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KI-basierte Lernsoftware: Intelligenter lernen

Etwas großspurig könnte man vom HR-KI-Paradox sprechen, um jenes Phänomen zu beschreiben, das in dieser Beitragsserie eine Hauptrolle spielt: So intensiv die HR-Community die Chancen (und Risiken) Künstlicher Intelligenz diskutiert, so selten kommt entsprechende Software bisher zum Einsatz. Und nirgendwo ist der Kontrast zwischen dem Wirkungsvermögen „intelligenter“ Algorithmen und dem Kundeninteresse so groß wie im Weiterbildungsbereich. Das jedenfalls ist die Einschätzung von Stefan Strohmeier, Professor für Management- Informationssysteme an der Uni Saarbrücken.

Obwohl es viele Anlässe für den KI-Einsatz gebe, sähen Softwarehersteller darin „wenig Absatzpotenzial“, weil HRAbteilungen kaum danach fragten. Denn der Effizienzvorteil einer Software, die einem User abhängig vom Lerntypus bestimmte Lernphasen, Inhalte oder den besten Zeitpunkt für eine Pause vorschlage, lasse sich unternehmensintern „viel schwieriger“ darstellen als etwa der eines intelligenten Recruiting-Tools. Learning oder „Re- und Upskilling“ mögen Unternehmen spätestens seit der Pandemie fast so dringlich erscheinen wie Digitalisierung – die Nachfrage nach intelligenten Algorithmen befeuert das nicht.

Mehr zu den Themen KI und E-Learning und die wichtigsten Anbieter finden Sie in unserem aktuellen HR-Software Guide 2022. Den Download und das Anbieterverzeichnis finden Sie auch online.

Ob Nachfrage oder nicht, KI kommt

Jan Meyer erklärt sich das etwas anders als Stefan Strohmeier. „Für die Lernenden ist es eigentlich unerheblich, ob unsere oder andere Angebote KI enthalten oder nicht“, sagt der Leiter Business Portfolio Management im Learning-Geschäftsbereich von SAP. Hauptsache, sie erhielten die bestmögliche Lernunterstützung und schnelle und effiziente Antworten. Das was heute unter KI in Software subsumiert wird, ist ja auch oft lediglich Number Crunching, also das Verarbeiten, Vergleichen und Zueinander- in-Beziehung-Setzen von Daten.

Laut Meyer tut sich durchaus etwas im Markt: „Wir sehen grundsätzlich eine gesteigerte Nachfrage nach Collaborativ Learning. Und wir sehen, dass Lernende oft weniger Hemmung haben, sich mit einer KI in unseren Learning Rooms zu unterhalten und Fragen an sie zu richten statt an andere Lerner.“ Enthalten ist diese KI in Bots, die Usern Antworten liefern und aktiv durch von ihnen vorgeschlagene Lerninhalte navigieren. Perspektivisch dürften sie, so wie „Ed the Bot“ von SAP, als Moderatoren in virtuellen Lernumgebungen dienen.

Für LMS-Anbieter wird es eng

Auch und gerade in Prozessen, die dem eigentlichen Lernen vorangehen, kann KI Wirkung entfalten. Zum Beispiel, um den Wissensstand der Lernenden zu ermitteln und ihre Fachkenntnisse durch eine Gap-Analyse mit dem für die Zielfunktion nötigen Know-how abzugleichen. Adaptierende Systeme ermitteln auch die ideale Lernzeitspanne einer Person oder zeigen, welche Medien am meisten Aufmerksamkeit bei ihr erzeugen. Diese Art personalisierter, schon jetzt in einige Learning Experience Systeme (LXP) integrierter Lösungen, scheinen Learning Management Systeme (LMS) langsam zu ersetzen.

Die Anbietersituation spiegelt diesen Systemübergang: hier die etablierten, „konventionellen“ LMS-Hersteller, dort die LXP-Spezialisten – und darüber hinaus eine Vielzahl von Start-ups, die Lernsysteme mit Einzel- und Teilfunktionen sowie völlig neuen Funktionalitäten anbieten. Der Schweizer Dr. Daniel Stoller- Schai, renommierter Experte für Digital Collaboration und Digital Learning, sagt: „Neue Unternehmen, aber auch die LXP-Anbieter, haben es viel leichter, KI in ihre Anwendungen einzubauen. Eben weil ihre Lösungen in der Regel neu sind. Da funktioniert die Integration von KI viel nahtloser.“ Anbieter traditioneller Kurse, deren Inhalte man sich selbst zusammenstellt, werden seiner Erwartung nach in den nächsten Jahren vom Markt verschwinden. „KI und Lernen ist nicht die Zukunft – das ist die Gegenwart“, sagt Stoller-Schai.

Das ist die Sicht des Experten. Unternehmen fragen sich: Hilft uns potentere Software – ob KI-basiert oder nicht – wirklich weiter? Und welcher Aufwand ist mit dem Erwerb verbunden? Denn bei allem Bedarf drückt, darauf weisen Studien hin, die Rezession auf Weiterbildungsbudgets, sind vielleicht auch Unwissen – oder Unwillen – im Umgang mit progressiver Technik verbreitet, bestehen zudem rechtliche und ethische Bedenken. Um KI im Learning mehr Akzeptanz zu verschaffen, plädiert Dario Schuler, einer der geschäftsführenden Gesellschafter der KHRC GmbH, für einen transparenten Umgang mit den Vor- und Nachteilen der Technologie: „Es geht nicht darum, was technisch möglich ist, sondern darum, wie wir unsere technischen Möglichkeiten bewusst und verantwortungsvoll gestalten.“

Wissen ist Alles, alles ist Wissen

Der Wandel scheint unausweichlich. Noch finden in vielen Firmen konventionelle Classroom-Trainings statt. Doch alles relevante Wissen zu erlangen respektive zu vermitteln, benötigt schon heute meist mehr als vorgefertigte Inhalte entsprechender Anbieter. Zum Beispiel verfügen nahezu alle Unternehmen über mehr oder weniger große Bestände originären Wissens, das oft unstrukturiert auf Servern lagert und nicht oder nur partiell genutzt wird. Martin Klaub, Leiter HR Transformation der IBM Unternehmensberatung Global Business Services (GBS), hält solche Daten für gut geeignet, um mithilfe von KI analysiert und in Weiterbildungsprozesse eingebettet zu werden: „Neuere digitale Lernplattformen verschlagworten dieses Wissen kontextsensitiv. In Schulungen könnte es anhand der jeweiligen Profildaten einzelnen Mitarbeitern zugewiesen werden.“

Daran kann Dario Schuler, der mit KHRC Lösungen für die Personalarbeit entwickelt, anknüpfen. Zusammen mit seinem Partner MSG Systems AG erstellt das Unternehmen in Pilotprojekten Inventuren aller in einem Betrieb vorhandenen Kompetenzen. Dabei kommt Profilemap zum Einsatz, ein KI-basiertes Tool zur Auswertung unstrukturierter semantischer Daten. „Damit lässt sich der Bedarf für Reskilling- und Upskilling-Maßnahmen inhaltlich präziser bestimmen“, sagt Schuler. Das wiederum mache eine zuverlässigere Bestimmung der Personal- und Einstellungsbedarfe und „stärker kompetenzorientierte Entscheidungen“ bei internen Stellenbesetzungen möglich. Was kann KI im Learning leisten? Dr. Claas Triebel sieht großes Potenzial, etwa bei der Korrektur von Tests oder der Begleitung von Quizzes. Und er stellt eine Gegenfrage: „Wo findet Lernen statt?“ Dabei denkt der ehemalige Professor für Wirtschaftspsychologie, der mit seinem Unternehmen Performplus eine KI-unterstützte Kompetenzmanagement-Software anbietet, beispielsweise an Youtube.

Gerade adaptives Lernen vollziehe sich dort in einer Qualität wie wohl nirgendwo anders. „Das ist die Messlatte für den Anwender und auch für den Entwickler solcher Lösungen. Denn wenn der User etwas wissen will und es im hausinternen System nicht verfügbar ist, wird er vermutlich bei Youtube fündig. Unter anderem weil dort extrem ,schlaue‘ KI integriert ist.“

So mögen Personalverantwortliche aus ihrer Sicht begründete Vorbehalte gegen „intelligente“ Lernsysteme haben. Und vermutlich ist es den meisten Nutzerinnen und Nutzern wirklich egal, ob eine Anwendung von einem lernenden Algorithmus gesteuert wird oder nicht – die Performance aber muss schon entsprechend sein.

Ulli Pesch ist freier Journalist und schreibt regelmäßig über das Thema HR-Software in der Personalwirtschaft.