Herr Dr. Mitterer, am Freitag findet
wieder ein weltweiter „Klimastreik“ statt. Müssen Arbeitgeber Arbeitnehmer, die daran teilnehmen, freistellen? Zumindest
dem Namen nach ist es ja ein Streik.
Lorenz Mitterer: Es besteht keine
Pflicht zur Freistellung von Arbeitnehmern für die Teilnahme an der
Demonstration. Arbeitnehmer können im Einzelfall berechtigt sein, die Arbeit
niederzulegen, um Arbeitskampf zu betreiben. Dies kann insbesondere der Fall sein
bei gewerkschaftlich organisierten Streiks um tariflich regelbare Ziele, wie
sie gerade bei der Deutschen Bahn stattgefunden haben. Die Teilnahme an
politisch oder sonst veranlassten Demonstrationen – hierzu zählt auch die
Klimaschutz-Demonstration am Freitag dieser Woche – berechtigen dagegen nicht
zur Niederlegung der Arbeit. Den Arbeitnehmern steht es aber frei, Urlaub,
Freizeitausgleich, Überstundenabbau oder unbezahlte Freistellung zu beantragen,
um an den Klimaschutz-Demonstrationen teilnehmen zu können. Einen Antrag auf
Gewährung von Urlaub darf der Arbeitgeber nur aus dringenden betrieblichen
Gründen ablehnen.
Was
ist, wenn sich Arbeitnehmer ehrenamtlich in einer Klimaorganisation engagieren,
die eine solche Demonstration mitveranstalten? Besteht dann ein Anspruch auf
Freistellung?
Nein, denn es handelt sich um ein
freiwilliges Ehrenamt. Die Wahrnehmung eines solchen freiwilligen Ehrenamts ist
Privatangelegenheit des Arbeitnehmers. Hierfür fehlt es, anders als beim öffentlichen
Ehrenamt, an einem gesetzlichen Freistellungs- sowie Entgeltfortzahlungsanspruch.
Sind
Arbeitnehmer von ihren Pflichten auf der Arbeit entbunden, wenn sie nicht zur
Arbeit kommen können, weil ihr Weg zur Arbeit durch eine
Klimaschutz-Demonstration oder ähnliches blockiert wird?
Auch das nicht, denn pünktlich am
Arbeitsplatz zu erscheinen, liegt in der Verantwortung des Arbeitnehmers. Die
Rede ist hier vom sogenannten Wegerisiko, das der Arbeitnehmer trägt. Die
Pflicht, auf der Arbeit zu erscheinen besteht auch fort, wenn eine Klimaschutz-Demonstration,
schlechte Witterung oder ein Streik den Weg blockieren und eine Arbeitsaufnahme
erheblich erschweren.
Ein ohne Zustimmung seines Arbeitgebers
während der Arbeitszeit demonstrierender Arbeitnehmer verletzt seine
arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht.
Welche
arbeitsrechtlichen Schritte kann ein Arbeitgeber einleiten, wenn ein
Arbeitnehmer „blau macht“, um auf eine Demo zu gehen?
Ein ohne Zustimmung seines Arbeitgebers
während der Arbeitszeit demonstrierender Arbeitnehmer verletzt seine
arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht. Unabhängig davon, dass in solchen
Fällen kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, kann eine solche
Verletzung arbeitsrechtliche Maßnahmen wie eine Abmahnung oder gar Kündigung
rechtfertigen.
Dürfen
Arbeitgeber Arbeitnehmer dazu einladen, gemeinsam als Unternehmen an einer Demo
teilzunehmen?
Gegen eine unverbindliche Einladung oder
Aufforderung des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer zur Teilnahme an
außerbetrieblichen Veranstaltungen bestehen keine grundsätzlichen rechtlichen
Bedenken. Problematisch ist es dagegen, wenn der Arbeitgeber unter Verweis auf
das arbeitgeberseitige Direktionsrecht versucht, Arbeitnehmer zu verpflichten,
während ihrer Arbeitszeit an der Demonstration teilzunehmen.
Warum das?
Das Direktionsrecht beschränkt sich auf Angelegenheiten,
die in einem Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung stehen. Das ist
bei der Teilnahme an einer Klimaschutz-Demonstration in der Regel nicht der
Fall. Jedoch sind Ausnahmefälle denkbar, in denen die Pflicht zur Teilnahme an
einer solchen Demonstration vom Direktionsrecht des Arbeitsgebers mitinbegriffen
ist, zum Beispiel bei Mitarbeitern einer Klimaschutzorganisation.
Wer
trägt das Versicherungsrisiko, wenn der Arbeitgeber Arbeitnehmer für
Demonstrationen freistellt?
Es besteht nur dann betrieblicher
Versicherungsschutz, wenn die Verletzung des Arbeitnehmers in direktem
Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit steht. Ein solcher Zusammenhang
scheidet bei Unfällen auf einer Klimaschutz-Demonstration in aller Regel aus. Das
Versicherungsrisiko liegt hier beim Demonstrierenden und nicht beim
Arbeitgeber. Etwas anderes gilt aber, wenn sich der Arbeitnehmer auf dem
Rückweg von der Demonstration zum Arbeitsplatz verletzt. Hier hängt die
Verletzung mit der beruflichen Tätigkeit zusammen und das Versicherungsrisiko
trägt der Arbeitgeber.
Stellt
ein Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer für eine Demo frei, haben dann andere Arbeitnehmer
ebenfalls einen Anspruch auf Freistellung?
Ja, denn aus Sicht des Arbeitgebers ist der
Grundsatz der Gleichbehandlung zu beachten. Wenn er Arbeitnehmer für die
Klimaschutz-Demonstration von der Arbeit freistellt, muss er grundsätzlich auch
andere Arbeitnehmer für diese Zeit und diesen Zweck freistellen, sofern kein
sachlicher Differenzierungsgrund wie das erreichbar sein für Kunden besteht. Außerdem
muss er in Zukunft dann unter Umständen auch Arbeitnehmer für andere
Demonstrationen freistellen, auch wenn er deren Ziele wohlmöglich gar nicht
unterstützen möchte. Solche Freistellungen können aber auch gefährlich werden.
Bitte erklären Sie das.
Für eine Führungskraft stellt sich bei
bezahlter Freistellung die Frage, ob sie gegen ihre Pflicht zur
Vermögensbetreuungspflicht verstößt und sich damit unter Umständen sogar
strafbar macht. Weil eine bezahlte Freistellung stets eine finanzielle Einbuße
für den Arbeitgeber bedeutet. Deshalb sollten sich Entscheidungstragende vorher
informieren und rückversichern.
Tim Stakenborg verantwortet die Heftplanung des Magazins Personalwirtschaft. Zudem betreut er das Thema Aus- und Weiterbildung (inklusive MBA und E-Learning) und beschäftigt sich mit dem Bereich Employee Experience und Retention.