Heute scheidet Deutsche-Bank-Vorstand Jürgen Fitschen aus dem Amt. Hinter ihm liegen bewegte Jahre, in denen nicht zuletzt die Führungskultur in der Deutschen Bank öffentlich im Kreuzfeuer stand. Im Gespräch mit dem Sozialpsychologen Rolf van Dick erläutert er seinen Führungsbegriff. Auftakt zu unserer neuen Serie Besser führen.
Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs im November 2013 war Jürgen Fitschen seit gut anderthalb Jahren gemeinsam mit Anshu Jain Co-Vorstandssprecher der Deutschen Bank. Kurz vor dem Interview hatte der Aufsichtsrat seinen Vertrag bis 2017 verlängert. Doch wie wir wissen, kam es anders: Mittlerweile ist Anshu Jain aus dem Vorstand der Deutschen Bank ausgeschieden und durch John Cryan ersetzt worden. Heute übernimmt Cryan den alleinigen Vorstandsvorsitz; Jürgen Fitschen verlässt nach fast 30 Jahren – 14 davon im Vorstand – die Deutsche Bank.
Jürgen Fitschen zu sprechen, war erst nach vielen Anfragen möglich gewesen. Umso schöner war es, dass er sich sehr auf das Gespräch einlassen konnte und dabei auch persönlich wurde. Er erzählte von seiner Kindheit auf einem kleinen Dorf in Norddeutschland, wo es außer ein paar Bauernhöfen und einem Gemischtwarenladen nichts gab, an dem er Führung hätte beobachten können. Er sprach auch von seinem Vater, von dem er einiges übernommen habe, wie zum Beispiel den Fleiß.
Führung in der Forschung
Besonders interessant, und darauf möchte ich hier näher eingehen, waren seine Antworten auf meine Frage, was gute Führung ausmacht. In der Forschung beschäftigt man sich schon seit langer Zeit damit, angefangen mit Beginn des letzten Jahrhunderts, als man zu ermitteln versuchte, welche Eigenschaften Führungskräfte von Nicht-Führungskräften unterschieden. Dabei wurden körperliche Merkmale wie Stimmlage oder Größe berücksichtigt, auch Faktoren wie Intelligenz oder bestimmte Persönlichkeitszüge. Diese Forschung führte dann aber in eine Sackgasse: Es wurden mit der Zeit immer mehr Eigenschaften gefunden, sodass am Schluss gar kein einheitliches Bild mehr gezeichnet werden konnte.
Ab etwa 1940 haben sich Wissenschaftlerteams an zwei amerikanischen Universitäten daher dafür interessiert, was denn gute Führungskräfte eigentlich tun und weniger wie sie sind. Diese als Ohio- und Michigan-Studien bekannt gewordene Forschung unterteilt Führung in zwei Kategorien: Die aufgabenorientierte und die personenorientierte Führung. Was das ist, lässt sich sehr schön an einer Aussage von Jürgen Fitschen ablesen. Er sagt:
„Für mich persönlich sind das zwei Themenbereiche, die ich nebeneinander stellen würde. Erstens das, was man an Kenntnissen und vielleicht auch an Erfahrung vermitteln kann, um anderen zu erklären wo man hin will. Und zweitens den Mitarbeitern die Unterstützung zukommen zu lassen, so dass sie dieses Ziel erfolgreich verfolgen können.“
Aufgabenorientiertes Führen
Damit beschreibt Jürgen Fitschen die aufgabenorientierte Führung. Hier richtet sich die Aufmerksamkeit der Führungskraft auf die Aufgabe. Man hat Sachkenntnis und Erfahrung, die einem hilft, Ziele zu formulieren. Diese vermittelt man den Mitarbeitern, zeigt ihnen den Weg um das Ziel zu erreichen und unterstützt sie dabei.
Fitschen sagt weiter: „Davon zu unterscheiden ist etwas anderes, das ebenfalls in die gleiche Richtung geht, aber doch anders aufgenommen wird. Dies ist – und da sprechen wir darüber, ob die Führungskraft sympathisch wahrgenommen wird –, dass man Mut macht. Und nicht, weil man Wissen vermittelt, sondern durch die Art und Weise, wie man mit diesen Kollegen umgeht. Eine Maxime muss sein, mit jedem Kollegen, egal auf welcher Hierarchieebene er sich befindet, respektvoll umzugehen. Dazu gehört auch, dass man offen ist, dass man zuhört und dadurch auch die Wichtigkeit des Anderen unterstreicht.“
Personenorientiertes Führen
Dies ist die personenorientierte Führung. Ganz unabhängig von der Aufgabe und den Zielen steht hierbei der Mitarbeiter im Vordergrund: Die Führungskraft muss respektvoll mit ihm umgehen, ihm zuhören und ihn damit auch wertschätzen. Beide Führungsstile sind effektiv. Für Fitschen sind diese beiden Arten zu führen zwei Seiten einer Medaille. Er sagt: „Das eine ist der Stil und das andere der Inhalt. Und idealerweise kommt beides zusammen, dann wird’s besonders gut.“ Eine gute Führungskraft arbeitet also Fitschen zufolge sowohl aufgaben- als auch personenorientiert.
Die Forschung hat allerdings gezeigt, dass viele Führungskräfte dies nicht unbedingt können. Manche kümmern sich eher erfolgreich um die Aufgaben und Ziele, andere erzielen Erfolge, weil sie auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter eingehen können und ihren Respekt haben. Weiterhin legen die sogenannten Kontingenztheorien nahe, dass nicht jeder Stil in jeder Situation gleichermaßen effektiv ist. Eine mögliche „Kontingenz“, also Situationsabhängigkeit, ergibt sich zum Beispiel durch kulturelle Unterschiede. Hierzu sagt Fitschen, dass der respektvolle Umgang mit den Mitarbeitern „ein Universalprinzip ist. Es gilt in jeder Lebenslage, überall auf der Welt.
Ich habe nie die Erfahrung gemacht, dass jemand sich motiviert fühlt, wenn er nicht mit Respekt behandelt wird.
Und weiter: „Es gibt Dinge, die in verschiedenen Regionen anders aufgenommen werden. In manchen Ländern ist es beispielsweise völlig daneben, wenn Sie laut werden. Das ist eine Art von mangelndem Respekt, den Sie da zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig zwingen Sie Ihr Gegenüber dazu, sich zu schämen, und das ist fatal.“
Wie wichtig kulturelle Einflüsse sind, hat die Globe-Leadership Studie gezeigt, in der mehr als 100 Wissenschaftler aus über 60 Ländern zwischen 1990 und 2000 über 18.000 Führungskräfte aus dem mittleren Management befragt haben. Die Ergebnisse zeigen, dass zum Beispiel in Frankreich die Aufgabenorientierung als besonders wichtig angesehen wird, während es in Brasilien eher die Mitarbeiterorientierung ist – und in China erwartet man von guten Führungskräften wiederum beides, also klare Strukturen und gleichzeitig ein Beachten der Mitarbeiterbedürfnisse.
Deutsche setzen auf Performance
Für Deutschland hat dazu übrigens mein Kollege Felix Brodbeck von der LMU München die Globe-Ergebnisse so zusammengefasst: „Leadership made in Germany: Low on compassion, high on performance“. Das bedeutet, dass Führungskräfte in Deutschland zumindest in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren, weil sie Leistung und Ziele (also die Aufgabenorientierung) in den Vordergrund stellten (tough on the issue), gleichzeitig aber wenig mitarbeiterorientiert führten (tough on the person).
Während dies in den traditionellen strukturierten Industrien der vergangenen Jahrzehnte gut funktionierte, warnen Brodbeck und Kollegen allerdings davor, diesen Stil beizubehalten. Sie schlagen für moderne, serviceorientierte und teambasierte Unternehmen einen Stil „Hart in der Sache – weich zu den Menschen“ als erfolgversprechender vor. Jürgen Fitschen würde diese Empfehlung wohl unterschreiben.
Übrigens war schon die unmittelbare Vorbereitung des Gesprächs bemerkenswert: Meine Studierenden hatten bereits die Kameras im zweithöchsten Stock in einem der Deutsche-Bank-Türme in Frankfurt aufgebaut. Dann erschien zunächst der Kommunikationschef der Bank, dem kurz vor Beginn des Interviews auffiel, dass die Hauptkamera so positioniert war, dass über Fitschens Kopf permanent das Logo der UBS auf dem benachbarten Hochhaus zu sehen gewesen wäre – für Kommunikationsprofis vermutlich ein Desaster. Wir konnten es glücklicherweise vermeiden.
Dieser Beitrag ist der erste Teil unserer Serie „Besser führen“. Teil II – im Gespräch mit Sahra Wagenknecht – lesen Sie › hier.
Zum Autor:
Rolf van Dick lehrt Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, unter anderem am Center for Leadership and Behavior in Organizations (CLBO). In unserer aktuellen Serie „Besser führen“ präsentieren wir seine Gespräche mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und anderen Bereichen.
Das vollständige Gespräch zwischen Jürgen Fitschen und Rolf van Dick finden Sie > hier als Video.