Zwischen „Ihr dürft auch nach Corona arbeiten, wo ihr wollt“ und „Sobald es möglich ist, kommen alle wieder zurück ins Büro“ gab es während der vergangenen Monate der Pandemie in den Unternehmen die unterschiedlichsten Ankündigungen. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass der Großteil der Firmen bei der Frage des Arbeitsorts einen Mittelweg gehen wird, der für die Mitarbeitenden deutlich mehr Freiheit bedeutet. Damit entsprechen die Unternehmen den Bedürfnissen ihrer Beschäftigten. So wünschen sich laut dem EY Work Reimagined Employee Survey 2021 neun von zehn Mitarbeitenden mehr Flexibilität in Bezug auf Arbeitsort und -zeit – und fordern diese auch vehement ein: 54 Prozent der Arbeitnehmenden geben laut dieser Umfrage an, wahrscheinlich zu kündigen, wenn dieser Anspruch nicht erfüllt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass Millennials kündigen, ist dabei doppelt so hoch ist wie bei den Babyboomern.
Einfach ein motivierender Tapetenwechsel
Zu den Freiheiten, die derzeit besonders im Fokus der Mitarbeitenden stehen, zählt die Workation – zusammengesetzt aus Work und Vacation –, was bereits erklärt, worum es geht: Für einen bestimmten Zeitraum verschmelzen Arbeit und Urlaub. Ein Mitarbeitender reist vom Heimatland in eine Urlaubsdestination und kombiniert während seines dortigen Aufenthalts Freizeit mit Arbeit. Attraktiv ist das zum Beispiel im Anschluss an einen Urlaub im eigenen Ferienhaus oder einen Familienbesuch im Ausland, wenn die Kinder noch länger Schulferien haben, oder auch einfach als motivierender Tapetenwechsel. Der Beschäftigte kann seiner Arbeit nachgehen und den Feierabend und das Wochenende mit seiner Familie, am Strand oder beim Sightseeing verbringen. Der Wunsch nach dieser für viele Beschäftigte verlockenden Form des Arbeitens bestand bereits vor der Pandemie.
In Zeiten von Homeoffice und Reisebeschränkungen jedoch zeigte sich, dass Remote Work in den Unternehmen hervorragend funktioniert – auch über Ländergrenzen hinweg. Die technologischen Voraussetzungen waren gegeben, die Firmen zeigten sich flexibel und waren von den guten Arbeitsergebnissen überrascht. In der Folge ist es schwer zu vermitteln, warum Mitarbeitende, die einer Bürotätigkeit nachgehen, nicht auch nach der Pandemie zeitweise Reisen und Arbeiten kombinieren dürfen.
Es gibt kaum ein Zurück
Angesichts dieser Dynamik wird den Unternehmen immer klarer: Wollen sie hochqualifizierte Talente gewinnen und halten, ist Workation ein wichtiges Instrument. Insbesondere junge Bewerber und Bewerberinnen fragen zunehmend danach und entscheiden sich womöglich für einen Arbeitgeber, der sie ihnen gewährt. In den Mobility-Abteilungen der Unternehmen ist die Workation noch vor hybriden Entsendungen und dem grenzüberschreitenden virtuellen Arbeiten zum Topthema avanciert. In Bezug auf Employer Branding und Mitarbeiterbindung wird sie zunehmend sogar als Muss betrachtet. Ähnlich wie beim Homeoffice gibt es kaum ein Zurück. Grundsätzlich ist diese Entwicklung zu begrüßen. Allerdings kommen bei der entsprechenden Freigabe des Arbeitsortes in Sachen Compliance komplexe Herausforderungen auf die Unternehmen zu. Denn während man zu Pandemiezeiten vielleicht unter dem Radar geflogen ist und entsprechende Risiken zunächst ausgeklammert beziehungsweise sich im Einzelfall darum gekümmert hat, müssen Firmen nun einen sicheren Rahmen für das Workation-Angebot finden.
Grundsätzlich gilt dabei: Eine Workation ist keine Entsendung, da der Arbeitnehmende auf eigenen Wunsch hin im Ausland arbeitet. Somit ist sie als neues Szenario des mobilen Arbeitens zu betrachten, für das es eine Fülle an Fragen unter anderem zur Einkommensteuer- und Lohnsteuerpflicht, zum Betriebsstättenrisiko, zur Sozial- und Krankenversicherung, zum Aufenthalts- und zum Arbeitsrecht zu klären gilt. Komplexe Compliance-Fragestellungen Allein aufgrund der unterschiedlichen Bestimmun-gen, die rund um den Globus gelten, ist die Beantwortung all dieser Fragen komplex. Noch komplexer wird es, wenn es innerhalb der Belegschaft viele unterschiedliche Nationalitäten gibt. Dann stellen sich Fragen wie: Wie sieht es aus, wenn Mitarbeitende mit polnischer Nationalität in Deutschland arbeiten und eine Workation in Spanien oder aber in Neuseeland planen? Dürfen indische Mitarbeitende mit ihrem Arbeitsvisum für Deutschland auch in Spanien arbeiten? Was ist mit chinesischen Mitarbeitenden, die für eine Zeit in ihrem Heimatland arbeiten möchten?
Bereits innerhalb der EU sind die Antworten nicht immer einfach, wie das Beispiel Einkommensteuer zeigt: Ein Mitarbeitender, der für zwei Wochen seinen Urlaub verlängert, um in Spanien zu arbeiten, muss dort in der Regel keine Einkommensteuererklärung abgeben. Gibt er jedoch ohnehin eine ab, weil er Spanier ist und seinen Lebensmittelpunkt in Spanien hat, sollte er darin die entsprechenden Tage aufführen. Global betrachtet gilt es zu prüfen, ob es mit dem betreffenden Land ein Doppelbesteuerungsabkommen gibt. Mit Brasilien zum Beispiel hat Deutschland das nicht. Nicht zuletzt ist die Abgabe der Einkommensteuererklärung keine Arbeitgeber-, sondern eine Arbeitnehmerpflicht, und es muss auch geklärt werden: Will ich mich als Unternehmen darum kümmern oder nicht?
Zur Anmeldung von der Lohnsteuer wiederum ist der Arbeitgeber verpflichtet. Er muss prüfen, ob er für den betreffenden Arbeitnehmer in einem anderen Land Lohnsteuer abführen muss. Ähnlich umfangreiche Fragenkomplexe tun sich bei der Sozialversicherung sowie der Einreise- und Arbeitserlaubnis auf. Hinzu kommen arbeitsrechtliche Vorschriften: Was ist zum Beispiel mit dem Arbeiten über die Zeitzonen hinweg? Kann das Unternehmen von einem Mitarbeitenden verlangen, nachts in virtuellen Besprechungen zu sitzen? Darf er das überhaupt, auch wenn er es freiwillig tut? Ebenfalls in die Risikoanalyse aufzunehmen sind die Anforderungen der EU Posting of Workers Directive, die gelten können, obwohl eine Workation nicht als Entsendung gilt. So kann es sein, dass sich der Mitarbeitende bei den Behörden anmelden muss. Möglicherweise greift auch die Richtlinie, nach der Mitarbeitende ab dem ersten Tag mindestens der vor Ort branchenübliche Lohn gezahlt werden muss. Die Behörden können dies theoretisch auch bei einer Workation fordern.
Die Krux mit der Betriebsstätte
Im Hinblick auf die Betriebsstättenanalyse wiederum stellt sich die Frage: Begründet der Arbeitnehmende für den Arbeitgeber im Ausland eine Betriebsstätte? Auch das ist eine komplexe Prüfung, bei der es genau hinzuschauen gilt. So gründen zum Beispiel geschäfts-führende Mitarbeitende im Ausland relativ schnell eine Betriebsstätte. Es kann daher sinnvoll sein, dass während einer Workation bestimmte Tätigkeiten nicht ausgeübt werden dürfen, wie zum Beispiel das Unterzeichnen von Verträgen. Oder man nimmt bestimmte Länder für leitende Angestellte als Workation-Destination aus. Innerhalb der EU kann das zum Beispiel Polen sein, weil Firmen hier vergleichsweise schnell eine Betriebsstätte gründen. Auch Fragen des Datenschutzes müssen geklärt sein: Was ist, wenn sich Mitarbeitende über das ungesicherte Hotel-WLAN in eine Besprechung einwählen? Was passiert, wenn jemand seinen Rechner im Hotel vergisst? Hier gilt auch bei einer Workation: Der Mitarbeitende hat mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er beim mobilen Arbeiten die Datenschutzvoraussetzungen erfüllt. Daher muss er dafür sorgen, dass keine unberechtigten Zugriffe auf das Firmennetzwerk möglich sind. Das sicherzustellen kann für den Mitarbeitenden, aber auch für das Unternehmen eine Herausforderung sein.
Zeitliche und räumliche Begrenzung
Grundsätzlich sollte ein Unternehmen den aufgezeigten Reigen der Risiken systematisch beleuchten und sich für jedes einzelne überlegen: Ist das ein Risiko, dass ich vollständig vermeiden will? Oder finde ich eine Lösung, mit der ich als Unternehmen leben kann? Denn, so muss auch klar gesagt werden: Mit einer Nullrisikotoleranz in Sachen Compliance wird sich die Workation im Ausland nicht realisieren lassen. Auch Firmen, die alle Mitarbeiterwünsche erfüllen wollen, werden sich schwertun. Und so geht es bei der Risikobeurteilung auch immer um die Frage: Wo und für wie lange ermögliche ich das mobile Arbeiten im Ausland? So kann das Angebot zunächst auf die EU begrenzt werden, weil es dann einfacher und übersichtlicher wird. Zeitlich gesehen sind zehn Arbeitstage in einem Zwölfmonatszeitraum eher unkritisch. Bei 90 Tagen hingegen steigt das Risiko zum Beispiel im Hinblick auf die Gründung einer Betriebsstätte überproportional. In der Praxis lassen sich derzeit Begrenzungen auf 20 oder 30 Arbeitstage pro Jahr beobachten.
Einen Freigabeprozess aufsetzen
Ebenfalls geklärt werden muss: Welchen Freigabeprozess braucht das Unternehmen, um sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden erfasst werden, die zeitweise mobil im Ausland arbeiten? Und wie können ihre konkreten Wünsche auf die entstehenden Risiken abgeklopft werden? Idealerweise gibt es dafür eine toolbasierte Lösung, sprich einen automatisierten Prozess, der dem Unternehmen ebenso wie dem Mitarbeitenden eine Indikation gibt, ob ein Risiko entsteht oder nicht, beziehungsweise wie damit umzugehen ist. Was wiederum die Verantwortlichkeiten betrifft, ist klar, dass der Mitarbeitende die Workation mit dem Vorgesetzten absprechen muss.
Doch wer ist für die Risikoprüfung und den weiteren Prozess verantwortlich? Ist das zum Beispiel der Mobility-Bereich? Bis vor zwei Jahren hat sich dieser fast ausschließlich um Langzeit- und Kurzzeitentsendungen gekümmert und die Workation, aber auch hybride und virtuelle Entsendungen erweitern seinen Aufgabenbereich deutlich. Für die Mobility-Abteilungen ist das eine Chance, weil ihre Arbeit zunehmend als strategisch relevant angesehen wird. So gibt es neben den Compliance-Themen schließlich auch eine Reihe von HR-Themen, über die das Unternehmen bei der Ausformulierung der Rahmenbedingungen für eine Workation nachdenken sollte. Was ist zum Beispiel, wenn ein Mitarbeitender neu in der Firma ist? Es gibt Firmen, die in diesem Fall das mobile Arbeiten im Ausland nicht erlauben. Andere entscheiden sich dafür, weil die Workation ein talentgetriebenes Thema ist. Auch bei Führungskräften stellt sich die Frage: Inwieweit ist es in Ordnung, wenn ein Teamleiter seine Mitarbeitenden über mehrere Wochen oder Monate nur virtuell sieht? Hier spielt es sicherlich auch eine Rolle, wie in dem betreffenden Unternehmen die grundsätzliche Regelung für das hybride Arbeiten aussieht und wie viel Wert auf die Anwesenheit vor Ort gelegt wird. Nicht zuletzt davon wird abhängen, ob ein Unternehmen in Sachen Workation die Compliance-Regeln vollständig ausreizt oder aber eine kleinere Lösung wählt.
Autor
Jens Goldstein ist Partner und Leiter Mobility Services bei EY, Berlin (Jens.Goldstein@de.ey.com), David Rooney ist Executive Director und Leiter Mobility Transformation bei EY, Frankfurt/Eschborn (David.J.Rooney@de.ey.com).