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„Es bedarf einer Agilitätskompetenz“

Arbeitsrechtlerin Britta Redmann ist Expertin für agile und kollaborative Organisationsformen. / Foto: Susanne Horn
Arbeitsrechtlerin Britta Redmann ist Expertin für agile und kollaborative Organisationsformen. / Foto: Susanne Horn

Personalwirtschaft: Frau Redmann, warum braucht agiles Arbeiten besondere rechtliche Rahmenbedingungen?
Britta Redmann: Durch den Wandel, den wir aktuell in unserer Gesellschaft und auch in unserer Arbeitswelt erleben, verändern sich die Organisationsstrukturen in Unternehmen. Der Trend geht eher weg von einer hierarchischen Form hin zu einer Netzwerkbildung. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Rolle von Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Sie verlieren an der bisherigen Kontur. Damit alle agilen Spielräume so weit wie möglich erschlossen werden können, ist es wichtig, auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu kennen, in denen sich Arbeitgeber bewegen dürfen. Sind diese bekannt, kann agiles Arbeiten schöpferisch und rechtssicher gestaltet werden. Darüber hinaus schafft und braucht Agilität auch eine bestimmte Unternehmenskultur. Sofern sich Unternehmen also dafür entscheiden, agil zu arbeiten, ist das ein Einzahlen auf eine Vertrauenskultur. Und damit dieses Vertrauen haltbar bleibt, sind bestimmte rechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Rechtliche Verlässlichkeit schafft Vertrauen.

Wer hat größere Probleme mit dem rechtssicheren Übergang in die Agilität? Personaler oder Betriebsräte?
Personaler und Betriebsräte sind beide wichtige Funktionsträger in Organisationen. Für beide ist es Teil ihrer Aufgabe, auf rechtliche Konformität zu achten. Die eben erwähnte große agile Gestaltungsfreiheit verlangt Mut, Pioniergeist und mehr Kreativität zum Ausprobieren von praktischen Lösungen. Hier sind alle gefragt: Mitarbeiter, Personaler, Betriebsräte, Führungskräfte, Firmeninhaber. Einer alleine kann hier wenig bewegen; es lebt durch das Gemeinsame. Wem das leichter oder schwerer fällt, ist nicht pauschal zu sagen und hat meines Erachtens auch wenig mit der Rolle zu tun, die jemand innehat, sondern eher mit seiner Persönlichkeit. Wir sind alle Menschen und dem einen fallen Veränderungen, Ideen für neue Herangehensweisen und auch die Gelassenheit, etwas auszuprobieren, leichter als dem anderen.

Agilität bedeutet kleinschrittiges Arbeiten, viele Iterationsschleifen, eine Menge Kommunikation und weniger Hierarchie – was wird aus dem Direktionsrecht des Vorgesetzten?
Das Direktionsrecht des Vorgesetzten steht nicht im Widerspruch zu agilem Arbeiten, denn im Rahmen seines Weisungsrechts hat der Arbeitgeber grundsätzlich ein subjektives Gestaltungsrecht, was Arbeitsmethoden und Arbeitsansätze anbelangt. Der Arbeitgeber – und der Vorgesetzte ist an dieser Stelle der Vertreter des Arbeitgebers – darf und muss sogar unter Umständen durch eine genaue Anweisung bestimmter Handlungen und Unterlassungen, die Arbeitsverpflichtung konkretisieren. Das ergibt sich aus § 106 GewO, in dem das Weisungsrecht gesetzlich begründet ist. Nach dieser Norm erstreckt sich das Weisungsrecht über die reine Arbeitsleistung hinaus auch auf die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb. Der Arbeitgeber darf bestimmen, was gemacht wird und wie etwas gemacht wird. Somit darf der Vorgesetzte grundsätzlich agile Arbeitsmethoden und agile Arbeitsweisen im Rahmen der für ihn bestehenden rechtlichen Bedingungen kraft seines Direktionsrechts anordnen.

Im Buch gibt es ein eigenes Kapitel zum agilen Performance Management. Wie wichtig ist dieses Thema?
Agile Unternehmen verwenden ein Performance Management, welches als Ziel hat, den Umgang mit Veränderung zu leben und – ganz wichtig – daraus zu lernen, mit hoher Komplexität umzugehen und ein unternehmerisches Denken bei allen zu stärken. Das Miteinander, das Wie-etwas-getan-wird, ist eine wichtige Kraft. Agilität gelingt nur in der Vernetzung mit anderen und daher betrifft das gemeinsame verbindliche Verständnis zur Zusammenarbeit ebenso die Zielbestimmung. Andernfalls besteht die Gefahr, dass jeder Mitarbeiter in eine andere Richtung läuft und sich die Synergieeffekte einer Vernetzung nicht entfalten können. In seiner Wirkung unterscheidet sich ein agiler Performance-Prozess darin, dass er neben der Zielerreichung zu agiler Leistung beiträgt, sie entwickelt, stärkt und fördert. Daher sollten Performance-Instrumente zu agilen Arbeitsweisen passen.

Britta Redmann: Agiles Arbeiten im Unternehmen. Rechtliche Rahmenbedingungen und gesetzliche Anforderungen, Haufe 2017, 231 Seiten,
39,95 Euro
Britta Redmann: Agiles Arbeiten im Unternehmen. Rechtliche Rahmenbedingungen und gesetzliche Anforderungen, Haufe 2017, 231 Seiten,
39,95 Euro

Einige Unternehmen, Abteilungen und Projekte scheinen nach einem überhasteten Sprung in die Agilität auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Täuscht der Eindruck oder ist der große Agile-Hype tatsächlich an mancher Stelle inzwischen wieder vorbei?
Die aktuellen Herausforderungen der Arbeitswelt sind zu umfangreich, zu schnelllebig und zu vielschichtig für unsere herkömmlichen, durchgängig geplanten Unternehmensorganisationen und Prozesse. Agilität kann daher für Unternehmen eine mögliche Antwort für eine auch zukünftig leistungsstarke Kultur und Unternehmensentwicklung sein. Allerdings sollte jedes Unternehmen vorab für sich klären, prüfen und entscheiden, ob agiles Arbeiten von Nutzen ist. Es ist ein ganzheitlicher und anhaltender Prozess, an dem alle Mitarbeiter mitwirken. Es bedarf daher einer besonderen Form der Kooperation zwischen Funktionen, Teams, Führungskräften, Personal, Betriebsräten und so weiter, zu der alle aktiv beitragen müssen. Damit Agilität funktionieren kann, ist ein Unternehmen in seiner Wahrnehmung, Reflexion und Veränderungsbereitschaft zu stärken und zu stützen. Ich spreche hier auch von einer Agilitätskompetenz. Einer solchen gilt es sich zu öffnen, diese zu schaffen und zu entwickeln, soweit sich Unternehmen zu agilem Arbeiten entschließen. Das gefühlte Scheitern in einigen Unternehmen kann ich mir so erklären, dass lediglich nur ausgerufen wurde, „Wir werden jetzt agil“, ohne sich vorab über die Faktoren Kultur, Kompetenzen, Konsequenzen Gedanken gemacht zu haben.

Welche Tipps geben Sie Unternehmen, die den Schritt in Richtung Agilität nachhaltig und ohne Enttäuschung gehen wollen?

Es ist wichtig, dass ein Unternehmen für sich vorab festlegt, was genau mit einer agilen Unternehmensform erreicht werden soll.

Dies hat zur Folge, dass jegliche Form von Agilität immer nur für das jeweilige Unternehmen definiert werden kann. Auch wenn sich Gemeinsamkeiten wie zum Beispiel Werte, bestimmte Methoden und Strukturen erkennen lassen und das agile Manifest eine Orientierung bietet, ist Agilität dennoch eine Ausformung dessen, was genau dem einzelnen Unternehmen nutzt und was konkret auch das einzelne Unternehmen damit erreichen möchte. Die strategische Ausrichtung, das Kundenverständnis, das Leistungsverständnis sind vorab zu klären, um als notwendige Orientierungspunkte herangezogen werden zu können. Weiterhin gehören Enttäuschungen zum Lernen dazu. Das sollte akzeptiert werden können. Und davon sollten sich Unternehmen nicht verunsichern lassen. Natürlich wollen Unternehmen erfolgreich sein. Das ist auch wichtig und richtig so. Manchmal bekommen wir jedoch nur heraus, ob etwas richtig oder falsch ist, indem wir es ausprobieren. Und das birgt natürlich auch die Möglichkeit, dass nicht immer alles sofort klappt. Zu agilem Arbeiten gehört mehr als nur der Wille, es zu tun. Es bedarf einer Agilitätskompetenz und diese müssen sich Unternehmen schaffen und dann dranbleiben, sie immer weiter zu entwickeln.

Zur Person: Britta Redmann ist Rechtsanwältin, Arbeitsrechtlerin und Unternehmensentwicklerin bei Veda. Ihre Expertise liegt in der Gestaltung von agilen und kollaborativen Organisationsformen sowie neuen, zukünftigen Formen des Performance Managements und der Zusammenarbeit von Menschen.

Interview: Cliff Lehnen und Erwin Stickling