Frau Löw-Krückmann, der Onlinehändler OTTO ist seit längerem dabei, sich zunehmend agil aufzustellen. In welchen Bereichen bauen Sie agile Einheiten auf?
Angela Löw-Krückmann: Agil waren wir zuerst im E-Commerce und in unseren IT-Teams. Dort haben wir agile Arbeitsmethoden wie Scrum und Kanban etabliert. Mittlerweile führen wir agiles Arbeiten auch in anderen Bereichen ein. Den Marketingbereich haben wir im Rahmen einer Reorganisation auf agiles Arbeiten ausgerichtet. Das umfasste die Neuentwicklung des Organisationsdesigns, ein neues Leitbild für Führungskräfte und neue Rollen wie Scrum-Master oder Agile Coaches. Dieser Prozess rund um agiles Aufstellen der Organisation erfolgt nicht auf der Basis eines zentralen Masterplans, der alle Unternehmensbereiche umfasst, sondern wir reden hier von agilen Inseln. Die weiten wir aus, indem wir bestehende Arbeitsabläufe immer wieder überprüfen. Das umfasst die gesamte Organisation, Prozesse, Schnittstellen und Personen, heißt aber nicht, dass in Zukunft jeder Mitarbeiter in einem agilen Team arbeiten muss. Vielmehr gehen wir partizipativ vor, um stets passende Lösungen zu finden.
Wie unterscheiden sich agile und etablierte Teams?
Angela Löw-Krückmann: Durch die neue Aufstellung verschieben sich Verantwortlichkeiten und Aufgaben in den Teams. Die größte Veränderung erleben Führungskräfte, die in einer Linienfunktion definierte Aufgaben innehatten. In agilen Teams ändert sich das, die benötigen weniger Vorgaben und regeln viele Aufgaben selbst. Ein Teil der Führungskräfte trägt nun mehr Verantwortung für die Menschen und deren Entwicklung und arbeitet in einer Matrixstruktur mit anderen Führungskräften, die das jeweilige Produkt verantworten. Einige klassische Führungsaufgaben wie die Urlaubsregelung und Budgetplanung nehmen die Teams selbst wahr.
Haben sich die Prozesse in den agilen Teams eingespielt?
Angela Löw-Krückmann: Es ist ein laufender Prozess, bei dem wir immer wieder neue Lösungen ausprobieren. Spätestens ein Viertel- oder ein halbes Jahr nach der Umstrukturierung haben wir eine Vorstellung davon, ob wir unsere Ziele durch die neuen Arbeitsweisen erreicht haben. Dabei ist es wichtig, dass in den Testphasen niemand Angst vor Fehlern oder dem Scheitern hat. Wir erkennen hier Chancen, aus Erfahrungen zu lernen und uns anzupassen. Wir von HR stehen mit den agilen Teams permanent im Austausch und stellen die übergreifende Vernetzung und den Wissenstransfer sicher.
Welche Rolle spielt Vergütung in einem agilen Umfeld?
Angela Löw-Krückmann: Die Frage nach der passenden Vergütung für agile Teams ist in aller Munde. Ich kenne aber kein Unternehmen, das die perfekte Lösung gefunden hat. Auch wir sind für das Thema sensibilisiert und stellen uns der Aufgabe, ein Vergütungssystem zu erarbeiten, das auch agile Rollen fair nach ihrer Wertigkeit einordnet. Dazu diskutieren wir in den kommenden Monaten mit den Beteiligten und dem Betriebsrat.
Unterscheidet sich bei OTTO die Vergütung in agilen Bereichen von herkömmlicher Vergütung?
Angela Löw-Krückmann: Diskussionen über Vergütung kommen in der Regel dann auf, wenn es zu einer Veränderung innerhalb der Stellen kommt. Der Anspruch muss sein, auch die neuen agilen Rollen und Profile nach ihrer jeweiligen Charakteristik in eine übergreifende Stellenarchitektur einzuordnen. So muss geprüft werden, in welches Karrierelevel sich ein Scrum-Master einfügt. Dass sich in einer agilen Organisation die bisherigen Rollen verändern, ist eine Herausforderung. Jemand, der bislang Teamleiter war, kann eine agile Rolle oder auch eine Expertenrolle mit der gleichen Wertigkeit wie bisher einnehmen. Hier sehen wir rein aus dem Wechsel aus einer klassischen Führungsrolle heraus keinen Bedarf, ihn in der Vergütung anders einzustufen. Letztlich kommt es darauf an, dass die alte und die neue Rolle den gleichen Impact für das Unternehmen haben.
Was passiert bei der Vergütung, wenn eine Führungskraft in einem neuen Umfeld nicht mehr führt?
Angela Löw-Krückmann: Grundsätzlich sind für Führungskräfte bei OTTO Veränderungen nach oben, unten oder waagerecht möglich. Bei einer Entwicklung in welche Richtung auch immer werden Arbeitsvertrag und Vergütung entsprechend angepasst. Bei solchen Veränderungen führen wir Gespräche mit den Teams und jedem Mitarbeiter, um die Erwartungen und die persönlichen Perspektiven kennenzulernen. In der Regel hat jeder Mitarbeiter die Chance, sich bei einer Veränderung durch agiles Arbeiten intern neu zu positionieren.
Wie geht OTTO mit individuellen Boni in agilen Teams um?
Angela Löw-Krückmann: In einem Testversuch prüfen wir seit einem Jahr, was ein Aussetzen der individuellen Boni bewirkt. Die Gesamtvergütung verringert sich dabei nicht. Unsere AT-Mitarbeiter erhalten in der Regel einen Bonus, der sich nach dem Erreichen der individuellen und der Unternehmensziele richtet. In der Testgruppe haben wir betrachtet, wie hoch der individuelle Bonus für den Mitarbeiter in den drei zurückliegenden Jahren war. Diesen Anteil haben wir als Durchschnittswert festgeschrieben, den wir jährlich auszahlen. Ein intensiv diskutierter Punkt ist der Teambonus. Mehr Teams steuern sich derzeit über gemeinsame Ziele als Team, etwa über ein direktes Umsatzziel. Hier könnte künftig ein Ansatzpunkt für eine Bonifizierung auf Teamebene liegen.
Wie steht es mit Vergleichbarkeit und Transparenz?
Angela Löw-Krückmann: Im Zuge der Aufstellung eines umfassenden Vergütungssystems werden wir genau ausloten, welches Maß an Transparenz die von den Mitarbeitern gewünschte Orientierung und Grundlage für individuelle Entwicklung gibt und wie ein System aussehen muss, dass die vom Unternehmen gewünschte Veränderungsdynamik unterstützt.