Im konkreten Fall geht es um eine Angestellte der Drogeriemarktkette „Müller“, die dem Islam angehört. Sie ist in einer Filiale des Unternehmens als Verkaufsberaterin und Kassiererin tätig. Nachdem sie aus der Elternzeit zurückgekehrt ist, trug sie am Arbeitsplatz, anders als zuvor, ein Kopftuch. Daraufhin wies der Arbeitgeber sie an, dies abzulegen, da das Tragen eines Kopftuchs gegen die Kleiderordnung am Arbeitsplatz verstoße. Demnach ist das Tragen auffälliger, großflächiger, religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Zeichen am Arbeitsplatz verboten. Die Klägerin möchte mit ihrer Klage vor Gericht bewirken, dass die Weisung ihres Arbeitgebers unwirksam ist.
Religion gegen unternehmerische Freiheit
Die Arbeitnehmerin beruft sich auf ihr Grundrecht der freien Religionsausübung. „Müller“ macht dagegen geltend, dass das Tragen eines Kopftuchs aufgrund der unternehmerischen Freiheit verboten werden kann. Zudem hätten auch Unternehmen und Kunden das Recht, von weltanschaulichen Symbolen wie einem Kopftuch unberührt zu bleiben. Es muss also abgewogen werden, inwiefern sich ein Arbeitnehmer in der Religionsausübung am Arbeitsplatz einschränken müsse.
Bisherige Rechtsprechung
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach mit der Thematik beschäftigt. 2015 ging es um ein Verbot von religiösen Bekundungen im Schulunterricht. Geklagt hatten zwei Lehrerinnen, die ihr Kopftuch auf dem Schulgelände tragen wollten. Damals hat das BVerfG zu ihren Gunsten entschieden (BVerfG, 27.01.2015 – 1 BvR 471/10; 1 BvR 1181/10). Ein pauschales Kopftuchverbot nach dem Landesrecht schränke die Betroffenen zu stark in ihrer Religionsfreiheit ein.
Der EuGH hat dagegen 2017 die Unternehmerrechte gestärkt. Der damalige Fall handelte von einer Rezeptionistin, die bei einem privaten Dienstleistungsanbieter in Belgien angestellt war. Sie wollte entgegen der Kleiderordnung ein Kopftuch tragen. Das Tragen wurde ihr jedoch untersagt. Als sie dem Verbot nicht nachkam, wurde sie entlassen. Dagegen klagte sie vor dem EuGH. Damals hat der EuGH entschieden, dass eine solche Kleiderordnung möglich sei. Allerdings hätte der Arbeitgeber im konkreten Fall nach einer Stelle ohne Kundenkontakt bei sich Ausschau halten müssen.
Entscheidung des BAG
Im Fall der Kassiererin legt das BAG die Frage nach der Gewichtung der persönlichen Religionsfreiheit nun dem EuGH zur Beantwortung vor. Ist eine allgemeine Anordnung in der Privatwirtschaft, die auch das Tragen auffälliger religiöser Zeichen verbietet, aufgrund der von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) geschützten unternehmerischen Freiheit diskriminierungsrechtlich gerechtfertigt? Oder kann die Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin berücksichtigt werden, die von der GRC, der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und dem Grundgesetz geschützt wird? Es wird allerdings viele Monate dauern, bis der EuGH sich dazu äußert.