Arbeitsdirektorin der BASF SE und Standortleiterin für das Werk Ludwigshafen. Zudem ist sie Präsidentin des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC). Einstieg bei der BASF 2009 als Senior Vice President Global HR – Executive Management and Development. Zuvor ab 2005 bei der Deutschen Bahn Vorstand Personal und Dienstleistungen, vorab seit 1997 Bereichsleiterin Zentralbereich Recht. Von 1985 bis 1996 verschiedene Positionen als Justiziarin und Personalmanagerin bei Mobil Oil.