Den Job zu Hause, unterwegs oder im Büro verrichten zu können, ist das wohl geläufigste Erkennungszeichen dessen, was viele unter New Work verstehen. Noch nie konnte man seiner Arbeit so selbstbestimmt und flexibel nachgehen wie heute. Dazu bedarf es jedoch mehr als einer digitalen Infrastruktur: Führungskräfte müssen sich vom traditionellen Command and Control verabschieden und ihren Mitarbeitenden Vertrauen schenken. Sie müssen bereit sein zu Reflexion und Dialog.
Doch von einer Feedbackkultur, in der sich Führungskräfte und Mitarbeitende lebhaft austauschen, gegenseitig auf neue Ideen bringen und sodann operativ an einem Strang ziehen, sind viele Betriebe weit entfernt. Weil man kaum miteinander spricht oder aneinander vorbeiredet, entstehen Konflikte und scheitern die vielerorts dringlichen Veränderungsprojekte. Laut einer Befragung des Change-Management-Dienstleisters Mutaree trauen nur 29 Prozent der Mitarbeitenden ihren Führungskräften zu, sie von der Notwendigkeit solcher Vorhaben zu überzeugen.
Dialogbereitschaft und Überzeugungskraft aber sind bitter nötig. Denn läuft der Wunsch, mit dem Chef zu sprechen, ins Leere oder vergreifen sich Vorgesetzte im Ton, liegen Rückzug oder Kündigung nah. Der Arbeitsmarkt hält genug Alternativen bereit, nicht zuletzt für Blue-Collar-Worker. Und doch erinnert die Kommunikation zwischen Chef und Mitarbeitenden im Handwerk, auf Baustellen oder in der Produktion bisweilen an einen Kasernenhof. Muss sich das nicht schnellstens ändern, schon mit Blick auf den Azubi-Mangel und die Ansprüche junger Menschen an Gesprächskultur und Mitbestimmung?
Mitarbeiterbefragungen regelmäßig nutzen
Gegenfrage: Für welche Blue-Collar-Akteure macht der Aufbau ausgereifter Feedbackstrukturen Sinn? Wer braucht etwa Frühwarnsysteme wie die Mitarbeiterbefragung, die anonym Feedback ermöglicht und so das Stimmungsbild in der Belegschaft sowie Ungereimtheiten und unerschlossene Potenziale offenbart? Laut dem Toolanbieter Effectory führen 85 Prozent der deutschen Firmen Mitarbeiterbefragungen durch, wobei sich Konzerne und größere mittelständische Betriebe hervortun. Sie befragen ihre Beschäftigten meist im ein- oder zweijährigen Turnus, wie von Experten empfohlen. Im Handwerk hingegen kommt das Instrument recht selten zum Einsatz.
Zunehmend ergänzt wird die Mitarbeiterbefragung durch kurze digitale, thematisch eingegrenzte Erhebungen. Solche „Pulse Surveys“ werden laut dem „Befragungsmonitor“ des Beratungshauses Willis Towers Watson (WTW) etwa nach Beförderungen oder Kündigungen von Mitarbeitern erhoben. Auf regelmäßiges Feedback zu diversen Themen wiederum ziele „Continuous Listening“ (auch „Employee Listening“ genannt) ab, das insbesondere in New-Work-inspirierten Umfeldern praktiziert werde.
Vortäuschen rächt sich
Kritiker bezweifeln den Sinn eines durchkomponierten Feedback-Feuerwerks. So warnt Simon Werther, Professor für Leadership an der Hochschule München und Gründer des Feedback-Tool-Anbieters HR Instruments: „Folgen den Ergebnissen keine für die Mitarbeitenden sicht- und spürbaren Veränderungen, dann ist viel Feedback sogar schlimmer als wenig Feedback.“ Laut Effectory ziehen tatsächlich mehr als die Hälfte der Unternehmen keinerlei Nutzen aus Befragungsresultaten.
Vielen KMU, gerade im Handwerk (siehe oben), mögen solche Debatten exotisch erscheinen. Andere geben zumindest vor, sie ernst zu nehmen: In den Rankings zahlloser Arbeitgeberwettbewerbe dominieren von Blue Collar geprägte Firmen. Und gewisse Feedbackstrukturen sind Voraussetzung, um eines der Siegel zu ergattern, die, so das Verkaufsargument der Wettbewerbe, ein Jobangebot im Ringen um Fachkräfte entscheidend aufwerten
Beobachter schließen daraus: Ohne die Wettbewerbe würden sich die Unternehmen nicht für die Resonanz der Belegschaft interessieren. Ist Feedback für sie eigentlich irrelevant? Grundsätzlicher gefragt: Wie weit ist die Idee des beständigen, offenen Austauschs mit den Beschäftigten als einem Bestandteil des New-Work-Narrativs denn nun in Blue Collar vorgedrungen? Und inwiefern können und sollten sich Feedbackstrukturen in diesem Bereich von anderen unterscheiden?
Vorurteile erschweren das Verständnis für Blue Collar
In Businessnetzwerken mehren sich Stimmen, welche das verbreitete New-Work-Verständnis kritisieren, das mit dem Arbeitsalltag etwa in der Pflege, Gastronomie oder Produktion kaum kompatibel sei. „Blue Collar“ – ein weißer Fleck auf der Feedback-Landkarte? Immerhin drei Viertel der deutschen Beschäftigten verrichten dort ihre Arbeit. Fragen wir nach bei Anne Burmeister, frisch berufen zur Professorin für „Organizational Behavior“ der Universität Köln.
Tatsächlich stellt sich die Frage, wie gut HR Beschäftigte kennt, die, wie geschätzt acht Millionen Fabrikarbeiter, etwa die Remote-Work-Debatte nur sehr bedingt betrifft. Burmeister sieht in Unternehmen viele Vorurteile wirken, auch unter Personalverantwortlichen. So ermittelte sie für den HR-Think-Tank „Goinger Kreis“, dass Blue-Collar-Mitarbeitende die Ortsgebundenheit ihrer Tätigkeit keinesfalls als Mangel empfinden. An realen Objekten und in der Nähe anderer zu arbeiten, „verschafft ihnen Selbstwirksamkeit und einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszufriedenheit“.
Laut Burmeister haben sich Führungkräfte auf dem Shopfloor längst von Command and Control verabschiedet. In der Fertigung größerer Unternehmen treffe man sogar Qualitätszirkel und (semi-)autonome Teams an. Dank ihres spezialisierten Wissens, das Vorgesetzten häufig fehle, „ist Feedback der Mitarbeitenden zu Produktionsabläufen zentral für Qualität und Produktivität“, so Burmeister. Eher stelle sich die Frage, welche Kanäle, Formate und Bedingungen Unternehmen bevorzugen sollten, damit Mitarbeitende Ideen und Feedback unkompliziert anbringen können.
Feedback auf dem Shopfloor stellt eigene Ansprüche
Stichwort Formate: Modernes Shopfloor-Management sieht eine tägliche Teambesprechung vor. Dabei werden Produktionsziele erläutert und Probleme wie Produktionsstörungen oder Mitarbeiterausfall angesprochen. Aber die Chance, sich häufig auszutauschen, sei nur das eine, sagt Burmeister. Das andere die Umsetzung: Wurden Mitarbeitende bei der Gestaltung dieser Meetings einbezogen? Wer leitet die Besprechung, welche Rituale gibt es, um unterschiedlichen Perspektiven Gehör zu verschaffen? „Die Möglichkeit, sich zu äußern, kann bereits Vorteile bringen“, betont die Wissenschaftlerin. Mindestens genauso wichtig sei aber, „was mit dem Feedback geschieht“.
Freilich hat HR zunächst Aufbauarbeit zu leisten. Es muss sich auf dem Shopfloor zeigen und ermitteln, was den Beschäftigten wichtig ist und welche Verbesserungsideen sie haben. Dabei gilt es, die eigenen Vorurteile zu prüfen, wie Burmeister fordert. Etwa die Annahme, den Mitarbeitenden in der Produktion seien New-Work-Ansätze grundsätzlich einerlei, sie wollten sich bei der Arbeit nicht ablenken lassen und pünktlich nach Hause. Statt die Blue-Collar-Belegschaft an das New-Work-Bild der White-Collar-Belegschaft anzupassen, „sollte HR bestehende Informations- und Kommunikationsstrukturen mit den Betroffenen diskutieren, um sie auf deren Bedürfnisse und Arbeitsrealitäten abzustimmen“, sagt die Expertin. Feedback einholen, um Feedback zu optimieren.
Mitarbeitende befragen und ihre Anregungen umsetzen
Um in die Terra Incognita von Blue Collar vorzudringen, sind Mitarbeiterbefragungen für Burmeister eine gute Wahl. Vorausgesetzt, die Ziele sind klar kommuniziert und das Format passt zu den Gegebenheiten auf dem Shopfloor. So spricht nichts gegen einen Onlinefragebogen – sofern Beschäftigte in der Produktion ihn alternativ auf Papier oder an einem Terminal ausfüllen können. Denn die meisten von ihnen besitzen keinen Firmen-E-Mail-Account. Ebenso empfiehlt Burmeister, Befragungsresultate etwa auf Plakaten oder Monitoren in Pausenräumen zu präsentieren.
Schließlich komme es zur Nagelprobe: Zeige sich etwa, dass die Schichtplanung von Mitarbeitenden kritisiert wird, sollte unter ihrer Beteiligung auch eine Problemlösung gefunden werden. Um solches Vorgehen zu verstetigen, rät die Organisationsforscherin HR und Führungskräften, Veränderungen mutiger anzustoßen. Unternehmen sollten neue Ideen ausprobieren und ihren Nutzen testen. Denn auf diese Weise verbessern sie womöglich nicht nur ihre Prozesse und Produkte; auch zeigen sie gerade den Blue-Collar-Beschäftigten, dass deren Stimme und Urteil Gewicht haben.
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