Die Umsätze stagnieren, der Gewinn bricht ein, die Anzahl der Krankmeldungen und Kündigungen steigt so rapide wie die Motivation der Mitarbeitenden sinkt. Müde dümpelt die Firma vor sich hin, verkrustete Strukturen lähmen Management, Führungskräfte und HR gleichermaßen. Nach dem x-ten Krisenmeeting steht der Beschluss fest: Veränderung ist angesagt! Alle gemeinsam krempeln jetzt die Ärmel hoch und spucken nur deswegen nicht kräftig in die Hände, weil es die aktuell geltenden Hygienemaßnahmen untersagen. Budget wird freigeschaufelt, eine Agentur engagiert, die Berater schwingen ihre Zauberstäbe, und nach ein paar Führungsentwicklungsseminaren und Mitarbeiterworkshops erstrahlen Konzern und Belegschaft in neuem Glanz. Man steht jetzt wieder zeitgemäß – also agil und hierarchieärmer – da und der baldige Erfolg scheint garantiert. „Alle sind happy, alle sind glücklich, alle sind froh,“ so besangen schon Die Ärzte 1995 die damals noch junge deutsche Einheit, die ja auch nichts anderes war als ein sehr großer Transformationsprozess.
Ganz so einfach ist es dann wohl doch nicht. In Artikeln über Change Management wird zuverlässig davor gewarnt, dass 70 Prozent aller Change-Projekte zum Scheitern verurteilt sind. Diese doch recht demotivierende Zahl, die übrigens aus dem Buch „Business Reingeneering“ von Michael Hammer und James Champ stammt, scheint zunächst plausibel, denn der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Initiale Ablehnung gegenüber allem Unbekannten ist eine stabile Größe unseres Daseins, das erleben etwa Konsumgüterkonzerne immer wieder. Man denke nur an die Umbenennung von Raider in Twix oder die gescheiterten Einführung der „New Coke“. Auch im Mikrokosmos des eigenen Büros hängt schnell der Haussegen schief, wenn die Kaffeebohnensorte in der Kaffeeküche verändert wurde.
Diese und ähnliche Anekdoten werden in Change-Management-Workshops gerne als Negativbeispiel benutzt, um auf eine geradezu bahnbrechende Möglichkeit hinzuweisen: Fragen wir vor einer großen Veränderung doch mal diejenigen nach ihrer Meinung, die davon betroffen sein werden. Denn obwohl dies eigentlich selbstverständlich sein sollte, wird in der Praxis oft einfach dem nächsten verheißungsvoll wirkenden Framework nachgerannt, um ihn der Organisation mit Versprechen zur Besserung überzustülpen. Ist doch viel angenehmer, als sich den großen Fragen zu stellen: Was wollen wir, was brauchen wir? Und zwar nicht nur heute und übermorgen, sondern perspektivisch? Wie weit tragen unser Geschäftsmodell und unsere Organisationsstruktur noch? Wie kriegen wir die Interessen von Stake- und Shareholdern versöhnt? Wie können wir uns so wandeln, dass unsere Wandlungsfähigkeit zunimmt?
Wandelbarkeit bei Notwendigkeit
Das Gegenteil, nämlich in lieben alten Gewohnheiten verharren und Wandel an sich als neumodischen Tand abzutun, hilft natürlich auch nicht. Was in Sachen Transformation, ob digitale oder kulturelle, alles geht, wenn es muss, haben die beiden vergangenen Jahre eindrucksvoll bewiesen. Plötzlich lief es einfach, dieses Digital und Remote. Vorgesetzte im ganzen Land wunderten sich, dass Teams auch ohne (ihre) physische Präsenz allen Aufgaben gerecht wurden, Unternehmensbereiche performten und die Organisation stabil auf Kurs blieb statt in der Krise unterzugehen. Und Umfrage nach Umfrage zeigt, dass dieser Change nicht mehr rückgängig zu machen ist. Apropos Umfrage: Die Zahl der 70 Prozent gescheiterter Change-Management-Projekte ist nicht so absolut, wie sie scheint. Michael Hammer betonte in seinem nächsten Buch, dass es sich hier nur um eine Schätzung der Autoren gehandelt hatte, die leider wiederholt falsch als absolute Zahl zitiert wird. Die Angst vor Veränderung ist also oft unnötig. Man muss ja nicht gleich bei dem Lieblingskaffee der Belegschaft anfangen.
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Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Managemment und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit HR-Technologie und Diversity.