Mit dem Erstellen von Arbeitszeugnissen stehen viele Personaler auf Kriegsfuß. Zeugnisgeneratoren versprechen Abhilfe. Gänzlich automatisieren lässt sich die Erstellung jedoch nicht.
Das Arbeitszeugnis, so schreibt es der Gesetzgeber eindeutig vor, steht einem ausscheidenden Mitarbeiter nicht bloß zu. Es soll auch wohlwollend sein. Und wahr. Und verständlich formuliert. In Wirklichkeit ist es das alles aber eher selten, was bei derlei potenziell widersprüchlichen Anforderungen auch nicht weiter verwundert.
Sich mit Zeugnissen zu beschäftigen, ist für die meisten Personaler und Führungskräfte die reinste Qual. Pure Zeitverschwendung. „Das Arbeitszeugnis ist so eine Art Frankensteins Monster“, brandmarkt Geoffroy de Lestrange, Associate Director Product Marketing EMEA bei Cornerstone on Demand, das Dokument. „Irgendwie da, aber nicht richtig mit Leben erfüllt.“ In der Tat sind diejenigen, die es ausstellen und beurteilen sollen, in der großen Mehrzahl überfordert. Forscher der Universität Jena legten 90 Personalern eine Liste von gebräuchlichen Formulierungen vor, um sie einer Schulnote zuzuordnen. Ergebnis: Nur ein einziger sah sich dazu in der Lage. Die gebräuchliche, aber lediglich Verwirrung stiftende Zeugnissprache hält de Lestrange für „pure Heuchelei“.
Auch die Personalexpertin und Trainerin Andrea Hartenfeller tut sich schwer:
Wenn ich ein Zeugnis lese, weiß ich nicht, wie gut sich der Autor im Zeugniserstellen auskennt und ob seine Benotung auch meiner Benotungsskala entspricht.
Wer Arbeitszeugnisse schreiben und lesen soll, empfiehlt sie folgerichtig, „muss unbedingt darin geschult werden“.
Bedingte Aussagekraft
Auf der anderen Seite befindet sich die Wertschätzung von Arbeitszeugnissen seit Jahren im Sinkflug. Vielfach ist von einem „Auslaufmodell“ die Rede. Einer neueren Studie der Stellenbörse Indeed zufolge fällt das Dokument in seiner Aussagekraft für Personaler hinter Lebenslauf und Anschreiben zurück. Hartenfeller, die als HR-Managerin des Game-Produzenten Crytek etliche Bewerbungen zu beurteilen hatte, bestätigt diese Tendenz. Nicht die fachsprachlich verschwurbelten Passagen erregen demnach die Aufmerksamkeit des eingeweihten Lesers. Die Substanz liegt vielmehr in der bloßen Faktenanordnung: „Neben der Präzision des Jobtitels dient das Zeugnis der Bestätigung, dass die betreffende Person über einen definierten Zeitraum im Unternehmen gearbeitet hat.“
Ebenfalls einen Blick wert ist die sogenannte Schlussformel. Danach gehört ans Ende eines qualifizierten Zeugnisses, auch wenn es der Gesetzgeber nicht zwingend vorschreibt, eine höfliche Verabschiedung. Tatsächlich verbirgt sich hierin die Gesamtnote. Fehlt es an jeglichem Ausdruck des Bedauerns oder Danks und sucht man gute Wünsche für die Zukunft vergeblich, wissen Eingeweihte, dass der Person fristlos gekündigt wurde. Nicht geeignet für eine Versetzung, Note: ungenügend.
Halten wir fest: Ein Arbeitszeugnis soll die Wahrheit ausdrücken, aber auch wohlwollend formuliert sein. Dieses Spannungsverhältnis, erklärt Rechtsanwalt Frank Gust aus Saarbrücken, sei ursächlich für das Entstehen von verklausulierten Formulierungen verantwortlich. „War etwas schlecht, darf es nicht schlecht genannt werden, bloß weniger gut.“
Einmal abgesehen von jenen, die mit der Kodierung und Decodierung von Zeugnissen gutes Geld verdienen: Wer will überhaupt wissen, ob eine Formulierung nun eher Wortklauberei ist oder den Fakten entspricht? Zweiflern, die ihr Zeitbudget nicht strapazieren wollen, kommen Zeugnisgeneratoren daher wie gerufen. „Sie können helfen, den richtigen Ton zu treffen“, sagt Gust.
Kostenlose und kostenpflichtige Lösungen
Der großen Mehrheit von Personalern und – nicht zu vergessen – den Geschäftsführern von kleinen Unternehmen und Handwerksmeistern versprechen Zeugnisgeneratoren Entlastung. Niemand braucht sich näher mit den Fallstricken des Zeugniscodes zu befassen. Die Angabe einiger wesentlicher Details genügt, schon spuckt der Rechner ein Zeugnis aus, das die auferlegte Pflicht zur Beurteilung einer ausscheidenden Person erfüllt. Wählen können Anwender zwischen kostenlos im Netz verfügbaren Generatoren, deren Ergebnisse freilich wie ein Ei dem anderen gleichen. Oder sie bedienen sich kostenpflichtiger Systeme, die mit ihren Formulierungsvarianten und den hinterlegten, ständig aktualisierten juristischen Erläuterungen durchaus aussagekräftige, individuelle Beurteilungen ermöglichen.
Für formal passable Testate bietet sich beispielsweise der von Handwerkskammern empfohlene „Arbeitszeugnisgenerator“ (arbeitszeugnisgenerator.de) an. Das gratis verfügbare Tool begleitet den Anwender strukturiert durch die formal vorgegebenen Etappen eines qualifizierten Zeugnisses bis zur Schlussformel. Dabei brauchen überwiegend nur die gewünschten Noten angeklickt zu werden, um angemessene Formulierungen zu aktivieren. Ist die Eingabe abgeschlossen, setzt der Generator die Informationen in ein auf den ersten Blick schlüssig formuliertes Zeugnis um. Vergleichbar einfach in der Handhabung und anschaulich im Ergebnis ist auch der „Arbeitszeugnis-Generator“, den der Karlsruher IT-Dienstleister Port-29 GmbH auf seiner Website (www.port29.net/arbeitszeugnis-generator) kostenlos zur Verfügung stellt. Er verspricht fertige Zeugnisse in nur fünf Minuten. Der „Aconso Zeugnis-Generator“ benötigt zehn Minuten, wie Gründer und Geschäftsführer Ulrich Jänicke versichert. Er will Personaler mit solchen Tools aus administrativen Fesseln befreien. Die kostenpflichtige Lösung lässt sich in bestehende HR-Systeme wie SAP, Workday oder Peoplesoft integrieren. Dort hinterlegte Stammdaten und Tätigkeitsbeschreibungen können automatisch in die Zeugniserstellung einfließen.
Eine ernstzunehmende Alternative bietet die in Berlin ansässige Begis GmbH mit „EDIB Zeugnisse“ an. Ziel ist eine „möglichst individuelle Beurteilung“ ausscheidender Mitarbeiter. Anwender können aus rund 15.000 hinterlegten Textbausteinen wählen, die dem Vernehmen nach von Juristen erstellt, regelmäßig überprüft und an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. Ebenso wie die Aconso-Lösung basiert „EDIB Zeugnisse“ auf dem „Zeugnis-Generator“ von H & P Infomedia, der nach Angaben des Herstellers in vier von fünf Dax-Konzernen eingesetzt wird. Das in seiner neuesten Version knapp 200 Euro teure Softwareprogramm, so der Anbieter, überprüft jeden Zeugnisentwurf auf formale Fehler, Fallstricke und Widersprüche.
Eine hohe Wertschätzung in einschlägigen Kreisen genießt der „Haufe Zeugnis Manager Professional“. Nicht zuletzt dank seiner kontinuierlich gewachsenen Wissensdatenbank aus juristischer Expertise und Tausenden Textbausteinen gilt das Programm als Benchmark. Zudem können Anwender auf eine Vielzahl gespeicherter Zeugnisentwürfe zurückgreifen. Je nach Vorlieben, Ausmaß und Priorität der Zeugniserstellung hält das Angebotsspektrum für jeden Geschmack etwas parat. Teilweise werben die Anbieter sogar damit, „rechtssichere“ Zeugnisse zu produzieren.
Damit nehmen sie ihrer Kundschaft die wohl größte Sorge, mit unprofessionell erstellten Zeugnissen nur den Unmut ihrer ausscheidenden Mitarbeiter zu wecken, die kurzentschlossen ihren Anwalt konsultieren, um gegen den Ex-Arbeitgeber vorzugehen. Geschätzt rund 30.000 Gerichtsverfahren pro Jahr befassen sich mit diesem Problem.
Auf der anderen Seite führt der Einsatz eines Generators, und sei er noch so ausgereift, offenkundig nicht zu individuell aussagekräftigen Zeugnissen, worauf Experten mit Nachdruck verweisen. Zwar leitet das System, wie Arbeitsrechtler Gust betont, Anwender menügesteuert durch den Prozess der Zeugniserstellung und verhindert dank Standardisierung, „dass unbedachte Formulierungen einen falschen Eindruck hinterlassen“. Doch Zeugnisgeneratoren produzierten lediglich Textbausteine, was Personaler „schon lange aus einschlägigen Büchern und CDs herauskopieren können“, so Gust.
Keine vollständige Automatisierung
Trotz der zunehmenden Kompetenz, durch die sich die Programme zweifelsfrei auszeichnen, bleibt der Schulungsbedarf von Personalern unverändert hoch. Davon überzeugt ist Thomas Redekop, Geschäftsführer der PMS Personalmanagement Service GmbH in Berlin, die auch das Portal arbeitszeugnis.de betreibt. Er hält Generatoren zwar zugute, dazu beizutragen, dass Rechtschreibfehler in Zeugnissen weitestgehend ausgemerzt sind. Doch die produzierten Dokumente wiesen unverändert „zum Teil erhebliche Mängel wie Leerstellen bei der individuellen Leistungsbewertung von Mitarbeitern“ auf.
Diese Wertung teilt Jürgen Hesse, Mitinhaber der Hesse-Schrader – Büro für Berufsstrategie GmbH in Berlin. Wer Zeugnisgeneratoren einsetzt, müsse „allein der Lesbarkeit wegen“ zusätzlich Hand anlegen. Selbst beim Einsatz von marktführenden Programmen, sagt der bekannte Bewerbungs- und Karriereexperte, käme niemals ein fertiges Zeugnis heraus. „Wer glaubt, den Prozess des Zeugnismanagements gänzlich zu automatisieren, irrt also.“
Den Vorbehalten der Berater, die – das darf man nicht verschweigen – ihre Pfründe in der individuellen Zeugnisberatung sichern wollen, schließen sich auch namhafte HR-Experten an. Jürgen Seifert etwa warnt vor einer kompletten Digitalisierung von HR-Prozessen wie dem Zeugnismanagement.
Damit sinkt die Wertschätzung gegenüber beurteilten Mitarbeitern,
sagt der langjährige Personal- und IT-Chef der von Federal Express übernommenen TNT Express GmbH. Würden HR-Verantwortliche sich ausschließlich automatisierter Systeme bedienen, so der heutige Personalberater, wäre eine weitere Anonymisierung die zwangsläufige Folge. „So nimmt die Aufmerksamkeit gegenüber dem Einzelnen weiter ab.“
Trend zu Schulnoten
Seifert plädiert für eine Neuausrichtung des Zeugnisses, die Klarheit schafft und für die niemand mehr auf Codierungs- und Decodierungstabellen zurückgreifen muss. Dies verspricht auch ein aus der Schweiz herrührender Trend. Laut Jürgen Hesse vergeben Unternehmen bei der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung von Mitarbeitern zunehmend Schulnoten. Viele Insider halten das für einen gangbaren Weg. Redekop erinnert daran, dass ein Arbeitszeugnis als Urkunde für „hohe Glaubwürdigkeit“ stehe. Würde man sich alternativ etwa des angelsächsischen Verfahrens von Referenzen bedienen, ginge dieser Urkundenfaktor verloren. Eine mögliche Wende zum Guten, Besseren? Arbeitsrechtler Gust warnt vor zu hohen Erwartungen. Der Grund: Viele Personaler fürchten sich vor dem Anwaltsschreiben. „Ihnen fehlt der Mut zur negativen Beurteilung.“ Wie es scheint, bleiben Zeugnisgeneratoren daher für die meisten das Mittel der Wahl.