Herr Barth, wie weit ist HR mit der digitalen Transformation?
Thorsten Barth: Die digitale Transformation in Unternehmen ist stark durch die Einführung der Cloud-Technologie geprägt. Die meisten Gesellschaften im DAX und im MDAX sowie die großen Mittelständler haben sich bereits mit der Frage auseinandergesetzt, wie sie HR-Softwareprogramme durch Cloud-Technologie ersetzen können, oder sie tun dies aktuell bereits. Hierbei gibt es im Wesentlichen zwei Vorteile. Zum einen bedeutet ein Software-as-a-Service-Geschäftsmodell in der Regel geringere Kosten, zum anderen ermöglicht die Cloud-Technologie eine deutlich bessere User-Experience und damit insgesamt die Möglichkeit für ein besseres Mitarbeiterengagement. Letzteres ist gerade für Prozesse etwa im Talentmanagement relevant, denn auch Manager, die die Tools nicht täglich nutzen, sollen in der Lage sein, sie dank ihrer verständlichen Funktionalität intuitiv und leicht zu nutzen, auch mobil.
Herr Thomaszik, lassen sich durch Cloud-Technologie alle HR-Funktionen in einem IT-System zusammenfassen?
Bernd Thomaszik: Ja und nein. Viele Unternehmen sind in der Vergangenheit durch Akquisitionen gewachsen und weisen in HR eine zersplitterte IT-Landschaft mit lokalen, oft ungenügenden Lösungen auf. Cloud-Technologie hilft, verschiedene Bereiche und Prozesse in einem System abzubilden. Doch im HR-Umfeld existieren zahlreiche Prozesse und Technologien, die an die interne HR-Funktion andocken. Im Recruiting und im Talentmanagement kommen mehr Apps zum Einsatz, die eine passgenaue Auswahl der Kandidaten ermöglichen sollen. Bisher haben Funktionen wie Vergütung oder Personalentwicklung separiert nebeneinander gearbeitet. Auch hier hilft Cloud-Technologie mit, einheitliche Strukturen einzuführen und zu nutzen und ein Levelling-System und ein Karrierestufenmodell zu verbinden.
Verändert die Cloud-Technologie vor allem HR-Prozesse?
Thorsten Barth: Ja, grundsätzlich verändern sich die Prozesse und damit auch die Aufgaben der HR-Mitarbeiter. Die Unternehmen benötigen vor der Implementierung eines Cloud-Systems ein abgestimmtes Konzept, nach dem Strukturen vereinheitlicht werden sollen. Die Verantwortlichen müssen bereits vor der technischen Umsetzung wissen, wie die Levelling-Struktur, Vergütungsmodelle, Job-Families und so weiter aussehen sollen. Dadurch laufen die Prozesse in der Cloud effizienter ab.
Bernd Thomaszik: Die Cloud-Technologie ermöglicht einen qualitativen Sprung in der HR-Arbeit. So kennt künftig jeder Mitarbeiter seinen individuellen Karriereplan. Der basiert auf dem Stellenkatalog des Unternehmens, einem Grading oder einer Karrierestufung. Die Karrieren vollziehen sich laut Karriereplan in Zyklen. Daraus ergeben sich Nutzungs- und Analyseoptionen. In der Konsequenz kann HR das Engagement der Mitarbeiter positiv beeinflussen, indem wesentlich transparenter wird, welches die persönlichen Jahresziele sind, wo die Mitarbeiter stehen und wie sich ihre Leistung in der Vergütung niederschlägt. Karriere- und Vergütungspläne lassen sich agiler managen, der Mitarbeiter kann Karriereoptionen selbst erkunden. Auch eine höhere Feedbackfrequenz lässt sich gut abbilden.
Sind die klassischen HR-Management-Systeme nicht für den Mittelstand überdimensioniert?
Thorsten Barth: In der Vergangenheit wurden Systemeinführungen häufig komplex und kostenintensiv umgesetzt. Cloud-Technologie ermöglicht eine größere Standardisierung und damit prinzipiell eine effizientere Einführung sowie geringere Kosten. Gerade für den Mittelstand haben Cloud-Anbieter Lösungen mit vereinfachten Funktionen im Angebot, die Implementierungen beschleunigen und effizientere Strukturen ermöglichen.
Eröffnen digitale Anwendungen auch neue Analysemöglichkeiten für das Reporting?
Thorsten Barth: Analytics sind eine Kernfunktion der neuen Technologien und lassen sich bedarfsgerecht konfigurieren. Dadurch können Manager ihre Reports entsprechend den gewünschten Daten und Kriterien einfach und flexibel zusammenstellen. Die Herausforderung dabei ist, die Führungskräfte abzuholen und die erforderlichen Informationen so bereitzustellen, dass sie ihr Geschäft gezielter steuern und konkrete Maßnahmen ableiten können.
Bremsen Datenschutz und Mitbestimmung HR bei der Arbeit mit persönlichen Daten aus?
Bernd Thomaszik: Sicher sind die Vorschriften zum Datenschutz in Deutschland enger als in anderen Ländern gefasst, und sicher bedeutet die Mitbestimmung eine längere Diskussion über die Nutzung persönlicher Daten. Die Technik ist deutlich weiter als die Realität in den Unternehmen. Doch die datenschutzrechtlichen Vorgaben sind in der Cloud-Technologie gut umgesetzt. Einigungen mit dem Betriebsrat sind in der Praxis herausfordernd, aber im Rahmen einer professionellen Verhandlung umsetzbar. Ein kritischer Betriebsrat lässt sich am besten überzeugen, wenn das Unternehmen das Thema offen angeht und die Vorteile für den Betriebsrat darstellt, etwa den direkten Zugang zu erforderlichen Informationen.
Für welche HR-Funktionen bringt die Digitalisierung die größten Entwicklungssprünge?
Thorsten Barth: Das größte Entwicklungspotenzial sehe ich im Recruiting, im Onboarding und im Talentmanagement. Bereits jetzt entstehen dort die meisten digitalen Anwendungen, auch wenn sie den zentralen internen HR-Prozessen vorgelagert sind. Apps verbinden die mobile Verfügbarkeit mit innovativen Gamification-Ansätzen, etwa im Recruiting neuer Mitarbeiter. Die Ergebnisse solcher Anwendungen lassen sich analysieren und mit den Jobprofilen abgleichen, um Vakanzen passgenau zu besetzen. Der Fachkräftemangel und die demographische Entwicklung sind dort die Treiber. In der Vergütung wird die Digitalisierung durch Online-Total-Rewards- oder -Benefits-Center für mehr Transparenz sorgen. Natürlich fördert sie Online- und hybride Lernformen.
Wie verbinden Analytics Vergütungsdaten mit HR?
Bernd Thomaszik: Nehmen Sie die variable Vergütung und die dazugehörenden KPIs. Beide sind im oberen Management nicht voneinander abgekoppelt. Hier lässt sich mit Hilfe digitaler Anwendungen genauer prüfen, ob ein Manager seine KPIs erreicht und welcher Bonus sich daraus ergibt. Geht die Performance nicht in die richtige Richtung, lassen sich Jobalternativen für die Person und die dafür benötigten Learning-Module ermitteln.
Das Interview führte Dr. Guido Birkner.