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„Zeit, wieder Großes zu denken“

Personalwirtschaft: Herr Sattelberger, wie wichtig war es Ihnen, dass Ihr alter Weggefährte, Joschka Fischer, die Laudatio zu Ihrer Biografie gehalten hat?
Thomas Sattelberger: Für mich war das sehr bewegend. Weil mir nochmals bewusst wurde, wie sehr ich ihn mag und wie viel er mir vor über 45 Jahren gegeben hat. Ohne ihn hätte ich mich damals ideologisch komplett verrannt. Auch wenn wir uns nach der Schüler- und Studentenzeit nur selten begegnet sind, ist es so, wie es Joschka treffend formuliert hat: Die seelische Verbundenheit bricht nicht ab, auch wenn man sich jahrelang nicht sieht.

Vom APO-Aktivisten zum Topmanager – so steht es auf dem Klappentext Ihres Buches. Das Thema APO scheint der Türöffner für die Medienpräsenz zu sein.
Ist ja auch eine spannende Entwicklung. Die Medien fragen aber kaum nach meiner politischen Jugendphase, sondern sie wollen etwas über die Hinterbühne der Macht erfahren, wollen wissen, wie ich die Arbeitswelt sehe und über die Zukunft der Führung von Unternehmen denke. Mit dem ZDF habe ich beispielsweise auch die Frage diskutiert, ob man in Konzernspitzen überleben kann, ohne seine Seele aufzugeben.

Bei Conti liefen Sie Gefahr, Ihre Seele zu verkaufen.
Das war ab und zu grenzwertig. Aber ich wollte es nicht missen. Deshalb habe ich es auch so offenherzig im Buch beschrieben. Und ohne die Erfahrungen bei Conti wäre ich in den ersten zwei Jahren bei der Telekom, wo ich ja breitflächige Arbeitskonflikte erfolgreich ausgetragen hatte, nicht so standfest gewesen. Viele Personaler fühlen sich ja nur in „Feel-good“-Kulturen wohl. Mut lernt man aber nur im Wildwasser.

Was ist der Antrieb für dieses Buch?
Ich wollte bewusst die großen Kapitel meiner jahrzehntelangen Managertätigkeit zuklappen und ein neues Kapitel aufschlagen, wie ich in den nächsten zehn bis 15 Jahren an der Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelten beitragen kann. Meine Erfahrungen sollen auch ein Stück Reflexionsfläche für andere Menschen sein. Viele Managerleben verlaufen vordergründig frei von großen Friktionen, aber eben auch langweilig. Was darauf hindeutet, dass sie in einem geölten System gut eingepasst waren. Das Eigenwillige an meiner Biografie ist, dass ich bei bestimmten Punkten „Nein“ gesagt habe und Dinge bewusst anders machen wollte. Ich habe immer den Konformismus gegeißelt. Auch meinen!

Für wen haben Sie das Buch geschrieben, für die Personaler?
Für die Personaler hätte ich ein anderes Buch geschrieben. Ich hatte etliche Angebote von Verlagen, über meine HR-Geschichte zu schreiben. Das habe ich bewusst ausgeschlagen. Es ist für Menschen geschrieben, die sich mit Fragen von Führung, Macht und Freiheit im System Arbeit auseinandersetzen. Und zweitens für junge Menschen, die sich Gedanken über ihre Entwicklung machen.

Sie sprechen im Buch auch offen über Enttäuschungen, darüber, dass Ihre Nachfolger die Personalarbeit nicht in Ihrem Sinne weitergeführt haben. Unter Lauer schlief die Personalpolitik bei der Lufthansa ein, schreiben Sie. Frau Schick stoppte bei der Telekom viele Ihrer Prestigeprojekte. Wie groß ist Ihre Enttäuschung?
Es ist keine einfache Erkenntnis, dass man nur für den Zeitraum gestaltet, in dem man da ist. Nachfolger setzen immer neue Zeichen. Die eigene Vergänglichkeit ist sicherlich sehr ernüchternd. Das habe ich im Buch offen verarbeitet. Ich hatte beispielsweise Tränen in den Augen, als ich merkte, dass die Personalentwicklung bei der Lufthansa den Bach runterging, nachdem ich als Airline-Vorstand zur Passage wechselte. Und ich möchte Frau Schick nicht auf einem Podium begegnen, da ich sonst Klartext reden würde.

Warum haben Sie in Ihrem Buch nicht offener über die Causa Schick gesprochen. Was dachten Sie über die damalige Besetzung tatsächlich, und was denken Sie über ihren Abgang?
Ich habe im Buch ein Fazit gezogen, das an Klarheit nicht zu überbieten ist. Ich habe beschrieben, welch großes Misstrauen sie Menschen gegenüber zum Ausdruck brachte, als sie jeden meiner ehemaligen direkten Mitarbeiter, die ich eineinhalb Jahre nach meinem Ausscheiden zum Essen eingeladen hatte, wegen mangelnder Loyalität persönlich herzitierte. Ich habe viele unterschiedliche Geschichten über Frau Schick gehört. Was ich durch eigene Bezüge dingfest machen konnte, war ihr tiefes Misstrauen Menschen gegenüber und ihre verzweifelte Suche nach einem neuen Thema, das sie inhaltlich belegen konnte. Als sie das nicht fand, hat sie sich mit der Zerstörung der alten Themen hervorgetan.

War sie denn Ihre bevorzugte Wahl? Im Buch steht nur, dass sie auf der Liste stand.
Ich sage zur Causa Schick nicht mehr als das, was ich im Buch gesagt habe. Ansonsten halte ich mich konsequent daran, nicht darüber zu berichten, was zu den Interna eines Aufsichtsrates zählt.

Mehr Offenheit hätten sicherlich auch einige Leser in einem zweiten, sehr privaten Punkt erwartet: zu Ihrem späten Coming-out.
Ich bin da vielleicht altmodisch, aber das geht eigentlich niemand etwas an. Ich habe das ja auch nur unter Druck gemacht, um das Gesetz des Handelns in der Hand zu behalten. Ich möchte das keinem zumuten, was ich durch mein Outing erlebe. Man wird Gegenstand eines schäbigen Voyeurismus. Das Recht auf Privatheit wird durchschossen. Einige beginnen zudem, meine Arbeit durch ihre neue Brille zu bewerten. Das ist alles nicht erfreulich. Unsere Gesellschaft ist viel intoleranter auf der Hinterbühne, als es auf der Vorderbühne gespielt wird.

In Ihrer Vita spielt das Thema Bildung eine zentrale Rolle. Sie haben den Bildungsauftrag in die Unternehmen getragen. Haben bei der Lufthansa die erste Corporate University gegründet und auch bei Conti und der Telekom Bildungszentren aufgebaut. Sind das die Laboratorien, in denen auch die Unternehmen ihre Art von Bildung leben können?
Die Bildungsarbeit in den Unternehmen ist durch den Begriff „Training“ eine Mindfucking- Maschinerie geworden. Bildung ist auf die Frage reduziert worden, was für das gegenwärtige Betriebssystem wichtig ist. Das ist Lernen erster Ordnung, aber nicht zweiter oder dritter Ordnung. Es geht also nicht um Zukunftsthemen. Auf das Beispiel Eon bezogen: Eine Eon Academy hätte vor sieben Jahren für mögliche Risiken des alten Geschäftsmodells sensibilisieren und auf neue Unternehmerfähigkeiten vorbereiten müssen. Nicht im Training, sondern in Transformationslabs. Damit würde Bildung zum Katalysator von Veränderung. Das heißt auch, dass der Auftrag von Bildung nicht die geölte Reproduktion des Status quo ist, sondern sie radikale Veränderungen in den Blick nehmen muss. Das machen Transformationslabs. Einige Unternehmen arbeiten jetzt, an HR vorbei, in Co- Working-Spaces oder richten Digital Transformation Units ein. Natürlich naiv und in simpler Ingenieursdenke.

Wir müssen Personalentwicklung also neu denken, um innovationsfähig zu bleiben.
Mir sagte neulich die Personalchefin eines Start-ups, dass sie jetzt Führungskräftetrainings für Mitarbeitergespräche aufbauen solle. Da fragte ich, wieso sie die Führungskräfte und Mitarbeiter nicht gemeinsam zu einem Laboratorium einlade und sie hierarchieübergreifend an dem Thema arbeiten lasse, warum sie separieren wolle. Unsere Bildungsarbeit ist eine Separierungsarbeit und keine Kollaborationsarbeit, und sie reflektiert das alte hierarchische System und nicht die Hierarchie- Armut der Zukunft.

Wenn ich Sie jetzt höre, müssten Sie doch noch ein weiteres Buch für Personaler schreiben. Welche Botschaft geben Sie den aktiven Personalmanagern mit?
Natürlich reflektiert das Buch auch meine tiefe Enttäuschung über den Zustand der Personalarbeit. Meine Botschaft an die Kollegen lautet: Hört auf mit den bescheuerten Produkten, Toolboxen, Programmen und Services. Die Zeit ist wieder da, in großen Architekturen oder Organisationsdesigns für das System Arbeit zu denken. Das „Klein-Klein“ der Produkte kommt dann viel später.

Auch Sie haben noch Großes vor. Im letzten Kapitel Ihres Buches skizzieren Sie ein Zukunftsprogramm, eine neue Art der APO, an der sich auch Personaler beteiligen.
Die neue, in Gründung befindliche Zukunftsallianz Arbeit und Gesellschaft, kurz ZAAG, könnte ein Nukleus einer zivilgesellschaftlichen Stimme werden, die mit einer anderen Kraft Themen adressiert. Dabei geht es nicht nur um das System Arbeit, sondern auch um Migration, Arbeitsmärkte, Sozialpolitik, Bildung. Wir basteln daran.

Joschka Fischer sieht Sie sogar in der Politik, zwar nicht bei den Grünen, sondern bei der FDP.
Mal sehen! Ich sehe mich derzeit eher als One-Dollar-Man, der beispielsweise als EU-Botschafter für Bildung seine Erfahrung einbringen könnte, um das Thema der europäischen Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Bei dem Tatendrang, den Sie verspüren, und bei Ihrem Aktionsprogramm, mit dem Sie zu einer neuen APO aufrufen, lag es nahe, dass Ihr Verleger in Berlin einen zweiten Teil Ihrer Biografie spätestens in 15 Jahren angekündigt hat. Wie könnte dann der Titel lauten?
Rebellen leben länger.

Das Interview führte Erwin Stickling.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung des Gesprächs mit Thomas Sattelberger. Das vollständige Interview finden Sie in der Aprilausgabe 2015 der Personalwirtschaft mit dem Titel „Demokratisierungs-Debatte: Das Unternehmen sind wir“.