Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen ihre Arbeitszeit künftig zwingend erfassen – und zwar in der Regel elektronisch und am selben Tag. Das geht aus einem Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) hervor, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Zuvor hat die Süddeutsche Zeitung (SZ) über den Entwurf berichtet und sprach von einer umfassenden Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes. Die bekannt gewordenen Details möchte das BMAS auf Nachfrage unserer Redaktion nicht kommentieren, da sich der Entwurf derzeit in der regierungsinternen Abstimmung befinde. Inzwischen liegt das Dokument auch unserer Redaktion vor. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte eigentlich angekündigt, dass mit dem Entwurf „voraussichtlich im ersten Quartal 2023“ zu rechnen ist.
Der Entwurf bestätigt Regelungen, von deren Einführung die meisten Arbeitsrechtlerinnen und Arbeitsrechtler sowie HR-Verantwortliche bereits in den vergangenen Monaten ausgegangen waren: Demnach müssen Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit in Zukunft erfasst werden. „Auch die Option, die Arbeitszeit entweder durch die Mitarbeitenden oder durch den Arbeitgeber erfassen zu lassen, entsprach bereits der bisherigen Lesart und Sichtweise der gerichtlichen Vorgaben“, sagt Michael Fuhlrott, Arbeitsrechtler der Kanzlei Fuhlrott Hiéramente & von der Meden. Die Tatsache, dass die bloße Bereitstellung eines Zeiterfassungssystems dabei nicht ausreicht, sondern die Arbeitgeber die Erfassung, sofern sie sie nicht selbst vornehmen, kontrollieren müssen, dürfte ebenfalls nicht überraschen
Was aber durchaus noch unklar war und nun im Entwurf konkretisiert wurde, ist die Form der Erfassung. Sie muss elektronisch erfolgen. Weiterhin wird die Erfassung der Arbeitszeit insofern verschärft, als dass zwingend die tägliche Arbeitszeit dokumentiert werden soll. Eine wochenweise Erfassung ist damit vom Tisch.
Ausnahmen für Kleinbetriebe und Tarifparteien
Freuen dürften sich Kleinbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitenden, denn sie können auf eine elektronische Aufzeichnung verzichten. Fuhlrott zufolge bleibe das BMAS damit bei der Ansicht des EuGH: „Die Herausnahme von Kleinbetrieben erscheint sinnvoll. Diese Möglichkeit sieht das Urteil des Europäischen Gerichtshof aus 2019 ausdrücklich vor.“
Einen Spielraum bei der Arbeitszeiterfassung scheinen tarifgebundene Unternehmen zu haben. Laut dem Gesetzentwurf können Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften per Tarifvertrag Ausnahmen von der täglichen Aufzeichnungsfrist vereinbaren oder Klauseln formulieren, die eine Regelung auf Unternehmensebene durch Management und Betriebsräte eröffnen. Sie können dem Entwurf zufolge in „einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung“ festlegen, dass die Arbeitszeit in „nichtelektronischer Form“ aufgezeichnet wird, also auf Papier. Außerdem können sie die Arbeitszeit der Mitarbeitenden später festhalten als am Tag der Tätigkeitsverrichtung, maximal aber eine Woche nach der geleisteten Arbeit.
„Die Möglichkeit für passgenaue betriebliche Regelungen durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag ist sehr zu begrüßen“, äußert Fuhlrott unserer Redaktion gegenüber. „Was aber nicht gehen dürfte: Eine Regelung, wonach Unternehmen und Betriebsrat einfach per Betriebsvereinbarung beschließen, die Arbeitszeit für alle im Betrieb tätigen Beschäftigten nicht zu erfassen. Hier dürfte der Gesetzentwurf, um den Vorgaben des europäischen Rechts zu entsprechen, sehr enge Voraussetzungen vorsehen.“ Welche Handhabe die Tarifparteien tatsächlich bekommen, lässt sich verlässlich erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens absehen.
Der Hintergrund
Bislang mussten hierzulande zwingend nur Mehrarbeit sowie die Sonntags- und Feiertagsarbeit von Beschäftigten dokumentiert werden. Zwar verpflichtete der Europäische Gerichtshof (EuGH) dann 2019 die Mitgliedsstaaten der EU dazu, Arbeitgeber müssten mittels eines „objektiven, verlässlichen und zugänglichen“ Systems die tägliche Arbeitszeit von Beschäftigten erfassen. Da aber das deutsche Arbeitszeitgesetz bisher nicht angepasst wurde und dem EuGH-Urteil keine Direktwirkung zugesprochen wird, folgte aus diesem Urteil auch keine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für die Arbeitgeber – dachten sie.
Das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) vom September 2022 wies dann allerdings darauf hin, dass sich aus dem Paragrafen 3 des Arbeitsschutzgesetzes auch die Pflicht ergibt, die generelle Arbeitszeit zu erfassen. Das BMAS stellte im Zuge des BAG-Grundsatzurteils aus dem September 2022 klar, dass die Arbeitszeiterfassung auch schon vor einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes bestehe. Einige Unternehmen wollen dennoch eine Novelle des Arbeitszeitgesetzes abwarten, bis sie aktiv werden und eine Arbeitszeiterfassung in ihrem Betrieb einführen.
Derzeit setzen nach Angaben des Digitalverbands Bitkom bereits gut 59 Prozent der Unternehmen diese Pflicht zur Arbeitszeiterfassung um, wobei die meisten davon „ein elektronisches System“ nutzen.
[Der Artikel erschien ursprünglich am 18. April 2023 und wurde zuletzt am 20. April 2023 aktualisiert.]