Müssen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auch bei vorhersehbaren Schwierigkeiten oder einem anstehenden Streik im Betrieb erscheinen, insbesondere wenn kein Bus mehr fährt und die Mitarbeitenden ihren üblichen Weg zur Arbeit nicht antreten können? Die Rechtslage ist eindeutig, erläutert Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott von der Kanzlei FHM Fuhlrott Hiéramente & von der Meden: „Wie der Arbeitnehmer zur Arbeit gelangt, ist seine Sache. Er hat sicherzustellen, dass er pünktlich zum Arbeitsbeginn im Betrieb erscheint, um die Arbeit aufnehmen zu können.“
Das Wegerisiko trägt also immer der Mitarbeitende. „Da der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ja auch nicht vorschreibt, wo dieser zu wohnen hat und wie dieser zur Arbeit kommt, muss der Beschäftigte eigenständig planen und sicherstellen, dass er zur Arbeit gelangt“, so Fuhlrott.
Im Zweifel muss der Arbeitnehmende mehr Zeit für die Anreise einplanen. Sei zudem vorhersehbar, dass es Störungen auf dem Arbeitsweg geben wird, die einem pünktlichen Erscheinen entgegenstehen, muss er im Vorfeld aktiv werden: „Ist mir bereits einige Tage vorher bekannt, dass keine Busse und Bahnen fahren werden, muss ich umplanen. Ich muss etwa überlegen, das eigene Auto zu nehmen, auf das Fahrrad umzusteigen oder Fahrgemeinschaften zu bilden“, sagt Arbeitsrechtler Fuhlrott.
Ohne Arbeit kein Lohn
Wer dennoch nicht oder zu spät zur Arbeit erscheint, dem drohen Lohneinbußen: Der Mitarbeitende hat für die Länge des Zeitversäumnis keinen Anspruch auf Bezahlung. Gibt es Arbeitszeitkonten mit Gleitzeitregelungen, kann die ausgefallene Arbeitszeit womöglich nachgeholt werden. „Ist der Arbeitsbeginn aber fix um 8 Uhr vereinbart und endet die Schicht um 16:30 Uhr und kommt der Arbeitnehmer erst um 10 Uhr zur Arbeit, werden ihm die ersten beiden Stunden nicht vergütet“, unterstreicht der Hamburger Fachanwalt.
Es gelte der Grundsatz: ohne Arbeit kein Lohn. „Arbeitgeber müssen nur Lohn zahlen, wenn der Arbeitnehmer auch tatsächlich arbeitet oder es eine gesetzliche Ausnahme wie etwa die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt, wonach der Arbeitgeber auch ohne Arbeitsleistung zahlen muss.“ Auf die gesetzliche Ausnahmevorschrift des § 616 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wird sich der Arbeitnehmer beziehungsweise die Arbeitnehmerin in der aktuellen Situation auch nicht berufen können. Nach dieser Vorschrift behält er oder sie seinen Lohnanspruch, wenn er für eine nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund an der Arbeitsleistung verhindert wird.
„Diese Vorschrift ist zum einen in vielen Arbeitsverträgen standardmäßig ausgeschlossen. Zum anderen handelt es sich bei einem eine Vielzahl von Arbeitnehmern treffenden Streik nicht mehr um einen in der Person des einzelnen Arbeitnehmers liegenden Grund“, erläutert Arbeitsrechtsprofessor Fuhlrott.
Abmahnung bei Fernbleiben?
Wer trotz aller Mühen nicht rechtzeitig oder womöglich gar nicht zur Arbeit kommen kann, weil er schlicht keine Mittel findet zu erscheinen, müsse aber regelmäßig nicht mit einer Abmahnung oder gar Kündigung rechnen, so Fuhlrott: „Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitnehmer alles ihm Mögliche unternimmt, um zur Arbeit zu gelangen. Da der Streik einige Tage vorher bekannt gegeben worden ist, treffen den Arbeitnehmer hier auch höhere Anforderungen als bei der ganz kurzfristigen Bekanntgabe eines Streiks am gleichen Tag“.
Wer also am Montag ohne Alternativplan zur Haltestelle kommt und feststellt, dass der Bus nicht fährt und sich erst dann Gedanken macht, wie er zur Arbeit kommen könnte und daraufhin mit erheblicher Verspätung im Büro eintrifft, muss damit rechnen, dass der Arbeitgeber dieses Fehlverhalten abmahnt. „Wichtig ist zudem, den Arbeitgeber rechtzeitig zu informieren. Stelle ich am Montag fest, dass ich es trotz meiner Alternativplanung einfach nicht schaffen werde, rechtzeitig im Betrieb zu erscheinen, muss ich meinen Arbeitgeber hierüber umgehend informieren“, sagt Arbeitsrechtsanwalt Fuhlrott.
Wer als Angestellter nun auf die vermeintlich kreative Idee kommen sollte, sich die stressige Anreise durch eine Krankmeldung zu ersparen, ohne tatsächlich arbeitsunfähig zu sein, begeht eine schwere Pflichtverletzung: Dann drohen eine fristlose Kündigung und der Verlust des Arbeitsplatzes
Alternativ: Homeoffice?
Nicht alle Tätigkeiten eignen sich für das Homeoffice. Aber selbst, wenn dies möglich sein sollte, darf der Arbeitnehmende nicht einseitig entscheiden, von zu Hause aus zu arbeiten. „Der Arbeitnehmer darf nur dann im Homeoffice arbeiten, wenn er mit dem Arbeitgeber dazu eine Regelung getroffen hat oder es geltende betriebliche Regelungen zum Homeoffice gibt“, sagt Fuhlrott. „Natürlich ist es in solchen Fällen sinnvoll, wenn Arbeitgeber hier Verständnis aufbringen und dies dem Arbeitnehmer ermöglichen. Hier ist aber die vorherige Abstimmung zwingend. Im Zweifel muss der Arbeitnehmer rechtzeitig auf den Arbeitgeber zugehen und das Problem ansprechen“, sagt der Arbeitsrechtler.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.