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Das Wunderbare in einem Jeden

Der Dalai Lama sieht Vorbilder nicht nur in bekannten Persönlichkeiten. In einem Jeden steckt etwas wunderbares, etwas vorbildliches.
Der Dalai Lama sieht Vorbilder nicht nur in bekannten Persönlichkeiten. In einem Jeden steckt etwas wunderbares, etwas vorbildliches.

Ein für viele Menschen leuchtendes Vorbild ist der Dalai Lama. Doch anhand welcher Menschen oder Führungsprinzipien lässt sich der Dalai Lama selber leiten? Im Teil IV unserer Serie „Besser führen“ verrät er es.

Das Gespräch wurde im August 2011 geführt. Ich hatte von dem bevorstehenden Besuch des Dalai Lama in Deutschland lange vorher erfahren und bei seinem Büro in Indien angefragt, ob es eine Möglichkeit für ein kurzes Interview gäbe. Dies wurde aufgrund des dichten Zeitplans abgelehnt. Doch dann kam mir der Zufall zu Hilfe. Der damalige Leiter der Staatskanzlei in Wiesbaden, der den Aufenthalt des Dalai Lama in Hessen koordinierte, fand, es sei eine gute Idee, den Dalai Lama auch in der größten Universität des Bundeslandes auftreten zu lassen und fragte bei der Kommunikationsabteilung der Goethe Universität an, ob diese eine Veranstaltung koordinieren könne. Und die Kollegen dort fragten dann wiederum mich, ob ich die Veranstaltung moderieren wollte. Und ob ich wollte!
Wir nahmen Platz und ich begann ein Gespräch mit den Fragen meiner Interviewreihe und moderierte anschließend weitere Fragen aus dem Publikum. Während des Gesprächs war der Dalai Lama locker und humorvoll. Mehrfach tätschelte er mich am Arm und lachte dabei sein charakteristisches Lachen.

Zuerst fragte ich den Dalai Lama, ob man überhaupt Führung braucht oder ob man sie nicht einfach abschaffen könne, weil die Menschen ohnehin intrinsisch motiviert seien zu arbeiten und richtig zu handeln. Er bezog diese Frage auf die Politik und sagte, man könne die Regierung nicht abschaffen.

Eine der frühesten systematischen Studien zur Führung wurde in den 1939 von Kurt Lewin und seinen Kollegen in den USA durchgeführt.. In dieser Studie wurden 10- bis11-jährige Jungen nach der Schule in Gruppen unterwiesen, zum Beispiel im Gestalten von Wänden, dem Basteln von Theatermasken oder der Konstruktion von Modellflugzeugen. Sie wurden dabei von Gruppenleitern angeleitet, die von Lewin und Kollegen in drei verschiedenen Führungsstilen unterrichtet wurden. Jede Gruppe wurde reihum von jedem Leiter betreut, die Leiter wiederum wechselten in jeder Gruppe ihren Führungsstil, sodass ausgeschlossen werden konnte, dass Unterschiede auf die Persönlichkeit oder die Beziehung zwischen Leiter und Gruppe zurückging. Die drei Führungsstile waren autoritär, demokratisch und laissez-faire.
Autoritäre Leiter trafen alle Entscheidungen selbst und sagten den Jungen genau, was sie wie zu tun hatten. Sie baten die Jungen nicht um ihre Meinung und sie erwarteten strengen Gehorsam. Demokratische Anleiter fragten die Jungen nach ihrer Meinung und beteiligten sie an Entscheidungen. Sie übernahmen aber auch Verantwortung und leiteten. Die Betreuer mit Laissez-faire-Ansatzdagegen waren gar nicht aktiv. Sie überließen alle Entscheidungen den Jungen und ließen sie weitgehend allein.
Die Ergebnisse zeigten: Unter autoritären und demokratischen Betreuern waren die Jungen wesentlich produktiver als in der Laissez-faire-Gruppe. Sobald die autoritären Betreuer allerdings den Raum verließen, sank die Produktivität und die Jungen in dieser Gruppe waren generell unzufrieden und beschwerten sich häufig. In der demokratischen Gruppe waren die Jungen zufriedener als in den anderen beiden Bedingungen und die Produktivität blieb auch dann hoch, wenn die Leiter nicht im Raum anwesend waren.

Die gesellschaftliche Mitte als Richtschnur

Der Dalai Lama zeigte sich ebenfalls als Verfechter eines demokratischen Systems. Er sagte weiter: „Führung ist notwendig und es muss immer so etwas wie Anführer geben. Dabei glaube ich, dass das demokratische System am besten ist. Warum? Die Welt gehört der Menschheit. Nicht Königen oder religiösen Anführern, sondern den Menschen. Deutschland zum Beispiel gehört dem deutschen Volk. Am besten ist es, die Menschen durch die Menschen zu führen, das ist Demokratie. Und die besten politischen Führungskräfte sind nicht diejenigen, die ohne ethische Standards eine bestimmte Gruppe vertreten sondern diejenigen, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen“.

Ein Merkmal guter Führung, so hat es in den letzten Jahren die Forschung aus dem Bereich der positiven Psychologie zeigen können, ist Optimismus. Der Dalai Lama ist ein Beispiel für eine stets optimistische Sicht auf die Dinge, die Menschen ermuntert und ihnen Halt gibt. Im Gespräch sagte er: „Ich sage immer zu den Menschen meiner Generation der über 60- oder 70-Jährigen: Wir sind die Generation der Vergangenheit. Das 21. Jahrhundert hat gerade begonnen und dauert noch 90 Jahre. Meine Generation kann nun ‚Auf Wiedersehen’ sagen und die Welt abgeben an die heute 20-Jährigen. Euch gehört die Welt. Und Ihr seid eine Generation der Menschlichkeit, die eine neue Welt erschaffen kann. Eine friedliche Welt ohne Konflikte, mit einem Sinn für und der Sorge um das Wohlergehen anderer Menschen. Eine Welt des Mitgefühls“.

Das Wunderbare in einem Jeden

Neben dem Optimismus ist eine weitere wichtige Eigenschaft von Führung Humor. Dass der Dalai Lama ein sehr humorvoller Mensch ist, ist bekannt und zeigte sich auch in Bezug auf eine Frage, die ich in allen Gesprächen stelle. Ich frage immer nach Vorbildern, die einem in der Art zu führen, Orientierung geboten haben. Einige Gesprächspartner erwähnten dabei den Dalai Lama und dann sitzt man dieser Person gegenüber.

Wer hat wohl den Dalai Lama selbst beeinflusst? Er sagte zunächst, dass er keine einzelne Person nennen wolle, das sei „schwierig und gefährlich“. Außerdem gäbe es in jedem Menschen immer mindestens einen wunderbaren Anteil und daher sei in gewisser Weise jeder sein eigenes Vorbild. Aber dann nannte er doch einige konkrete Personen: „Natürlich Mahatma Gandhi – ich bewundere ihn, obwohl ich ihn nie persönlich getroffen habe. Dann Nelson Mandela – der war sehr nett! Und dann Bishop Tutu. Wenn wir zusammen sind, veralbern wir uns immer. Er nennt mich dann den spitzbübischen Dalai Lama und ich nenne ihn den spitzbübischen Erzbischof. In Europa verehre ich Heinrich Harrer [Anmerkung: Im Alter von elf Jahren begegnete der Dalai Lama dem österreichischem Bergsteiger, der eine Art Erzieherrolle übernahm und ihn über die Welt außerhalb Tibets unterrichtete]. Außerhalb Europas möchte ich den früheren Präsidenten Bush nennen. Ich liebe ihn. Er war politisch natürlich eine Katastrophe – aber menschlich ein ganz feiner Kerl.“

Das vollständige Gespräch zwischen dem Dalai Lama und Rolf van Dick finden Sie › hier als Video (Beginn des Gesprächs etwa bei Minute 38).

Zur Person
Nach buddhistischer Tradition wurde Tendzin Gyatso (geboren am 6. Juli
1935) im Alter von zwei Jahren als Wiedergeburt des verstorbenen 13.
Dalai Lama erkannt. Er entstammt einer einfachen Bauernfamilie aus einem
kleinen Dorf im Nordosten Tibets und wurde nach zehnjähriger
klösterlicher Ausbildung mit 15 Jahren als 14. Dalai Lama inthronisiert.
1959 floh er ins indische Exil, von wo aus er Tibet als geistlicher und
politischer Führer regierte. In 2011 betrieb er seine eigene Abwahl als
politischer Kopf der Exilregierung und wurde durch einen gewählten
Premierminister ersetzt. Der Dalai Lama erhielt viele Auszeichnungen und
Preise, unter anderem in 1989 den Friedensnobelpreis. Er gilt als eine
der weltweit einflussreichsten Persönlichkeiten.

Dieser Beitrag ist Teil IV unserer Serie „Besser führen“. Teil III – im Gespräch mit Max Hollein finden Sie › hier.

Zum Autor:

Rolf van Dick lehrt Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, unter anderem am Center for Leadership and Behavior in Organizations (CLBO). In unserer aktuellen Serie „Besser führen“ präsentieren wir seine Gespräche mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und anderen Bereichen.