Wie weit sind deutsche Unternehmen in Sachen Agilität? Das soeben erschienene Buch „Das agile Unternehmen“ gibt zu dieser Frage sehr persönliche Antworten. Der Unternehmensberater Kai Anderson hat mit der Kommunikationsberaterin Jane Uhlig zahlreiche Topmanager interviewt. Storytelling für HR, allerdings ohne HR-Protagonisten.
Personalwirtschaft: Herr Anderson, wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Buchprojekt?
Kai Anderson: In unserer Beratungsarbeit sind wir zunehmend in Veränderungsprojekten unterwegs und stellen dabei die HR-Themen in einen unternehmerischen Kontext. Da hat uns die Frage bewegt, wie Topmanager große Veränderungen in ihren Unternehmen bewirken und wie sie dabei HR-Themen einschätzen. Zusammen mit Jane Uhlig entwickelten wir dann die Idee, mit Unternehmenslenkern, die maßgeblich ihr Unternehmen verändert haben, zu reden. Wir haben im Sinne des Storytellings bewusst eine nicht-akademische Herangehensweise gewählt. Über die Interviews vermitteln wir somit für eine breite Leserschaft sehr anschaulich Grundprinzipien von Veränderungen.
Mich überrascht es, dass die interviewten CEOs ihre Vorstandskollegen aus dem HR-Bereich gar nicht erwähnt haben. Bahn-Chef Grube benennt immerhin die HR-Strategie, aber nicht die HR-Funktion und seinen Personalvorstand Weber.
Das hätten sie sicherlich getan, wenn wir mit einem anderen Duktus in das Gespräch gegangen wären. Aber wir wollten ja bewusst keine HR-Interviews führen.
Das werten Sie also nicht als Zeugnis dafür, dass Personaler bei Transformationsprojekten keine große Rolle spielen.
Nein, der Schluss ist nicht zulässig. Der Umkehrschluss allerdings auch nicht.
Wie haben die Unternehmen auf die Interviewanfragen reagiert? Richtiges Thema zur richtigen Zeit?
Das kann man so sagen. Wir haben bis auf Google bewusst keine bekannten Unternehmen aus der Internet-Branche einbezogen. Über die Rocket-Internets dieser Welt wird ständig berichtet. Wir wollten Einblicke in etablierte Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen geben. Ob Audi, Eon, Springer oder die Deutsche Bank. Alle arbeiten am Thema Veränderungskultur. Und wir hatten die Hypothese, dass viele Unternehmen in der Transformation besser unterwegs sind, als das von außen den Anschein hat. Audi ist hier ein gutes Beispiel. Dort ist zum Beispiel das Design Thinking seit langem schon etablierte Praxis.
Das ist übrigens auch überraschend an dem Buch. Die mit Agilität häufig in Verbindung gebrachten Begriffe und Instrumente wie Design Thinking oder Scrum findet man kaum. Audi-Chef Stadler ist hier eher die Ausnahme. Dafür findet man viele Begriffe, die Managereigenschaften auszeichnen.
Das ist eine Frage der Flughöhe. Wir haben uns in den Gesprächen auf der grundsätzlichen, eher strategischen Ebene von Veränderungsmanagement bewegt. Es ist ein Kultur- und Kompetenzthema, wenn wir über Innovation und Veränderungen reden. Dazu gehören dann auf einer weiteren Ebene auch neue Projektmanagement-Ansätze.
Andere bekannte Agil-Instrumente tauchen dagegen häufiger in den Interviews auf, wie die Pilgerreisen ins Silicon Valley, die sogenannten Learning Journeys, oder aber die Innovation-Labs. Was halten Sie davon?
Es ist hilfreich, wenn man Schnellboote schafft, die mit einer anderen Geschwindigkeit in einem geschützten Rahmen neue Dinge ausprobieren können. Labs können Impulse generieren, aber sie reichen nicht aus. Es ist also nur ein Teil der Gesamtanstrengung auf dem Weg zu einem agilen Unternehmen.
Audi-Chef Stadler sagt, Innovationen entstehen in flachen Hierarchien. Sie warnen hingegen im letzten Kapitel vor zu viel Demokratisierung im Unternehmen. Ist das ein Widerspruch?
Nein, flache Hierarchien und Dezentralität sind ein wichtiger Hebel für Innovation. Wir können es auch das Subsidiaritätsprinzip nennen: Die selbstorganisierenden, vernetzten Einheiten sind die bestimmende Organisationsform für eine agile Organisation. Demokratisierung im Sinne eines Abschaffens oder einer Kollektivierung von Führung funktioniert allerdings nicht. Das haben wir nirgendwo gesehen und wir glauben auch nicht daran. Ich habe nichts gegen demokratische Ansätze, gegen Feedback auf breiter Ebene. Aber Entscheidungen können in Unternehmen nur bedingt demokratisiert werden. In Zeiten von Unsicherheit brauchen wir Leute, die mutig sind und für Entscheidungen die Verantwortung übernehmen. Ich glaube auch nicht an das Wählen von Führungskräften.
Neugierde, Leidenschaft und geistige Flexibilität – das sind in einer so genannten VUCA-Welt die entscheidenden Attribute, um agil zu bleiben, so eine der Schlussfolgerungen des Buches. Wie schafft ein Unternehmen das?
Hier sind wir im Kernfeld von HR. Es geht um Kompetenzen und Potenziale. Das fängt bei der Auswahl von Mitarbeitern an. Jeder junge Mensch hat ein gewisses Maß an Neugierde und Leidenschaft. Wenn diese Leute dann in eine große Organisation kommen, werden sie domestiziert, dann geht nicht selten der Anfangselan verloren. Man muss also ein passendes Umfeld schaffen, damit Mitarbeiter ihre Fähigkeiten entfalten können, damit sie neugierig und flexibel bleiben. Das kann eine gute Personalentwicklung bewirken.
Die Interviewpartner sprechen häufig von Kulturwandel. Das ist ja nun ein dickes Brett, was hier zu bohren ist. Kann HR das?
Die Funktion von HR wird mit den im Buch offengelegten Agilitätshebeln gestärkt. Bei einigen HR-Verantwortlichen sehen wir durchaus auch viel Leidenschaft für diese Themen, aber insgesamt agieren die HR-Chefs eher defensiv oder abwartend. Dabei tun sich zurzeit enorme Chancen für HR auf, um die business-relevanten Themen zu nehmen und zu verwandeln. So sollte die interne Strategie-Kommunikation zu einem zentralen Thema von HR gemacht und nicht nur der Unternehmenskommunikation überlassen werden. Wenn wir eines in den Gesprächen sehen konnten, was alle mit höchster Konsequenz gemacht haben, war es der Dialog mit der gesamten Belegschaft. Den treiben die CEOs zwar selber, aber die Verbindung aus Strategie- und Kulturdialog ist eine permanente Change-Aufgabe. Wohin geht die Reise? Was ist das gemeinsame Werteverständnis, wie wollen wir gemeinsam arbeiten, was hält uns zusammen? All das sind zentrale Fragestellungen der Unternehmensidentität. Mathias Döpfner hat das beispielsweise sehr überzeugend beschrieben. Und all das sind die Fragestellungen, die vor allem von HR begleitet werden müssen. Das ist unser Thema, Leute.
Glauben Sie, dass die CEOs froh wären, wenn HR sich mutiger zeigt?
Davon bin ich überzeugt. CEOs sind froh, wenn HR nicht in der Abwehr steht und die Standardthemen erledigt, sondern im Veränderungsmanagement als Stürmer dabei ist. Wenn HR diesen Ball nicht aufnimmt, dann machen es andere.
Das Gespräch führte Erwin Stickling.
Hinweis: Bei dem Text handelt es sich um eine gekürzte Fassung des Interviews aus dem Personalwirtschaft-Sonderheft › „HR-Managementberatung“ 12/2015.