Update vom 2. Juni 2023: Das Gesetz wurde heute im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Das Hinweisgeberschutzgesetz tritt also am 2. Juli 2023 in Kraft.
Update vom 12. Mai 2023: Der Bundestag hat am 11.05.2023, der Bundesrat am 12.05.2023 dem Kompromiss zum Hinweisgeberschutzgesetz zugestimmt.
Das Hinweisgeberschutzgesetz könnte noch in dieser Woche Bundestag und Bundesrat passieren. Mit dem umstrittenen Gesetz wird eine EU-Richtlinie umgesetzt, die Whistleblower in Unternehmen und anderen Organisationen besser schützt. Das Gesetz war im ersten Versuch am „Nein“ des Bundesrates gescheitert. Um zu einer Einigung insbesondere mit Blick auf die finanziellen Auswirkungen für Unternehmen zu kommen, hatte die Bundesregierung Anfang April den Vermittlungsausschuss angerufen. Eine Arbeitsgruppe, geführt von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und dem hessischen Justizminister Roman Poseck (CDU), konnte in der Nacht auf vergangenen Freitag einen Kompromiss in den besonders strittigen Punkten erarbeiten, die am Dienstagabend auch vom Vermittlungsausschuss selbst angenommen wurden.
Vor allem zu vier Streitpunkten wurde sich auf folgendes geeinigt:
Anonyme Meldekanäle keine Pflicht mehr
Auf anonymisierte Meldekanäle, denen eine höhere Gefahr des Missbrauchs nachgesagt wird, soll auf Drängen der Union verzichtet werden. Jedenfalls sind Unternehmen nicht verpflichtet, die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen. Es wird lediglich vorgegeben, dass die Stellen auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten sollten, aber eben nicht müssen. Dies gilt sowohl für interne als auch für externe Meldestellen.
„Das Gesetz soll Hinweisgeber vor Benachteiligungen schützen – unter anderen durch die Verpflichtung zur strengen Vertraulichkeit”, sagt Lisa-Marie Niklas von der Kanzlei Arqis und ergänzt weiter: „Das heißt: Interne Meldestellen sind von Unternehmen so einzurichten, dass Hinweise nur durch einen stark begrenzten Personenkreis bearbeitet werden können.” Aus ihrer Sicht bilde ein anonymer Meldekanal dies für beide Seiten zuverlässig ab und die neue Regelung, wonach diese nicht mehr verpflichtend bearbeitet werden müssen, sei kritisch zu sehen. „Die Statistiken – insbesondere aus den USA, wo Whistleblowing bereits seit Langem als Teil der Unternehmenskultur etabliert ist – belegen, dass bei anonymer Meldemöglichkeit mehr und substanziellere Meldungen eingehen”, merkt Arqis-Kollegin Sina Janke an. Die Arbeitsrechtlerinnen raten Unternehmen deshalb, auch ohne gesetzliche Verpflichtung anonyme Meldekanäle bereitzuhalten und im gleichen Maße zu incentivieren.
Zudem ergibt sich aus dem Kompromiss, dass hinweisgebende Personen immer dann die interne Meldestelle bevorzugen sollen, wenn gegen die Verstöße auch wirksam intern vorgegangen werden kann.
Vorgesehene Geldbuße herabgesetzt
Unternehmen, die trotz Pflicht zur Einrichtung von Meldekanälen diese nicht einrichten, sollen 50.000 Euro zahlen – nicht wie zuvor geplant 100.000 Euro.
Nur noch Hinweise mit beruflichem Kontext
Informationen über Verstöße sollen nach dem Kompromiss nur noch in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, wenn sie sich auf den Beschäftigungsgeber oder eine andere Stelle, mit der die hinweisgebende Person beruflich im Kontakt stand, beziehen. Mit dem Begriff „Beschäftigungsgeber” werde der Kanzlei Arqis zufolge bewusst nicht auf den Arbeitgeber abgestellt, da unter Umständen auch Berater und freie Mitarbeitende mit einbezogen sein können. Mit „eine andere Stelle” sei gemeint, dass auch Vorgänge beim oder mit dem Kunden und/oder Lieferanten Gegenstand einer Meldung sein können.
Beweisregeln bei Benachteiligungen
Das Gesetz sieht bislang bereits eine Beweislastumkehr vor, wenn die hinweisgebende Person eine Benachteiligung im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit erleidet. Dabei soll es nach der Einigung bleiben. Erhält der Whistleblower also etwa eine Kündigung oder wird versetzt und beruft sich darauf, diese wegen einer Meldung von Verstößen erlitten zu haben, so muss er oder sie keinen Beweis für deren Zusammenhang erbringen. Stattdessen muss der Arbeitgeber beweisen, dass die Benachteiligung (etwa eine Kündigung) nicht in einem Zusammenhang mit dem Hinweis der Person steht.
Wie geht es weiter?
Nimmt der Bundestag den Einigungsvorschlag noch in dieser Woche an, so könnte der Bundesrat dem entsprechend geänderten Gesetz in seiner Plenarsitzung an diesem Freitag zustimmen. Das Hinweisgeberschutzgesetz wird dann voraussichtlich einen Monat nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.
Da Deutschland mit jedem Tag Verzug mehr als 61.000 Euro Strafe an die EU-Kommission zahlen muss, hat die Arbeitsgruppe sich darauf verständigt, dass das Gesetz bereits einen Monat nach der Verabschiedung in Kraft treten wird – und nicht erst in drei Monaten.
Die EU-Hinweisgeberrichtlinie hätte von den Mitgliedstaaten zum 17. Dezember 2021 in ein nationales Gesetz umgesetzt werden müssen. Dass die neuen Regelungen „trotz immens langen Vorlaufs quasi von heute auf morgen erfolgen” müssen, finden Niklas und Janke nicht so erfreulich, wenngleich Unternehmen mit der Umsetzung der EU-Richtlinie endlich Sicherheit erhalten.
Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitenden müssen dann binnen drei Monaten eigene Hinweisgebersysteme aufbauen. Unternehmen unterhalb der Schwelle und mit mehr als 50 Beschäftigten haben Zeit bis Dezember 2023.
Der Artikel wurde am 10. Mai 2023 veröffentlicht und zuletzt am 2. Juni 2023 aktualisiert.
Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem schreibt Sie über Recruiting und Employer Branding.