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Urteil: Arbeitnehmer muss SMS vom Arbeitgeber in der Freizeit nicht lesen

Ausgangspunkt für den Prozess war ein Streit über den Umgang mit einer kurzfristigen Dienstplanänderung bei einem Rettungsdienst. Laut einer dort geltenden Betriebsvereinbarung zu Arbeitszeitgrundsätzen im Einsatzdienst konnten sogenannte unkonkret zugeteilte Springerdienste „für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden”. Ihren tatsächlichen Schichtplan konnten die entsprechenden Arbeitnehmer dabei auf einer speziellen Internetseite einsehen.

Für einen solchen unkonkret zugeteilten Springerdienst war der spätere Kläger, der als Notfallsanitäter beschäftigt war, mit vier Tagen Vorlauf für den 08.04.2021 eingeteilt worden. Nachdem er am 06.04. bis 19 Uhr gearbeitet und dann frei hatte, teilte die Schichtplanleitung ihn tags drauf für den 08.04. zum Einsatz ab 6 Uhr ein. Da der Mann an seinem freien Tag telefonisch nicht erreichbar war, sandte man ihm am 07.04. am frühen Nachmittag zusätzlich eine SMS. Auch darauf reagierte er jedoch nicht, sondern meldete sich am Morgen des 08.04. – wie ursprünglich vorgesehen – um 7.30 Uhr zur Arbeit. Da man auf der Wache aber zwischenzeitlich personell umdisponiert hatte, um die Frühschicht abzudecken, zog der Arbeitgeber dem Mann wegen angeblich unentschuldigten Fehlens elf Stunden vom Arbeitszeitkonto ab und erteilte ihm eine Ermahnung. Daraus wurde nach einer ähnlichen Situation später eine Abmahnung.

Dagegen klagte der Sanitäter vor dem Arbeitsgericht und verlangte, dass die Abmahnung aus der Personalakte entfernt und ihm die Stunden wegen Annahmeverzugs des Arbeitgebers wieder gutgeschrieben würden. Das Arbeitsgericht Elmshorn folgte dem jedoch nicht, sondern entschied, der Rettungsdienst habe – auf Basis der Betriebsvereinbarung – korrekt gehandelt. Zudem sei der Mann aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht verpflichtet, sich nach dem Beginn seines Dienstes zu erkundigen”. Diese Rechtsauffassung ließ das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein allerdings nicht gelten, sondern gab im Berufungsverfahren dem Arbeitnehmer Recht.

Recht auf Unerreichbarkeit während der Freizeit

Laut der Kammer ist ein Arbeitnehmer eben „nicht verpflichtet, während seiner Freizeit eine dienstliche SMS aufzurufen, um sich über seine Arbeitszeit zu informieren und damit zugleich seine Freizeit zu unterbrechen”. Genau das aber habe der Rettungsdienst zu Unrecht verlangt. Denn auch beim Lesen einer (dienstlichen) SMS, „mit der der Arbeitgeber sein Direktionsrecht im Hinblick auf Zeit und Ort der Arbeitsausübung konkretisiert, handelt es sich um Arbeitszeit”. Während seines freien Tages könne von einem Arbeitnehmer aber keinerlei Arbeitsleistung verlangt werden. Zudem stehe ihm ein „Recht auf Unerreichbarkeit zu”, da es zu den „vornehmsten Persönlichkeitsrechten” gehöre, „dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht”. Daher sei, sofern der Arbeitgeber nichts Anderes beweisen könne, von einem Zugang der Dienstplanänderung erst bei Dienstbeginn um 07:30 Uhr auszugehen.

Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass eine SMS schnell gelesen sei: „Arbeit”, so die Richter deutlich, „wird nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt”.

Schließlich verhalte sich die Firma insgesamt auch „widersprüchlich, wenn sie einerseits dem Kläger Freizeit gewährt und andererseits von ihm verlangt, Arbeitsleistungen zu erbringen”. Daher müsse die Abmahnung entfern und die Zeit dem Stundenkonto des Mitarbeiters wieder gutschrieben werden.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 27.09.2022 (Az.: 1 Sa 39 öD/22).

Vorinstanz: Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 27.01.2022 (Az.: 5 Ca 1023 a/21).

Info

Der Beitrag erschien zuerst auf unserer Schwesterseite Betriebsratspraxis24.

Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.