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Drinsein oder Nichtsein

Foto einer Filmkamera
Darf die Bundesagentur für Arbeit über die Fähigkeiten eines Schauspielers richten? Mit dieser Frage hatte sich bereits die zweite Instanz zu befassen. Foto: pexels

„Spricht ganz gut, hat aber wenig Ausstrahlung.” Das war noch einer der freundlicheren Vermerke über Schauspielerin Rebecca Molinari. Die vermeintlichen Experten ließen sich zu weiteren Urteilen wie „ohne jeden Charme” und „wirkt ältlich” hinreißen. Ob sie sich das gut überlegt hätte, mit 33 Jahren noch eine Schauspielkarriere zu beginnen? Überhaupt: Schauspielerin? Wäre Verkäuferin nicht der geeignetere Beruf?

Das Tribunal, vor dem Molinari sprechen musste, bestand nicht aus als exzentrisch bekannten Theatergranden – sondern der Bundesagentur für Arbeit (BA), genauer: der dort angesiedelten Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV). Sie vermittelt darstellende Künstler und greift dabei nach eigener Aussage auf den bundesweit größten Künstlerpool zu: „Künstler, die in der ZAV-Datenbank aufgenommen werden, erfüllen unsere anspruchsvollen Kriterien, damit sie Ihre Besucher verzaubern können.” 

Sieg nach sieben Jahren

In ist, wer drin ist: Nach Angaben des Verbands deutschsprachiger privater Schauspielschulen (VdpS) kann eine Listung in der ZAV-Kartei von existenzieller Bedeutung sein: „Denn viele Bühnen schreiben freie Rollen oft gar nicht aus, sondern wenden sich direkt an die ZAV.” Schauspieler, die nicht in der Kartei sind, hätten keine Chance, ein Engagement zu erhalten. Rebecca Molinari hatte längst einen Abschluss an der privaten Filmschauspielschule Berlin in der Tasche. Allein, Schauspieler, die keinen Abschluss an einer staatlichen Schauspielschule vorweisen können, mussten bisher für die Aufnahme in die Vermittlungskartei einen Eingangstest der ZAV absolvieren. Im Gegensatz zu Absolventen staatlicher Schauspielschulen. 

Molinari fiel durch – und wollte sich das nicht gefallen lassen. Der SZ sagte sie, dass sie darin nicht nur eine Diskriminierung wegen ihres Alters sehe, sondern auch eine Benachteiligung aller Absolventen privater Schulen. Die Schauspielerin ist heute 40 Jahre alt – und nach sieben Prozessjahren am Ziel. Nachdem die Vorinstanzen ihre Klage noch abgewiesen hatten, beurteilte das Bundessozialgericht (BSG) das bisherige Verfahren der BA nun als rechtswidrig. Sie müsse Schauspieler demnach in die bei der ZAV geführte Vermittlungskartei aufnehmen.

Begründet wurde das Urteil mit § 35 SGB III, nach der die BA Arbeitsuchenden und Arbeitgebern Arbeitsvermittlung anzubieten habe. Die Agentur nehme mit diesem Auftrag hoheitliche Aufgaben wahr, deren inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen hat. Wenn sie spezielle Karteien für bestimmte Berufsgruppen bildet, ist es ihr unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich verbürgten Berufsfreiheit verwehrt, Arbeitssuchende mit einem entsprechenden Berufsabschluss nicht aufzunehmen. Zumindest, nachdem das Landessozialgericht bereits festgestellt hatte, dass Molinaris Ausbildung jener an einer staatlichen Schule inhaltlich gleichwertig ist und eine Nichtaufnahme zu einer faktischen Nichtvermittlung führt. 

„Beseitigung von Unrecht”

„Ich bin froh, dass mich die Demütigungen des ZAV nicht eingeschüchtert haben, und hoffe, dass viele Schauspieler von der Beseitigung dieses Unrechts profitieren werden”, sagte Molinari nach der Urteilsverkündung. Der VdpS nennt die Entscheidung wegweisend. Schauspieler hätten damit grundsätzlich Anspruch auf Aufnahme in die Vermittlungskartei, die bisher von der ZAV durchgeführten Eingangstests seien rechtswidrig. Nach wie vor dürfe die Vermittlung die Eignung eines Schauspielers aber mittels einer Potenzialanalyse prüfen und die Ergebnisse in den Vermittlungsvorgang einfließen lassen. 

Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Oktober 2017 (Az.: B 11 AL 24/16 R)

Vorinstanzen:Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. März 2016 (Az.: L 18 AL 7/15) und des Sozialgerichts Berlin vom 14. November 2014 (Az.: S 80 AL 2017/11)

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