Seit September ist Simon Jäger Leiter des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit. Einen seiner ersten Auftritte seit Beginn der Tätigkeit hatte er am Montag bei der Verleihung des 30. Deutschen Personalwirtschaftspreises in den Balloni-Hallen in Köln. Im Gespräch mit Personalwirtschaft-Herausgeber Erwin Stickling, analysierte Jäger den aktuellen deutschen und US-amerikanischen Arbeitsmarkt und gab Aussichten darauf, was die Zukunft bringen könnte.
Seine persönliche nahe Zukunft liegt zunächst – nach Forschungspositionen an verschiedenen renommierten Universitäten wie Stanford und dem MIT – in Deutschland.
„Der Forschungsstandort Deutschland ist hervorragend“, begründet Jäger seine Entscheidung. Doch „gleichzeitig benötigt ein starker Forschungsstandort die Unterstützung des Staates.“ Hierbei würden in Deutschland gerade Fehler passieren. Als Beispiel nennt Jäger die Chancenkarte, welche die Regierung aktuell entwickelt. Bei dieser müssen ausländische Fachkräfte drei von vier Bedingungen erfüllen, um nach Deutschland einwandern zu dürfen. Kriterien sind beispielsweise das Alter oder die Berufserfahrung. Hätte er nicht schon einen deutschen Pass – mit der Chancenkarte hätte Jäger nicht nach Deutschland kommen und hier als höchst qualifizierte Arbeitskraft tätig sein können. Er erfülle nicht genug Kriterien.
Forschung soll Politik mehr Impulse geben
Da er nun aber zurückgekehrt sei – und es an die Spitze des Instituts zur Zukunft der Arbeit geschafft hat – , wolle er in Zukunft aus der Forschung heraus mehr Impulse für die Politik geben. So empfiehlt er der Regierung, unbürokratische Lösungen für die Einwanderung in den Arbeitsmarkt zu schaffen – denn momentan würden die geforderten Bedingungen noch an den Unternehmensbedürfnissen vorbeilaufen. Jäger nimmt sich selbst als Beispiel: Ihm sei bei der Personalsuche erstmal egal, wie gut die Kandidatinnen und Kandidaten Deutsch sprechen – doch dies sei eine Einwanderungsbedingung.
Nicht nur bei der Zuwanderung müsse unbürokratisch gehandelt werden; auch bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen, insbesondere Müttern, „scheint Raum zu sein, dass sich was tut.“ Gerade auch im Bereich der steuerlichen Anreize: Zweitverdienerinnen würden massiv steuerlich belastet – durch Ehegattensplitting oder die Versteuerung von Minijobs. Die gefundenen Lösungen sollten laut ihm nicht nur für Frauen oder Mütter gelten, sondern unter anderem auch für Angehörige, die pflegen oder anderweitig betreuen.
Gibt es den Big Quit?
Stickling besprach mit Jäger auch das Thema Big Quit. So erklärte Jäger, er würde für die Arbeitsmarktentwicklung in den USA eher einen anderen Begriff wie „Great Upgrading“ oder „Great Reshuffling“ verwenden. Denn die Pandemie habe Arbeitsbedingungen verändert und so würden momentan viele Beschäftigte überlegen, wie und unter welchen Bedingungen sie arbeiten wollen. Eventuell würden sie dann auch den Job wechseln, eben um ihre Arbeitsbedingungen upzugraden oder vom Arbeitgeber neu mischen zu lassen
Auch in Deutschland zweifelt Jäger an einem Big Quit. Bei einem solchen würde man erwarten, dass die Löhne steigen, um Beschäftigte zu halten oder zu locken. Doch „die Reallöhne sind gefallen wie noch nie seit Beginn der Wiedervereinigung.“ Laut Jäger sanken im zweiten Quartal 2022 die Reallöhne um 4,4 Prozent. Auch habe Deutschland einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa – das würde nicht zum Big Quit passen, denn sonst würde der Niedriglohnbereich kleiner werden.
Stefanie Jansen ist Volontärin in der Redaktion der Personalwirtschaft. Ihre Themenschwerpunkte sind Aus- und Weiterbildung, der Job HR und neue Arbeitszeitmodelle.