Personalwirtschaft: Frau Ternès, was macht für Sie ein gutes BGM aus?
Anabel Ternès: Ein gutes Gesundheitsmanagement ist interaktiv und nachhaltig. Damit meine ich, dass Mitarbeitende bei der Konzeption einbezogen werden und die Prozesse, Lösungen, Organisationsformen und Kommunikationspläne langfristig und ressourcenorientiert gedacht sind. Gesundheitsmanagement sollte Teil einer Unternehmenskultur sein. Dabei stehen keine einzelnen Faktoren im Vordergrund, sondern das gesamte Miteinander und davon ist BGM ein signifikanter Teil.
Treffen diese Faktoren derzeit auf das Gesundheitsmanagement in den meisten Unternehmen zu?
Nein, BGM-Maßnahmen sind häufig zu kurz gedacht. Das mag damit zu tun haben, dass Gesundheitsmanagement nicht immer so ernst genommen wird. Es gilt vielerorts als Nice-to-have und nicht als etwas, das notwendig ist. BGM muss eine andere Priorität bekommen. Es geht nicht darum, Mitarbeitende zu bespaßen, sondern gemeinsam mit ihnen Lösungen dafür zu finden, wie sie in dem Unternehmen bestmöglich entsprechend ihrer Kompetenzen wirken können.
Können Sie Beispiele für ein zu kurz gedachtes BGM nennen?
Typisch ist der Gesundheitstag, an dem jemand einen Vortrag hält, gemeinsam gekocht wird, und beim Seilspringen gemessen wird, wie hoch die eigene Herzfrequenz ist. Das ist eine nette Aktion, aber häufig folgt auf die Reflexion, in die sich Mitarbeitende am Gesundheitstag begeben, keine Verhaltensänderung. Langfristig hat es daher nur wenig Nutzen, da die BGM-Aktionen nicht in den Alltag integriert werden.
Wie kann man es besser machen?
Zunächst einmal sollte es Anlaufstellen für akute Probleme geben – beispielsweise, wenn eine Mitarbeiterin zusammenbricht, oder wenn dem Mitarbeiter alles zu viel ist, weil er ein krankes Kind zu Hause hat oder einen Angehörigen neben der Arbeit pflegt. Hier geht es nicht um Schnickschnack, sondern um eine zentrale, schnelle Unterstützung des oder der Betroffenen. Was auch gleich zeigt: BGM ist essenziell und bedarfsorientiert. Und: es braucht gesamtsystemische nachhaltige, sprich langfristig gedachte Lösungen und Zugänge.
Was sind Ihrer Meinung nach weitere gute BGM-Angebote?
Sinnvoll sind hybride Angebote und Webinare, die für jeden von überall zugänglich sind und sich auf eine ganzheitliche Weise dem Thema Gesundheit widmen. Die Mitarbeitenden können von Zuhause aus oder auch während der Arbeitszeit diese Angebote in Anspruch nehmen – sie können so flexibel in den Alltag integriert werden. Wichtig ist auch, dass die Angebote interaktiv sind. Denn nur das ermöglicht es ihnen, die BGM-Angebote zu ihren eigenen zu machen.
Warum ist das wichtig?
Sonst kann der Arbeitgebende schnell als der Gönner wirken, der den Mitarbeitenden ein paar Sachen ausgesucht hat, zu denen sie jetzt ‚Ja‘ und ‚Danke‘ sagen sollen. Das kommt meist nicht gut an. Denn die Mitarbeitenden haben das Gefühl: Da passiert etwas, mit dem ich gar nichts zu tun habe. Sie fühlen sich bevormundet und sehen keinen Sinn darin, das BGM-Angebot anzunehmen.
Wann aber nehmen sie die Angebote an?
Wenn der Arbeitgebende sich beim BGM den Themen widmet, die die Mitarbeitenden gerade beschäftigen und bei denen sie Unterstützung brauchen. Für viele sind das derzeit Unsicherheit und die Schwierigkeit, sich angesichts der Krisen im Außen mit voller Power ihren Aufgaben zu widmen. Es fällt vielen aktuell schwer, Kraft und Zuversicht zu haben angesichts eines Krieges, der nicht weit weg ist und eigentlich nicht sein darf.
Sollten sich Arbeitgeber eher an äußeren Herausforderungen orientieren oder die Mitarbeitenden nach ihren individuellen Problemen fragen?
Man kann sich an den allgemein-gesellschaftlichen Herausforderungen orientieren, die man aber auf keinen Fall eins zu eins auf das eigene Unternehmen übertragen sollte. Der Blick nach draußen ist sinnvoll, aber erst, nachdem ich die Mitarbeitenden gefragt habe, was sie gerade beschäftigt und wie sie sich einbringen wollen.
BGM-Themen sind oftmals sensibel und können mit Scham behaftet sein. Wie können Führungskräfte und BGM-Verantwortliche Mitarbeitende trotzdem dazu ermutigen, zu teilen, welche Angebote ihnen helfen würden?
Es liegt viel an der Führungskraft und ihrer Beziehung zu ihren Mitarbeitenden. Sie sollte als Vorbild Konversationen zu BGM starten und selbst offen über die eigene Gesundheit sprechen. Auch die Geschäftsführung sollte auf die positiven Auswirkungen von BGM-Aktionen aufmerksam machen. Doch das Management fungiert nicht immer als Influencer. Das sind manchmal auch andere Mitarbeitende. Sie gilt es, für BGM zu begeistern und von Beginn an mitzunehmen.
Wer genau sind diese Influencer?
Ich meine damit Menschen, die gut im Unternehmen vernetzt sind, die Sprache der Belegschaft sprechen und als Sprachrohr ihrer Kolleginnen und Kollegen fungieren können. Sie wissen, wie sie erfolgreich ins Unternehmen hinein kommunizieren und wie die Stimmung im Team ist.
Ist es nötig, dass sich abgesehen von diesen Menschen noch weitere Mitarbeitende in die Konzeption und Umsetzung des BGM einbringen?
Ja, denn die Angebote werden ja für die breite Mitarbeiterschaft gemacht. Dass sich jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin einbringt, ist aber utopisch.
Wonach entscheidet man dann, wer miteinbezogen werden soll?
Das ist eine Frage, die jedes Unternehmen für sich individuell beantworten muss. Ich würde immer mit einer Mitarbeiterumfrage starten. Bei dieser sieht man, wer wie was antwortet und kann eine Auswahl treffen, wen man weiter in die BGM-Planung miteinbezieht. So stellt man sicher, dass man alle Interessierte mitnimmt und nicht nur den, der am lautesten ‚Ja‘ gerufen hat.
Wie sieht die Einbeziehung konkret aus?
Auch das ist unterschiedlich. Beschäftigte können Vorschläge für Themen und Angebotsformen machen, oder selbst ein Angebot kreieren. Mitarbeitende, die sich privat beispielsweise im Bereich progressive Muskelentspannung oder Yoga weitergebildet haben und diese Dinge unterrichten, können in der Mittagspause entsprechende Angebote für ihre Kolleginnen und Kollegen anleiten. Das hat den netten Nebeneffekt, dass die Mitarbeitenden zeigen können, welche weitere Qualifikationen außerhalb ihres Jobprofils haben. So fühlt sich der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin auch nicht nur in ihrem Job akzeptiert, sondern vollumfänglich als Person. Das wiederum fördert die Zugehörigkeit.
Je mehr Menschen miteinbezogen werden, desto schwieriger ist es, ein Projekt nicht im Chaos entarten zu lassen.
Das stimmt. Der Aufwand ist bei einem BGM, das unter Mitarbeiterbeteiligung konzipiert wird, größer. Doch nur so ist gesichert, dass die BGM-Angebote angenommen werden – und das langfristig, womit die Gesundheit der Mitarbeitenden und auch des Unternehmens auf Dauer gefördert wird.
Info
Zur Person: Anabel Ternès gilt als eine der führenden Köpfe für Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Die mehrfache Gründerin, Keynotespeakerin und Autorin hält als Zukunftsforscherin eine Professur für Kommunikationsmanagement und ist geschäftsführende Direktorin des Berliner SRH-Instituts für Nachhaltiges Management.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.