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„Es bedarf immer einer Einzelfallabwägung“

Marc André Gimmy, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Leiter der deutschen und internationalen Arbeitsrechtsabteilung von Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB
Marc André Gimmy, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Leiter der deutschen und internationalen Arbeitsrechtsabteilung von Taylor Wessing Partnerschaftsgesellschaft mbB

Personalwirtschaft: Darf ein Arbeitgeber in der aktuellen Pandemie-Lage seine Mitarbeiter nach ihrem Gesundheitszustand fragen?

Marc André Gimmy: Hier müssen wir differenzieren. Ein allgemeines Fragerecht nach dem Gesundheitszustand sieht das deutsche Recht nicht vor, da dies nicht mit dem Arbeitnehmerdatenschutz vereinbar ist. Allerdings sind strikt tätigkeitsbezogene Fragen nach dem Gesundheitszustand zulässig. Zum Beispiel: Liegen ansteckende Krankheiten vor, die zwar nicht die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, jedoch die Kollegen oder Kunden gefährden? Zulässig dürfte diese Frage nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet oder aus einem Land mit Reisebeschränkung sein. Auch bei einem konkreten Verdacht einer Erkrankung in sensiblen Betrieben wie Krankenhäusern oder Rettungsdiensten hat der Arbeitgeber das Recht nachzufragen, da dies tätigkeitsbezogen ist . Dabei sind die Vorgaben der betrieblichen Mitbestimmung zu beachten.

Müssen die Mitarbeiter informiert werden, wenn ein Kollege mit dem Corona-Virus infiziert ist?

Der Arbeitnehmerdatenschutz gilt auch in diesem Fall. Die bei Corona nach dem Infektionsschutzgesetz vorgeschriebenen Meldepflichten bestehen nur gegenüber der Behörde. Mitteilungen an die übrigen Mitarbeiter haben grundsätzlich anonym zu erfolgen. Im Einzelfall kann es aufgrund der Fürsorgepflicht notwendig werden, die Erkrankung beziehungsweise Nichterkrankung von Kollegen Mitarbeitern mitzuteilen, die unmittelbar mit dem Betroffenen Kontakt haben oder hatten. Jedoch muss der Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass diese Mitteilung nicht von den Beschäftigten weitergetragen wird. Auch sie sind auf Grundlage des Persönlichkeitsschutzes zur Verschwiegenheit verpflichtet. Im Zweifel empfiehlt sich eine enge Abstimmung mit dem Gesundheitsamt, dem weitgehende Frage- und Informationsrechte zustehen.

Können Arbeitgeber von Mitarbeitern eine betriebsärztliche Untersuchung verlangen?

Nur wenn ein sogenanntes überwiegendes Interesse des Arbeitgebers vorliegt. Beispielsweise weil der Arbeitnehmer eindeutig einem Risiko ausgesetzt ist oder war. Also wenn er sich in einer Krisenregion mit Reisewarnung befindet oder sich dort in der jüngeren Vergangenheit aufgehalten hat. Auch bei Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit einem besonderen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind oder waren, kann der Arbeitgeber die Untersuchung verlangen. Aber es bedarf immer einer Einzelfallabwägung, weil das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers natürlich auch in der Corona-Krise zu beachten ist.

Haben Unternehmen das Recht, auf einem Attest zu bestehen, das die sogenannte gesundheitliche Unbedenklichkeit bescheinigt?

Nein, abgesehen von den gesetzlichen Vorgaben nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) oder zum Beispiel im Rahmen der arbeitsmedizinischen Pflichtvorsorge etwa in der Lebensmittelindustrie. Anders sieht es aus, wenn ein von einer Corona-Virus-Erkrankung genesener Mitarbeiter wieder zur Arbeit erscheinen will. Aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften wie des IfSG muss er von einem Arzt für „gesundheitlich unbedenklich“ erklärt werden. In diesem Fall kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Beschäftigte ihm den entsprechenden Bescheid vorlegt, der auch vom Gesundheitsamt ausgestellt wird.

Wenn ein Beschäftigter auf seinen Vorgesetzten einen kranken Eindruck macht und dieser befürchtet, dass es zur Ansteckung der Kollegen kommt, welche Spielräume hat er? Kann er den Beschäftigten – gegen dessen Willen – suspendieren?

Das ist nur dann möglich, wenn das Suspendierungsinteresse des Arbeitgebers das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegt. Liegt ein berechtigter konkreter Grund vor wie etwa der Aufenthalt in Krisenregionen oder eine Tätigkeit mit erwiesener hoher Ansteckungsgefahr, kann er ihn von der Arbeit unter Fortzahlung der Vergütung für zwei Wochen freistellen. Wenn die Suspendierung in Form einer Versetzung erfolgt, ist das zwingende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten, der auch bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes zu beteiligen ist. Arbeitgeber sind daher gut beraten, Notfallpläne mit dem Betriebsrat zu vereinbaren.

Müssen Unternehmen derzeit Desinfektionsmittel anbieten oder das Tragen von Masken anordnen?

Grundsätzlich gibt es außer bei Betrieben im Gesundheitswesen und in der Lebensmittelproduktion keine Pflicht des Arbeitgebers, Desinfektionsmittel aufzustellen oder Mitarbeiter mit Masken auszustatten – soweit es sich nicht um persönliche Schutzausstattung nach dem Arbeitsschutzgesetz handelt. Will der Arbeitgeber aktuell seine Mitarbeiter zur Benutzung von Desinfektionsmitteln verpflichten, ist eine Betriebsvereinbarung abzuschließen. Wenn ein Betrieb die Verwendung von Desinfektionsmitteln anordnet, müssen Arbeitnehmer auf jeden Fall auch über die Gesundheitsgefahren bei der falschen Verwendung – in Bezug auf Hauterkrankungen, Allergien und anderes – aufgeklärt werden. Beim Gebrauch von Atemschutzmasken ist ebenfalls an das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu denken. Allerdings sollten Arbeitgeber im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht zumindest Desinfektionsmittel anbieten, von denen die Beschäftigten freiwillig Gebrauch machen können.

Wer trägt in der Pandemie die Kosten zum Beispiel für Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel?

Die Kosten des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für die arbeitsmedizinische Vorsorge trägt der Arbeitgeber. Dies gilt auch für Umkleidezeiten oder die Einrichtung geeigneter Homeoffice-Plätze, wenn die Tätigkeit im Homeoffice vom Arbeitgeber angeordnet wird.

Sind die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts für Unternehmen bindend?

Nein. Jedoch sollten Unternehmen im Rahmen der Maßnahmen des Gesundheitsschutzes – unter Beachtung der betrieblichen Mitbestimmung – die Hinweise anerkannter Forschungseinrichtungen berücksichtigen. Aus Gründen der Fürsorgepflicht ist der Arbeitgeber daher verpflichtet, die Ratschläge etwa zum Händewaschen an die Beschäftigten weiterzugeben und die aktuellen behördlichen Empfehlungen zu verfolgen sowie die Beschäftigten hierüber zu informieren.

Können Arbeitnehmer von ihrem genehmigten Urlaub Abstand nehmen oder eine Übertragung  mit dem Hinweis verlangen, derzeit seien Reisemöglichkeiten eingeschränkt?

Nein, im Prinzip nicht. Ist der Urlaub genehmigt, so ist dieser auch grundsätzlich zu nehmen. Aber: Abgesehen von der rechtlichen Seite werden die Personalabteilungen derzeit aus Kulanzgründen Ausnahmen machen.

Darf ein Arbeitnehmer aufgrund der Pandemie zu Hause bleiben?

Nein. Wer nicht erkrankt ist, muss zur Arbeit erscheinen. Das Risiko einer möglichen Ansteckung etwa bei der Fahrt zur Arbeit berechtigt Beschäftigte nicht, ihre Arbeitsleistung zu verweigern. Auch die einzelnen Ausgangsbeschränkungen der Bundesländer gestatten bisher ausdrücklich, den Weg zur Arbeit aufzunehmen.

Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.