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Not macht erfinderisch

Foto: © Romolo Tavani / Adobe Stock
Foto: © Romolo Tavani / Adobe Stock

Die Nachricht, die derzeit alle Personaler am meisten fürchten, traf den Verlag Herder in der zweiten Märzwoche. „Nach einigen Verdachtsfällen hatten wir tatsächlich einen vom Coronavirus Betroffenen in unserer Belegschaft“, sagt Selina Mefort, Personalreferentin des in Freiburg ansässigen Verlagshauses. Daraufhin wurde umgehend eine Politik des „Social Distancing“ beschlossen. Die rund 200 Mitarbeiter, die an drei deutschen Verlagsstandorten und in Rom arbeiten, wurden in drei Gruppen aufgeteilt: A, B und C. (Intranet-Meldung vom 12.3.2020) „Diese Info haben wir in das Intranet gestellt“, erläutert Mefort, „sicherheitshalber haben wir alle auch per E-Mail benachrichtigt.“ Mit der Folge: Am Dienstag der dritten Märzwoche sind lediglich die Mitarbeiter aus Gruppe A im Verlag präsent. Alle anderen arbeiten von zu Hause aus. In der nächsten Woche wird nur Gruppe B am Schreibtisch im Büro sitzen, und in der ersten Aprilwoche sind lediglich die Kolleginnen und Kollegen der Gruppe C persönlich vor Ort. Selina Mefort blickt sich suchend um: „Heute sind hier gerade mal 30 bis 40 im Haus. Alle anderen arbeiten innerhalb ihrer eigenen vier Wände.“

Kreativität dank Quarantäne

Die Freiburger Belegschaft besteht aus Redakteuren, Lektoren, App-Entwicklern, Content-Managern, kaufmännischen Angestellten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vertrieb. Fast alle sind Akademiker. Da lässt sich solch ein ad hoc-Schichtdienst vergleichsweise einfach organisieren, zumal der eine oder die andere auch schon vor der Gefahr durch das Coronavirus im Homeoffice tätig war. „Unsere IT-Abteilung hat Großes geleistet“, lobt Mefort. Im ganzen Haus wurde nach nicht genutzten Laptops gefahndet. Diese wurden den Mitarbeitern nach Funktionscheck und Software-Update in die Hand gedrückt. Viele verwenden auch ihre private Hardware. „Einige unserer älteren Mitarbeiter haben sogar ihren Desktop-Computer samt Maus, Tastatur und Drucker vom Schreibtisch abgebaut und zu sich nach Hause geschafft, weil sie mit ihrer gewohnten Hardware arbeiten wollen“, erzählt Mefort. Nicht jugendlich-überlegen lächelnd, sondern mit unverhohlener Anerkennung.

Um vom Homeoffice aus auf das Firmennetzwerk zugreifen zu können, erhielten alle frischgebackenen Heimarbeiter eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Einrichtung eines Virtual Private Networks (VPN). Mit der ABC-Regel zur Präsenzpflicht sowie der Verlegung von Mitarbeitern ins Homeoffice nahm der Verlag Herder übrigens zwei wesentliche Empfehlungen des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) vorweg.

Fliegender Wechsel bei Corona-Fall

Die elf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der Frankfurter Arbeitsrechtskanzlei Bluedex sowie die rund 20 Supportkräfte waren schon Ausbruch des Coronavirus‘ technisch komplett ausgerüstet, sodass sie bereits Anfang März problemlos ins Homeoffice wechseln konnten. „Grundsätzlich wollen wir unsere Mitarbeiter schon bei uns haben“, sagt Partner Michael R. Fausel. „Aber um die Auswirkungen eines Covid-19-Falls in unseren Reihen möglichst gering zu halten, haben wir eine Task Force aufgebaut.“ Die sieht so aus: Jeweils ein Anwalt und eine Sekretärin bleiben immer zu Hause. „Falls der Virus bei einem Mitarbeiter entdeckt wird, gehen alle sofort nach Hause. Dafür kommt dann die Task Force ins Büro und übernimmt. Und bei normalem Verlauf sind die anderen zwei Wochen später wieder gesund“, sagt Fausel. „Mit dieser Reserve sind wir immer arbeitsfähig.“

Die Produktion ruht, die Verwaltung sitzt im Homeoffice

Wesentlich drastischere Konsequenzen hat das Coronavirus derzeit für die Automobil- und Luftfahrtindustrie. Beim Automobilbauer VW und seinen zahlreichen Tochtergesellschaften stehen die Werke in Italien, Spanien, Portugal und der Slowakei seit dieser Woche still. Die meisten anderen deutschen und europäischen Werke des Konzerns folgen in wenigen Tagen – vorerst für zwei Wochen. Auch andere Automobilhersteller reagieren mit Kurzarbeit oder Werksschließungen. In seiner Verwaltung versucht BMW die Ausbreitung des Virus‘ mit Homeoffice zu bekämpfen. Ein Münchner Mitarbeiter wurde infiziert und alle Kolleginnen und Kollegen, die mit ihm in Kontakt standen, sollen dem Betrieb nun für zwei Wochen fernbleiben. Betroffen sind rund 150 Menschen. Auch Schwangere und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können vorübergehend im heimischen Büro arbeiten.

Sofern nicht der komplette Shutdown des Landes angeordnet wird, was nun jederzeit der Fall sein kann, wird nach und mit allen Kräften weiter produziert. Unternehmen wie der Kranhersteller Tadano Demag und der Landmaschinenhersteller John Deere in Zweibrücken haben bisher keine Einschränkungen in der Produktion vorgenommen. Sehr wohl aber die Mobilität ihrer Mitarbeiter beschränkt: Reisen in Infektionsgebiete sind tabu, Besuche aus diesen Ländern werden verschoben. Das berichtete Personalchef Frank Schättle in der Saarbrücker Zeitung. In der Produktion seien die Mitarbeiter vor allem über Hygiene-Aspekte informiert und zusätzliche Desinfektionsspender angebracht worden. Bei John Deere gilt die erhöhte Vorsicht schon allein aufgrund der vielen geschäftlichen Kontakte zu China und Italien. Mitarbeiter, die sich in Risikogebieten aufhielten, müssen während der Inkubationszeit von zwei Wochen im Homeoffice arbeiten.

Wenn die Quarantäne keine Option ist

Die Einstellung von Dienstreisen und der Appell an die Mitarbeiter, möglichst auch im Privatleben zu Hause zu bleiben, sind im Handumdrehen mit einer Ankündigung im Intranet getan. Quarantäne ist dagegen nicht für alle Unternehmen eine Option. „Es gibt Kollegen, die können nicht in Quarantäne gehen“, erklärt Yi-Chun Sandy Chen, Sprecherin HR des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport AG. 24.000 Beschäftigte stehen aktuell auf der Payroll, Mediziner, Feuerwehrleute, Ingenieure, IT’ler, Immobilienkaufleute, Verwaltungsangestellte sowie Mitarbeiter für die Gästebetreuung im Flughafen. „Wir überlassen das den einzelnen Bereichen“, sagt Chen. „Für Verdachtsfälle und nachgewiesene Infektionen haben wir einen Vorgehensweg definiert, der mit dem Gesundheitsamt Frankfurt und dem Hessischen Ministerium für Soziales und Integration abgestimmt wurde.“

Bei Catalent Pharma Solutions in Schorndorf, ein Tochterunternehmen des amerikanischen Pharmaherstellers Catalent, kann man die Mitarbeiter zwar nicht einfach zu Hause arbeiten lassen – aber man kann ihnen helfen, unnötige Kontakte zu vermeiden. Dienstreisen in die USA sind aufgrund der weltweiten Reisebeschränkungen ohnehin nicht mehr möglich, und so finden nach Angaben von Personalchef Peter Gadhof sämtliche Kunden- und Besuchstermine nur noch virtuell statt. Damit die Mitarbeiter zeitlich versetzt in die Pause gehen und zu enge Kontakte während des Mittagessens vermeiden können, wurden die Öffnungszeiten der Kantine verlängert. Allerdings könnte die Produktion aus einem anderen Grund ins Stocken geraten. Denn zur Herstellung von Medikamenten müssen die Mitarbeiter in den Reinräumen Schutzmasken tragen. Und die sind aufgrund von Lieferengpässen nur noch schwer zu bekommen.

Jobwechsel zur falschen Zeit

Wer soeben ins Berufsleben gestartet ist oder den Job gewechselt hat, ist besonders von der Krise betroffen. Denn während der Probezeit können Mitarbeiter ohne große Umstände freigesetzt werden. Aufgrund des dramatischen Einbruchs des Flugverkehrs überprüft die Lufthansa sämtliche Neueinstellungen, setzt sie zum Teil aus oder verschiebt sie auf einen späteren Zeitpunkt. Neben dem bereits angekündigten Verzicht auf eine Dividendenausschüttung für 2019 gehört das zum Maßnahmenpaket zur Kostensenkung im administrativen Bereich, mit dem die Lufthansa den wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus‘ entgegentreten will. Zudem bietet die Airline ihren Mitarbeitern ab sofort unbezahlten Urlaub an, prüft die Ausweitung ihres Teilzeitangebots und sagt alle anstehenden Fortbildungsmaßnahmen ab.

Die drastischen Umstellungen, die Unternehmen im Personalbereich jetzt vornehmen müssen, um in den nächsten Wochen und Monaten organisatorisch und wirtschaftlich über die Runden zu kommen, dürften Folgen haben, die weit über das Frühjahr 2020 hinausreichen. Selina Mefort vom Freiburger Verlag Herder erkennt sogar schon einen Lichtblick am Horizont: „Corona birgt eine sehr große Chance“, glaubt die Personalreferentin. „Wir haben gezeigt und die Mitarbeiter haben gesehen, dass man sich in kürzester Zeit digital aufstellen kann.“ Die Kommunikation habe auch deshalb so gut funktioniert, weil jeder mitziehen musste. Auch die Verantwortung der Führungskräfte sei stärker wahrgenommen worden. „Die Maßnahmen findet zwar nicht jeder toll“, sagt sie, „aber wenn sich in ein paar Monaten die Corona-Krise gelegt hat, dürfte kaum einer vom Status Quo zurückgehen wollen. Falls es so etwas wie einen Nutznießer der aktuellen Corona-Virus-Krise gibt, dann ist es die Digitalisierung.“