Lange galt die bloße Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) als Traum von Idealisten. Es hört sich aber auch zu schön an: Jeder Mensch erhält Geld vom Staat, um sein Leben so zu verwirklichen, wie er es für richtig und wichtig hält. Ohne das Joch der täglichen Arbeit – und wenn doch, dann nur aus eigenem Antrieb.
Die Idee ist nicht neu: Schon im antiken Sparta zwischen 700 und 200 vor Christus garantierte die Verfassung jedem Mitglied der Gesellschaft unabhängig von erbrachter Arbeitsleistung die lebensnotwendigen Güter, wie André Presse schreibt.
Für und wider
Luke Haywood vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einem instruktiven > Überblicksbeitrag die zentralen Argumente zusammengetragen, mit denen Befürworter und Kritiker eines BGE ihren Standpunkt vertreten.
Argumente der BGE-Befürworter:
- Beseitigung von Armut.
- Abbau des aktuellen „hochkomplexen Steuer- und Transfersystems“ sowie aller damit verbundenen Kosten, Unsicherheiten und Stigmatisierungen.
- Indem das BGE die materiellen Grundbedürfnisse deckt, würde es Bürgern zudem ermöglichen, sozialen und künstlerischen Aktivitäten nachzugehen.
- Das BGE wird – im Gegensatz zu heutigen Sozialleistungen – in voller Höhe zusätzlich zum Lohn gezahlt. Insgesamt würden so die Anreize für Arbeitslose steigen, einen Job, der ihren Vorstellungen entspricht, zu finden und anzunehmen.
Argumente der BGE-Skeptiker:
- Vermeintlich hohe Kosten der Einführung und Unterhaltung eines BGE
- Mögliches Ungerechtigkeitsempfinden auf Basis der vorherrschenden Losung, dass nur wer arbeitet, auch einen Lohn beziehen sollte. Der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände etwa ist strikt gegen ein BGE: „Letztlich suggeriert ein bedingungslos gewährtes Grundeinkommen, dass Arbeit etwas ist, das man jederzeit tun oder lassen kann.“ Es stärke die Einstellung, sich auf andere zu verlassen.
Die Zahl der Fürsprecher wächst
Auf welcher Seite der Debatte man auch steht, das Schöne am BGE ist: Jeder kann mitreden. Einmal die Frage gestellt, was man machen würde, wenn man nicht mehr gezwungen wäre, seinen Lebensunterhalt mit Erwerbsarbeit zu verdienen, geraten die meisten schnell ins Schwärmen. Auffällig indes: Unter den Schwärmern für das BGE sind immer mehr Wirtschaftskapitäne. Weder Telekom-Vorstandschef Timotheus Höttges noch SAP-Vorstand Bernd Leukert, dm-Gründer Götz Werner oder Jan Bredack, langjähriger Manager und Gründer der Supermarktkette Veganz, sind verdächtig, unrealistischen Träumen nachzuhängen. Götz Werner mag man als langjährigen Verfechter des BGE auf dem Schirm haben – doch auch die anderen drei Top-Manager haben sich in jüngster Zeit an prominenter Stelle dafür ausgesprochen. Warum?
Möglicherweise zeigt sich hier ein verändertes Menschenbild, das sich in weiten Teilen der Gesellschaft durchgesetzt hat – und die Erkenntnis, dass Menschen nicht allein durch Geld zu motivieren sind,
mutmaßt Professor Dr. Sandra Ohly, Leiterin des Fachgebiets Wirtschaftspsychologie an der Universität Kassel.
Praktische Relevanz fraglich
Noch naheliegender und insbesondere von Höttges vielfach thematisiert: die Veränderungen der Wirtschaftswelt unter den Stichworten Digitalisierung und Arbeit 4.0. „Ich könnte mir vorstellen, dass das BGE im Zusammenhang mit Arbeiten 4.0 und den Folgen, die daraus erwachsen, Bedeutung in der betrieblichen Realität gewinnt“, sagt etwa Christian Vetter, Präsidiumsmitglied des Bundesverbands der Personalmanager und Leiter Arbeits- und Sozialrecht bei Dow Deutschland Inc. Doch trotz aller Prominenz, die sich aktuell hinter dem BGE versammelt, misst Vetter dem Thema aktuell kaum praktische Relevanz bei. Die Unternehmen beschäftigten ganz andere Dinge: die Datenschutz-Grundverordnung, die Mindestlohnänderungen, die Einigung über das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz oder das geplante Gesetz zur Entgeltgleichheit etwa.
Die Idee eines BGE sei nicht per se schlecht, so Vetter, doch gebe es eine Vielzahl an Parametern, die bei einer möglichen Einführung beachtet werden müssten. „Will man beispielsweise die gesetzliche Rentenversicherung abschaffen – wie es einige BGE-Modelle vorsehen –, kann man nicht diejenigen übergehen, die jahrzehntelang Beiträge eingezahlt haben“, meint Vetter. Eine Umsetzung sei daher nur über einen langen Zeitraum mit entsprechenden Übergangsfristen möglich.
Kein Konsens erkennbar
Der von Vetter erwähnte Umbruch in der Arbeitswelt dürfte zumindest ein Grund sein, warum das BGE neuerdings immerhin ernsthaft diskutiert wird. Eine zunehmende Anzahl von Menschen beschleicht das Gefühl, dass die gegenwärtige Wirtschaftsordnung nicht ideal ist. Ob Vollbeschäftigung in Zeiten zunehmender Rationalisierung noch ein sinnvolles gesamtgesellschaftliches Ziel sein kann, ist durchaus diskutabel. Es gibt zahlreiche Prognosen darüber, wie viele Stellen durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung wegfallen könnten. Den Spitzenplatz belegt eine Analyse der ING-Diba, die mehr als 18 Millionen Arbeitsplätze in Deutschland in Gefahr sieht.
Eine starke Zunahme der Arbeitslosenzahlen würde viele Betroffene in die Armut abgleiten lassen und könnte die gesellschaftliche Spaltung vorantreiben. Zum anderen wäre das Sozialversicherungssystem vor kaum lösbare Herausforderungen gestellt.
Die Einführung eines BGE würde einen breiten politischen Konsens voraussetzen, in dem Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Schlüsselfiguren sind,
glaubt DIW-Forscher Haywood. Deren fehlende Unterstützung aber erschwere die Weiterentwicklung solcher Konzepte in der deutschen Politik erheblich.
Zu viele Fragen offen?
Dass sich mittel- bis langfristig etwas ändern muss, ist den meisten klar. Ob das BGE die richtige Lösung ist, dagegen nicht. Der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar etwa setzt sich seit vielen Jahren für die Idee eines BGE ein. In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung bekannte er jüngst jedoch, gegen die Initiative in seinem Heimatland zu stimmen: „Ich bin zu wenig risikofreudig, um einem solchen Systemwechsel bei so viel offen bleibenden Kernpunkten zuzustimmen.“ Auch der Bundes- sowie der National- und der Ständerat in der Schweiz empfehlen die Ablehnung der Initiative.
Denn viele Fragen bleiben offen. Von einem konkreten Betrag etwa ist im Abstimmungstext nichts zu lesen. Das Grundeinkommen solle aber „der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen“. Die Initiatoren schlagen ein BGE in Höhe von 2.500 Franken, etwa 2.250 Euro, vor. Er selbst sei ein Anhänger eines niedrigen Grundeinkommens, das nur die Existenz absichert, so Straubhaar. Ein hohes senke seiner Meinung nach die Arbeitsmotivation.
Womit wir beim Thema für HR und Führungskräfte wären: Was wird aus der Mitarbeitermotivation, wenn der Staat für das Basis-Auskommen sorgt? Lesen Sie in > Teil II, welche Auswirkungen das BGE auf die (De-)Motivation von Arbeitnehmern haben könnte.
Autor:
David Schahinian, freier Journalist