Grund genug für Management und Personaler, ihre Denkmuster und Handlungsweisen zu verändern.
„Man darf niemanden verlieren, nur weil sich Dinge plötzlich in rasantem Tempo verändern“, brachte es kürzlich Ariane Reinhart, Personalvorstand von Continental auf den Punkt. Gemeint hatte sie damit zwar in erster Linie die gut funktionierende Zusammenarbeit zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern der gesamten Belegschaft, de facto symbolisiert ihr Satz aber noch mehr. Er fasst zusammen, worauf es in Zeiten des technologischen Umbruchs wirklich ankommt: einen verlässlichen Rahmen für die Menschen zu entwickeln, die sich mit ihren Fähigkeiten und Qualifikationen heute auf Veränderungen einlassen müssen, die ihnen auf den ersten Blick noch als undurchdringbar erscheinen.
Wie viel Unsicherheit in Bezug auf flexible Arbeitsbereiche, neue Tätigkeitsfelder und entstehende Kompetenzen mit der Digitalisierung noch verbunden ist, hat der Personaldienstleister Hays in Zusammenarbeit mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) in seinem jährlich veröffentlichten HR-Report herausgefunden.
Für die Erhebung mit dem Schwerpunkt „Kompetenzen in einer digitalen Welt“ wurden in der DACH-Region 591 Personen in Unternehmen und Organisationen per Online-Interview befragt, darunter 12 Prozent Geschäftsführer, 45 Prozent Fachbereichsleiter, 20 Prozent HR-Führungskräfte sowie auch 23 Prozent Mitarbeiter ohne Personalverantwortung. Vor allem macht der Report deutlich: Management und Personalverantwortliche haben ihre Prioritäten verändert. Konkret wollen sie damit auf die dringendsten Fragen der Digitalisierung antworten, um einen wirksamen arbeitsorganisatorischen Rahmen zu entwickeln. Auf ihrer Liste steht konkret der Umbau zu einer flexiblen Organisation, beispielsweise um Teams besser zusammenarbeiten zu lassen oder Kompetenzen besser weiterentwickeln zu können.
1. Flexible Arbeit bedeutet mehr als Homeoffice
Fakt: Die Befragten des Reports erklären mit 37 Prozent die Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen zu ihrem Topthema für 2017. Im vergangenen Jahr war daran noch nicht zu denken. Hier landete das Thema weit abgeschlagen auf dem fünften Platz.
Transfer: Von der Möglichkeit, den eigenen Arbeitsplatz, die eigene Arbeitszeit sowie den eigenen Arbeitsort zu wählen, können Mitarbeiter in vielen Unternehmen heute bereits Gebrauch machen. Diesen eher operativen Part flexibler Arbeitskonzepte sehen sie weitgehend erfüllt. Jetzt geht es aber vor allem darum, diese mitarbeiterindividuell und ausgewogen einzusetzen. Möchte eine Führungskraft beispielsweise ihre Arbeitszeit reduzieren und in Teilzeit gehen, muss das Unternehmen sicherstellen, dass dieser Schritt organisatorisch und vor allem kulturell klappt. Es sollte entschieden werden, welche Aufgaben die Mitarbeiter ohne den Vorgesetzten umsetzen können, wo genaue Absprache nötig ist und wie es um das Engagement der Mitarbeiter während der Absenzen des Vorgesetzten steht. Daran wird schon deutlich, dass Arbeitsflexibilisierung keinesfalls bei der Frage nach dem Homeoffice aufhört.
2. Weiterentwicklung der Unternehmenskultur
Fakt: Die Unternehmen wissen mittlerweile, wie wichtig die Unternehmenskultur ist, damit flexible Arbeitsweisen gedeihen können. Daher haben sich 53 Prozent der Befragten auch in diesem Jahr dazu entschieden, dass sich die bestehende Führungskultur an die flexiblen Arbeitsmodelle anzupassen hat.
Transfer: Führungskräfte verwenden immer noch zu viel Zeit auf ihre fachlichen Aufgaben. Dabei müssten sie deutlich mehr Aufgaben an ihre internen Fachkräfte delegieren, um sich gezielter auf deren Weiterbildung konzentrieren zu können. Das ist besonders wichtig, wenn neue Teams erstmalig in neuen Arbeitskonstellationen aufeinanderstoßen. Hier muss die Führungskraft sich mehr denn je um das Miteinander im Team kümmern. Da geht es beispielsweise um das Etablieren einer funktionierenden Feedbackkultur, den wertschätzenden Umgang mit den Mitarbeitern, aber auch eine offene Kommunikation mit kritischen Themen.
3. Vorbereitung der Mitarbeiter auf die digitale Transformation
Fakt: Ganze 78 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, gezielt in die Weiterentwicklung der Mitarbeiterkompetenzen zu investieren. In erster Linie geht es ihnen darum, die mentalen Fähigkeiten der Mitarbeiter zu stärken. So finden es 61 Prozent der befragten Manager schwierig, ihre Mitarbeiter auf die schwer vorhersehbaren Veränderungen in der Arbeitswelt überhaupt richtig vorzubereiten, geschweige denn, deren Eigenverantwortung zu stärken (54 Prozent).
Transfer: Die in der Studie erwähnten Kompetenzen und Fähigkeiten dürfen allerdings in der Praxis nicht allein mit den technischen Kompetenzen im digitalen Umfeld gleichgesetzt werden. Es geht nicht um die Qualifikationen für Stellenprofile wie Webdesign, User Experience oder Softwareentwicklung von Apps. Zwar sind diese Berufe ebenfalls wichtige Stellschrauben für die technische Realisierung digitaler Projekte und entsprechend rar am Markt gesät. Aber für sie gibt es klare Aufgabenstellungen sowie entsprechende Ausbildungsgänge. Nicht aber für die Entwicklung von sozialen und mentalen Fähigkeiten, auf die es hier ankommt. Sie hängen stark vom Mitarbeiter selbst ab und sind nur schwer trainierbar. Die betroffenen Mitarbeiter selbst ab, die ihren Arbeitgeber in eine neue digitale Ära führen sollen, müssen technische, organisatorische wie auch kulturelle Rahmenbedingungen stets im Blick behalten. Gleichzeitig sollten sie auch vernetzt und „out of the box“ denken, um das Kerngeschäft mitsamt dessen Wertschöpfungsprozessen grundlegend weiterzuentwickeln. Genau das zu begleiten und weiterzuentwickeln, stellt vor allem Personaler vor Herausforderungen. Auch sie müssen umdenken, denn anstatt sich an ihr administratives Aufgabenspektrum zu klammern, werden enger Austausch mit den Fachbereichen, vernetztes Denken, Kreativität und emotionale Intelligenz von ihnen gefordert.
4. Erste Branchen setzen auf soziale Fähigkeiten
Fakt: Führungskräfte aus der Automobilwirtschaft wünschen sich mehr Eigenständigkeit (40 Prozent), Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme (38 Prozent) sowie die Eigenschaft, Probleme kreativer zu lösen (34 Prozent).
Fakt: Neuzugänge im Bankensektor brauchen nach Aussagen von Personalentscheidern ebenfalls eine hohe Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme (44 Prozent). Sie sollen sich mit Leichtigkeit auf Veränderungen einlassen können (43 Prozent) sowie flexibel sein, wenn es um den Einsatzort oder die Einsatzzeit ihrer Arbeit geht (33 Prozent). Obendrein sollen die Kandidaten die Fähigkeit besitzen, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken (31 Prozent).
Transfer: Vor dem Hintergrund der gesuchten weichen Faktoren wird deutlich, wie intensiv sich einige Branchen bereits damit beschäftigen, auf welche Eigenschaften es für die Bewältigung der Transformation wirklich ankommt. Tendenziell setzen sie in Zukunft eher auf Generalisten und Umsetzer als auf Fach- oder Themenspezialisten. Die Zeit der Nerds scheint also vorbei. In der Umsetzungspraxis dürfte es sich allerdings als recht schwierig erweisen, Mitarbeiter in ihrer Eigenverantwortung zu stärken und die oben beschriebenen Fähigkeiten oder gar Persönlichkeitsmerkmale überhaupt zu identifizieren.
Fest steht: Der Wunsch nach dem Idealkandidaten wird immer mehr zur Utopie, daher müssen neue Wege eingeschlagen werden. Um mit den arbeitsorganisatorischen Umwälzungen und veränderten Jobprofilen überhaupt noch Schritt halten zu können, bieten sich externe Partnerschaften an. Sie haben den Vorteil, in Engpass-Situationen entsprechende Spezialisten vorzuhalten und damit flexibler in projektwirtschaftlichen Strukturen agieren zu können.
Unterm Strich gilt sicherlich, dass Weiterqualifizierung mit Blick auf die Digitalisierung ein kontinuierlicher Prozess sein muss, bei dem man interne wie externe Ressourcen ins Kalkül ziehen sollte, um die Mitarbeiter im Umgang mit ständiger Veränderung fit zu machen. Förderlich sind dafür die neuen Vernetzungsformen, denn in diesem offenen transparenten Arbeitsumfeld werden soziale wie mentale Fähigkeiten, die direkt im Projekt eingesetzt werden, schneller sichtbar.
Autorin:
Kathrin Moeckel, Leiterin Market Research, Hays AG, Mannheim
Die Studie
Der Personaldienstleister Hays und das Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) haben für den jährlich veröffentlichten „HR-Report“ mit dem Schwerpunkt „Kompetenzen in einer digitalen Welt“ 591 Personen in Unternehmen und Organisationen in der DACH-Region per Online-Interview befragt. Darunter waren 12 Prozent Geschäftsführer, 45 Prozent Fachbereichsleiter, 20 Prozent HR-Führungskräfte sowie 23 Prozent auch Mitarbeiter ohne Personalverantwortung. Unter www.hays.de steht der gesamte „HR-Report“ zum Download bereit.
Erschienen in Ausgabe 03/2017 der Personalwirtschaft.