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Entlarvende Worte

Dort werden nicht Personen zitiert, sondern deren eigenartige Worte oder grammatikalisch unüblichen Redewendungen.

Wer blöderweise nicht an die Mails herankommt, geht in Sitzungen und stellt fest: Die sprachlich-grammatikalischen Besonderheiten einzelner Vorgesetzter spiegeln sich in der Sprache ihrer Mitarbeiter. Das Gesetz des Unternehmensdschungels besagt: Die, die schlicht überleben wollen, sprechen vorsichtshalber wie ihre Chefs und übernehmen deren sprachliche Besonderheiten. Diejenigen, die selbst mal Chef werden wollen und klar zeigen möchten, dass sie ihren eigenen Weg gehen, vermeiden genau diese besonderen Begriffe, Worte, Redewendungen. Stattdessen versuchen sie ihre eigene Sprache der Gruppe (oder noch besser: dem Chef) aufzuoktroyieren. Diejenigen wiederum, die vielleicht die Abteilung wechseln wollen, passen sich sprachlich eher an ihre erhofften Vorgesetzten an.

In größeren Abteilungsrunden ist das äußerst interessant. Mit diesem Ansatz entlarvt „Predictive HR“ via Sprache die Stabilität aktueller Machtstrukturen und zeigt künftig zu erwartende Spannungen oder Veränderungen in Linienabteilungen auf.

Wem das zu kompliziert ist und wer bei Sitzungen einfach nur Spaß haben möchte, der wettet vorher mit HR-Kollegen, dass er innerhalb von zehn Minuten seine Bullshit-Bingo-Karte voll hat. Denn Kollege X aus der Abteilung Y nutzt immer exakt die folgenden Phrasen: „Am Ende des Tages“, „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, „Wer sich nicht bewegt, ist tot“. Bei ihm werden Themen „gesetzt“, ständig irgendwas an irgendwas anderes „angedockt“, „unterfüttert“, „drübergelegt“ et cetera. Das Ganze gibt es je nach Person auch in „Management-Denglisch“.

Jenseits des Spaßfaktors (Survival-Experten raten: nie „Bingo“ rufen, wenn die Karte voll ist) und der Einteilung der Kollegen in „Mitsprecher“, „Gegensprecher“ und „Egal“ kommt auch die Nummer mit dem „Die Sprache bestimmt das Handeln“ zum Tragen. Wenn jemand ständig das neumodische „Dafür braucht es“ verwendet, hat er sich aktiv vom eigenen Handeln und Tun distanziert.

Nicht „Ich brauche“ oder „Wir brauchen“ oder „Um das Ziel zu erreichen, benötigt die Abteilung“, sondern „Es braucht“. Damit ist klar: Wenn’s schiefgeht, bin nicht ich, dann sind nicht wir, nein, dann ist „es“ schuld. Das ist eine coole Nummer kollektiver Verantwortungslosigkeit. Probieren Sie’s mal aus: „Es hat dazu geführt, dass das Ziel nicht erreicht wurde“; „Es hat zur Verfälschung von Messwerten geführt“.

Fazit: HR als Bereich, der mit allen anderen klarkommen muss, tut gut daran, die handelnden Akteure einzelnen Machtzentren zuzuordnen. Sprache bietet hierzu den einfachen Weg.

Welche Sprachkartelle gibt es in Ihrem Unternehmen? Schreiben Sie uns!

Autor: Jobst R. Hagedorn