Big Data ist in HR angekommen. Ähnlich wie bei Partnerportalen versuchen
Personaler heute, mit cleveren Algorithmen den Traumkandidaten zu
finden. Vor wenigen Jahren war das noch unmöglich, doch inzwischen läuft
nahezu alles digital. Schon heute kann etwa der Handelsriese Walmart
aus dem Kaufverhalten junger Frauen erkennen, ob sie schwanger sind.
Oftmals sogar früher, als es die Frauen selbst wissen!
Bei mir verursacht das ein mulmiges Gefühl. Daher schlage ich seit
Neuestem zurück und kaufe einmal die Woche zwei, drei Produkte, die
überhaupt nicht zueinander passen: eine Flasche Weizenkorn, zwei Rollen
Zahnseide und die neue Ausgabe der „Emma“. Dann stelle ich mir vor, wie
die Datenbankexperten von Rewe vollkommen verwirrt auf meine bizarre
Einkaufsliste starren. „Was zum Teufel ist das für ein Konsument? In
welches soziodemografische Cluster fällt der bloß? Ist er vielleicht
sogar schwanger?“
2012 entwickelte Google einen Algorithmus, der – nachdem er zehn
Millionen Youtube-Videos gescannt hatte – mit einer Wahrscheinlichkeit
von 75 Prozent eine Katze identifizieren konnte. Wow! Der zweijährige
Sohn meiner Nachbarin kommt auf 100 Prozent. Ich sag’s mal salopp: Ein
Unternehmen, das in jeder vierten Katze einen Hund erkennt, wird
vielleicht ein wenig überschätzt.
Natürlich kann man inzwischen über digitale Daten Unwetter besser
vorausberechnen, Flugpläne optimieren und sogar die Entwicklung ganzer
Galaxien simulieren. Doch Daten legen sich nicht von selbst aus. Es
braucht für ihre Deutung immer einen menschlichen Blick. Mathematische
Algorithmen können niemals Ursache-Wirkungs-Prinzipien finden. Wenn Sie
einen Computer fragen, was ein Bleistift und eine Musikkassette
miteinander zu tun haben, scheitert er. Zugegeben, das tun viele
Teenager ebenfalls, aber das ist ein anderes Thema. Als ich – Jahrgang
1968 – meinem 14-jährigen Neffen übrigens neulich erzählte, dass es noch
gar keine Computer gab, als ich Kind war, fragte er mich: „Und womit
seid Ihr dann damals ins Internet gekommen?“
Auch wenn es IT-Nerds gerne verschweigen: Im Grunde sind Computer heute
noch genauso beschränkt wie schon vor fünfzig Jahren.
Bis zum heutigen
Tag „versteht“ kein Computer eine einfache Kindergeschichte, die man ihm
vorliest. Prozessoren wissen nicht, dass man nach dem Tod nicht mehr
zurückkommt. Und sie begreifen auch nicht, dass man mit einem Bindfaden
zwar an etwas ziehen, aber nichts damit schieben kann. Eine simple
Fruchtfliege hat 250 000 Neuronen, ein Bruchteil der Rechnerkapazität
eines iPhones. Trotzdem kann sie problemlos in drei Dimensionen
navigieren, Looping-Manöver durchführen und unseren Hausmüll in einen
Swingerclub verwandeln.
Big Data mag unser Leben mehr und mehr beeinflussen. Doch der Mensch ist
nur zu einem gewissen Teil berechenbar. Jeder, der länger im HR-Bereich
tätig ist, weiß das. Und eben für diesen unberechenbaren Teil werden
auch die klügsten Köpfe im Silicon Valley keinen mathematischen
Algorithmus finden. Wenn wir ein bloß zehnsekündiges Video eines uns
unbekannten Dozenten sehen, können wir mit einer verblüffenden
Treffergenauigkeit einschätzen, wie gut dieser Dozent sein Handwerk
beherrscht. Und wir sind uns todsicher, dass er keine Katze ist. In
Millionen Jahren Evolutionsgeschichte hat unser Gehirn Methoden
entwickelt, die es ihm erlauben, anhand von ganz wenigen Merkmalen
erstaunlich gute Rückschlüsse zu ziehen.
Der Mensch in all seinen Facetten ist eben deutlich mehr als eine große
Datenmenge. Von Friedrich Nietzsche stammt der Satz: „Um das Leben zu
begreifen, muss man die Last des Allzuvielwissens abwerfen.“ Oder war es
doch Paris Hilton?
Der Autor:
Vince Ebert ist Kabarettist, Vortragsredner, Moderator und Autor. In
seinem 2016 erschienenen › Buch „Unberechenbar“ argumentiert er, dass menschliches
Dasein nie planbar war – und es trotz aller Algorithmen auch zukünftig
nicht sein wird.
+++ Die digitalisierte Arbeitswelt und die Anforderungen an HR, sich digital aufzustellen, ist auch Thema des umfangreichen und kostenlosen Whitepapers „HR-Digitalisierung – Die wichtigsten Basics für das Personalmanagement 4.0“.
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