Aktuelle Ausgabe

Newsletter

Abonnieren

Krankschreibung für gesamte Kündigungsfrist: Wann gilt sie (nicht)?

Wird ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin unmittelbar vor Erhalt eines Kündigungsschreibens krankgeschrieben und bleibt die gesamte Dauer der späteren Kündigungsfrist arbeitsunfähig, darf ein Arbeitgeber allein deshalb nicht den Beweiswert der entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln. Daher kann laut Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen die Lohnfortzahlung in derartigen Fällen auch nicht ohne Weiteres verweigert werden.

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall eingeklagt hatte ein Arbeitnehmer, der bei einer Leiharbeitsfirma seit Mitte März 2021 als Helfer beschäftigt war. Ab dem 21.04.2022 wurde der Mann dann den Angaben zufolge nicht mehr eingesetzt. Am 02.05. legte er seinem Arbeitgeber dann eine Krankschreibung seines Hausarztes vor, laut der er bis einschließlich 06.05. arbeitsunfähig war. Am gleichen Tag kündigte die Firma dann das Arbeitsverhältnis ordentlich zu Ende Mai, wobei der Beschäftigte das Schreiben erst am Folgetag erhielt.

Als die Erkrankung des Mannes andauerte und er zwei weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vorlegte und bis Ende Mai ausfiel, ließ die Firma ihn wissen, man habe „ernsthafte Zweifel“ an seiner Arbeitsunfähigkeit, die „gleichzeitig“ mit dem Ausspruch der Kündigung eingetreten sei.

Arbeitnehmer klagte Lohnfortzahlung ein

Vor Gericht verlangte der Leiharbeitnehmer ausstehenden Lohn in Höhe von gut 1.675 EUR. Schließlich habe er sich krankgemeldet, bevor die Entlassung ausgesprochen worden war. Die vom Arbeitgeber behauptete „Koinzidenz“ sei damit nicht gegeben. Das sah auch das Arbeitsgericht Hildesheim so und verurteilte die Firma zu einer entsprechenden Nachzahlung.

Dagegen ging das Unternehmen in Berufung und verwies darauf, dass „die gesamte verbleibende Zeit des restlichen Arbeitsverhältnisses passgenau mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen abgedeckt worden“ sei. Außerdem habe der (ehemalige) Arbeitnehmer zu Anfang Juni „nahtlos“ einen neuen Job an anderer Stelle aufgenommen.

Reihenfolge der Ereignisse für Lohnfortzahlung wichtig

Dem widersprachen die Richter am LAG nicht, entschieden aber dennoch zugunsten des Klägers. Denn – so die Begründung – die bloße Tatsache, „dass ein Arbeitnehmer vor dem Ende eines gekündigten Arbeitsverhältnisses und bis zu dessen letztem Tag – und sei es auch für mehrere Wochen – erkrankt, erschüttert den Beweiswert [der AU] aus Sicht der Kammer nicht“.

Zwar könne eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich angezweifelt werden, wenn sich ein Arbeitnehmer „im Falle des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend – ‚postwendend‘ – krank meldet“, insbesondere wenn dabei „lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist“ abgedeckt werde. Gleiches gelte in bestimmten Fällen für eine AU bei Eigenkündigung, wie bereits das Bundesarbeitsgericht entschieden habe (BAG, 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).

Hier aber, sei die Fallkonstellation eine andere:„Der zeitliche Ablauf der Geschehnisse war genau umgekehrt: Es war der Kläger, der am 2.5.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten einreichte, die an ebendiesem Tag ausgestellt war und diesen Tag als ersten Tag der Krankheit benannte. Die Kündigung der Beklagten datiert zwar auch vom 2.5.2022, ging dem Kläger jedoch erst am 3.5.2022 zu. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte das Kündigungsschreiben bereits aufgesetzt hatte bzw. bereits zur Kündigung entschlossen war, als sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhielt, denn darauf kommt es vorliegend nicht an.“

Entscheidet sei insofern, „dass der Kläger nicht erst durch den Erhalt einer arbeitgeberseitigen Kündigung dazu motiviert worden sein kann, einen Arzt aufzusuchen, um die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erreichen“. Daher dürfe dem Mann die Lohnfortzahlung nicht verweigert werden.

Da noch nicht „hinlänglich geklärt“ sei, wann der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei Krankschreibung im Zusammenhang mit einer arbeitgeberseitigen Kündigung erschüttert wird, wurde Revision zum BAG zugelassen.

Info

Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.