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Führungstools wie in einer großen Werkzeugkiste

In seiner damaligen Funktion als Verantwortlicher für das Europageschäft bei GE sprach Stephan Reimelt über seine Führungsprinzipien und den Unterschied zwischen US- und deutschen Firmen.
In seiner damaligen Funktion als Verantwortlicher für das Europageschäft bei GE sprach Stephan Reimelt über seine Führungsprinzipien und den Unterschied zwischen US- und deutschen Firmen.

Prof. Dr. Stephan Reimelt ist seit Juli dieses Jahres Präsident von GE Germany and Austria. Zur Zeit des Interviews war er für das Europa- und Deutschlandgeschäft von GE verantwortlich. Reimelt hat an der Technischen Universität Berlin im Fach Wirtschaftsingenieurwesen promoviert und seit 2010 lehrt er dort auch – in Verfahrenstechnik.

Auf meine Frage, ob er selbst in der Führungsetage noch Führung bräuchte, kam ein klares „Ja“. Gerade auf den höheren Etagen sei Führung anhand von Visionen und Zielen wichtig und diese würden dann an die Mitarbeiter weitergegeben und so nach unten durch das ganze Unternehmen kaskadiert. Ihm stehe als Mitglied der Führungsspitze jederzeit die Tür zu Jeff Immelt (seit 2001 CEO von GE und Nachfolger des legendären Jack Welch) offen.

Zu guter Führung gehört nach Reimelt immer auch eine Verankerung in Werten und in der Firmenkultur dazu, aber auch, dass sie messbaren Einfluss nimmt. Es ist interessant, dass er Werte als allerersten Faktor für gute Führung nennt. Wertebasierte Führung wird wissenschaftlich seit einigen Jahren diskutiert. Dazu gehören authentische Führung, ethische Führung und zum Teil auch transformationale Führung. Im engeren Sinne von wertebasierter Führung, sagt der niederländische Psychologe Daan van Knippenberg, sei es die wichtigste Aufgabe von Führungskräften, den Mitarbeitern klar zu machen, für welche Werte das Unternehmen stehen würde und dass man dadurch die Menschen am besten motivieren könne.

Gegen Ende des Gesprächs kommt er noch einmal auf das Thema zurück und sagt: „Wir leben nach und beurteilen unsere Mitarbeiter auch anhand dieser Werte. Wir sind der Meinung: Durch die Werte vermeiden wir auch Skandale, Schiffbruch, Fehlverhalten. Einer der großen Erfolgsfaktoren von General Electric ist, dass wir gigantische Summen in die Mitarbeiterweiterbildung und -ausbildung investieren, um sie sensibel zu machen für viele dieser Werte.“

Low Performer raus? Das hat sich geändert.

Ich fragte ihn dann, was er von Jack Welchs Prinzip halte, bei dem die Zielerreichung bei allen genau gemessen wurde und jedes Jahr zehn Prozent der Mitarbeiter mit der geringsten Zielerreichung entlassen wurden. „Natürlich, gute Führung ist kein Kuschelkurs, sondern gute Führung ist ausgerichtet an den Zielen, die das Unternehmen und die Shareholder und die Kunden definieren. Das Erreichen dieser Ziele ist relativ einfach messbar, zum Beispiel durch Kundenzufriedenheit, Auftragseingang oder Profitabilität des Unternehmens. Wir haben heute ganz andere Anforderungen als vor 15 Jahren unter Jack Welch. Viele dieser Werkzeuge und Prozesse haben sich nicht verändert. Wir bestehen weiterhin darauf, dass jeder Mitarbeiter einen Anspruch hat, zweimal im Jahr mit seinem Vorgesetzten ein Führungsgespräch, ein Mitarbeitergespräch zu führen. Dieses sehr rigide Thema, dass die schlechteren Performer aussortiert werden, das sehen wir heute anders. Wenn jemand seine Leistung nicht bringt, ist er vielleicht am falschen Platz, in der falschen Firma, mit der falschen Aufgabenstellung betraut. Am Ende des Tages wollen wir sicherstellen, dass der Mitarbeiter sich wohlfühlt und seine Leistung bringen kann. Da spielen viele Sachen eine Rolle, ganz besonders, dass Mitarbeiter klar definierte Ziele haben.“

Werte spielen also bei GE eine ganz zentrale Rolle in der Mitarbeiterführung. In den vergangenen Jahren wurden in diesem Zusammenhang wissenschaftlich vor allem die authentische und die ethische Führung untersucht. Authentische Führungskräfte wissen selbst gut um ihre Stärken und Schwächen, sie haben moralische Werthaltungen verinnerlicht und sind in Interaktionen mit ihren Mitarbeitern transparent und ehrlich. Studien haben gezeigt, dass eine solche Führung positive Auswirkungen auf die Bindung der Mitarbeiter an ihr Unternehmen, auf ihre Zufriedenheit und ihre Leistung hat. In ähnlicher Weise wird seit einiger Zeit auch ethische Führung diskutiert. Auch diese setzt sich zusammen aus einem Führungsstil, in dem moralisch korrekte Werthaltungen zentral sind und diese den Mitarbeitern vorgelebt werden, so dass diese erkennen, was ethisch korrekt ist – und was nicht!

Wie eine große Werkzeugkiste

Auf die Frage, wie er selbst führen würde, sagte Reimelt: „Das müssen sie sich so vorstellen wie eine große Werkzeugkiste. Wenn sie die aufmachen, haben sie unterschiedliche Werkzeuge und sie müssen sehr situativ lernen, diese Werkzeuge einzusetzen.

Dabei gibt es den großen Hammer und den ganz kleinen, feinen Schraubendreher.

Sie müssen heute als Führungskraft in der Lage sein, diesen ganzen Werkzeugkasten bedienen zu können, denn es gibt nicht einen Führungsstil, es gibt nicht ein Werkzeug, sondern es gibt eine Fülle, die der Situation entsprechend eingesetzt werden muss.“

Hier gibt Reimelt eine sehr schöne Metapher für das „Full Range Model of Leadership“ und gleichzeitig für die praktische Bedeutsamkeit der wissenschaftlich als Kontingenztheorie bezeichnete situationale Angemessenheit von Führung. Das full range model of leadership ordnet mögliche Verhaltensweisen von Führung auf zwei Dimensionen an. Diese Dimensionen sind einmal aktiv-passiv, zum anderen ineffektiv-effektiv. Passiv und ineffektiv ist die laissez-faire Führung, bei der die Führungskräfte die Mitarbeiter allein (machen) lassen. Etwas aktiver, aber immer noch weitgehend ineffektiv ist das „Management by Objection“. Hier greift die Führungskraft nur ein, wenn es zu Problemen kommt. An der Grenze zwischen aktiv und passiv und ineffektiv-effektiv steht die transaktionale Führung. Hier gibt die Führungskraft die Ziele vor, gibt Rückmeldung zum Stand der Zielerreichung und belohnt gutes und bestraft schlechtes Verhalten. Wenn es aber Krisen gibt, z.B. weil sich gesetzliche Bedingungen oder die Mitarbeiter oder der Wettbewerb ändern, braucht es etwas mehr. Die höchste Stufe des Modells ist daher die transformationale Führung. Hier gehen die Führungskräfte auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter ein und sie motivieren, indem sie inspirieren und Visionen für die Organisation verkörpern.

Andere Kultur, andere Führung?

Schließlich interessierte mich im Gespräch noch, ob Stephan Reimelt bei GE eine andere Kultur wahrnehmen würde, als bei deutschen Unternehmen. Bei GE würde man sich überall duzen und das GE nicht nur in dieser Hinsicht ein sehr amerikanisches Unternehmen sei. Er sagt: „Die Values, die GE von uns einfordert, sind sicher andere, als sie in einem deutschen Unternehmen gelten würden. Das erste Jahr war für mich wirklich sehr anstrengend, ich musste mich auf diese Kultur einlassen. Sie fangen an, eine ganze Menge auszuprobieren und stellen fest: Hey, der Hammer ist nicht immer das richtige Tool. Auch die Geschwindigkeit ist eine deutlich andere. Abwarten nach dem Motto „Es kann doch vielleicht besser werden“ gibt es bei uns nicht. Wenn es ein Problem gibt, wird das Problem adressiert und gelöst, bevor es dich richtig trifft. Wir reagieren, wenn da hinten die Wolke kommt und wenn die Wolke über uns ist, haben wir restrukturiert.“

Das Unternehmen GE
General Electric wurde 1890 von Thomas Alva Edison gegründet und ist mit
über 300.000 Mitarbeitern weltweit einer der größten
Technologiekonzerne. 1896 gehörte GE zu einem der zwölf Unternehmen, die
den damals eingeführten Dow Jones Index bildeten und es ist das einzige
Unternehmen, das sich bis heute dort gehalten hat. In Deutschland ist
GE an über 50 Standorten vertreten und beschäftigt über 7.000
Mitarbeiter.

Das vollständige Gespräch zwischen Stephan Reimelt und Rolf van Dick finden Sie › hier als Video.

Dieser Beitrag ist Teil VI unserer Serie „Besser führen“. Teil V – im Gespräch mit Holger Geschwindner finden Sie › hier.

Zum Autor:

Rolf van Dick lehrt Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, unter anderem am Center for Leadership and Behavior in Organizations (CLBO). In unserer aktuellen Serie „Besser führen“ präsentieren wir seine Gespräche mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und anderen Bereichen.