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Arbeiter auf der rechten Spur

Daimler Gebäude.
Bei Daimler gewinnt eine rechte Gewerkschaft an Einfluss. Foto: Frank Gärtner / stock.adobe.com

Das Mercedes-Werk in Untertürkheim ist das Herzstück des Automobilkonzerns: Vor 115 Jahren gegründet, liegt es am selben Ort wie die Daimler-Zentrale. Derzeit tobt dort eine Auseinandersetzung zwischen Betriebsrat und Konzernführung. Hintergrund ist die seit Jahren steigende Unsicherheit in der Belegschaft wegen des Strukturwandels: weg von Diesel und Benziner, hin zu alternativen Antrieben; weg vom Autobauer, hin zum Mobilitätsdienstleister.

Der Veränderungsdruck auf die Mitarbeiter hat wohl den Aufstieg einer Betriebsratsliste begünstigt, die die Unruhe im Werk und im Konzern auf ihre Weise steigert: das „Zentrum Automobil“. Die selbst ernannte „Gewerkschaft“ hat zurzeit sechs von 47 Betriebsratssitzen in Untertürkheim inne. Auch vertritt sie die Arbeitnehmer in den Daimler-Werken von Sindelfingen (zwei Sitze) und Rastatt (drei Sitze).

Beobachter sehen im „Zentrum“ eine rechtsradikale Gruppierung. Ihr Vorsitzender Oliver Hilburger war bis 2008 Mitglied der Neonazi-Rockband „Noie Werte“. Seine Verwicklung in die rechtsextreme Szene gab der Christlichen Gewerkschaft Metall im Jahr 2007 Anlass, den Beisitzer in ihrem Landesvorstand auszuschließen. Daraufhin gründete der Geschasste im Jahr 2010 das Zentrum Automobil. Es führt eine Bewegung an, die nicht nur bei Daimler, sondern in der gesamten Branche an Einfluss zu gewinnen scheint. Während sie vorgeblich Arbeitnehmerinteressen vertritt, unterstellen ihr Beobachter, eine Veränderung – um nicht zu sagen Umwälzung – der demokratischen Grundordnung anzustreben.

Dort die Lügner, hier die „Familie“

Hilburger ist der „vielleicht wichtigste Kopf“ der Bewegung – so lautete Ende 2017 die Einschätzung des MDR. Pathetische Musik begleitet seine Auftritte im Netz, bei denen er Brille, eine unscheinbare Frisur und ein schwarzes Polohemd mit dem grünen Logo seiner Gewerkschaft trägt. Umso deutlicher fällt bei diesem Äußeren seine Rhetorik auf. In einem seiner aufwendigsten Videos etwa redet er 2018 mit ernstem, etwas theatralischem Ton vom angeblich täglich wachsenden „Widerstand“ gegen die „korrupten Altparteien“ und beschuldigt die Medien der „Hetze“ und „Lüge“ – es sind dieselben Begriffe, die er später im Recherchetelefonat für diesen Beitrag verwenden wird. Das Video wurde im Rahmen von „Ein Prozent“ produziert. Hinter dem Kampagnenprojekt steckt mit Götz Kubitschek ein weiterer Protagonist der neurechten Szene sowie die vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“.

„Im Werk spielen die die Netten“,

sagt Karl-Heinz-Hoffmeister über das Zentrum Automobil und seine Mitglieder. Hoffmeister arbeitet in der Stabsstelle des Daimler-Gesamtbetriebsrats. Er beschreibt das interne Auftreten der Zentrums-Leute als „familiär“. Sie äußerten sich zurückhaltend und versuchten als radikale Vertreter von Arbeitnehmerinteressen Sympathien zu gewinnen. Mit Erfolg: Bei den Betriebsratswahlen 2018 durften 19 000 Beschäftigte ihre Stimme abgeben, 13 Prozent davon entfielen auf das Zentrum.

Hoffmeister führt diesen Erfolg auf die Zukunftsängste der Belegschaft und auf die beschriebene Selbstdarstellung zurück, hinter der er eine „versteckte Agenda“ erkennt: „Die ersten zehn bis zwanzig Leute auf der Liste des Zentrums sind die rechtsradikalen Kader. Die Restlichen – und da sind auch viele Kollegen mit Migrationshintergrund dabei – werden teilweise nicht einmal genau gewusst haben, für welche Liste sie da kandidieren“, sagt er.

Es geht nicht nur um Daimler

Wie weit diese mögliche Agenda reicht, ist fraglich. Fest steht, dass sich der Einfluss von Hilburger und Co. nicht auf Daimler begrenzt. Bei Porsche und BMW in Leipzig stellen organisatorisch und ideologisch mit dem Zentrum verschwisterte Listen zwei beziehungsweise vier Betriebsräte. Einer dieser vier war der bekannte Neonazi Stefan Auerbach, der Ende Dezember bei einer sogenannten Familienfeier in der Nähe von Leipzig in einem Swimmingpool umkam (gemeinsam mit einem jungen Fußballer). Nach dem Vorfall kondolierte neben dem Neonazi-Musiklabel „PC Records“ auch das Zentrum Automobil ausführlich, dessen Vorstand Auerbach angehörte: Auf der Homepage beklagte man den Tod des „Mitstreiters“.

So verzweigt das rechte Netzwerk einerseits scheint, bei Daimler tritt es am lautesten auf. Im vergangenen Sommer fühlte sich Konzernchef Ola Källenius zu einer Stellungnahme gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gezwungen. Zuvor hatte das Zentrum mit einem Video für Aufsehen gesorgt, in dem es dem Konzern Willkür bei der Kündigung von zwei Mitarbeitern unterstellte.

Hilburger selbst äußerte sich im erwähnten Recherchegespräch im umfassenden Sinne persönlich, wirkte aufgebracht, überschlug sich fast. Tiraden entluden sich, gegen Unternehmensleitung und „Systemgewerkschaften“ – damit meint er Organisationen wie den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und die IG Metall, die vor der Neuen Arbeiter-Rechten warnen. Die beiden Mitarbeiter seien gekündigt worden, „nur“ weil sie sich unangemessene Fotos per Whatsapp geschickt hätten. „Das waren Bilder von Personen der Zeitgeschichte, sag ich mal.“ In Wirklichkeit hatten die beiden einem türkischstämmigen Kollegen über Monate hinweg rassistische Whatsapp-Nachrichten sowie Hitler- und Hakenkreuzbilder geschickt. Anfang Dezember bekräftigte das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung eines der Beschäftigten.

„Noie“ Werte sind angeblich veraltet

Bei Bedarf allerdings kann sich Hilburger auch zurückhalten. Auf der Betriebsversammlung in Untertürkheim im März 2010 etwa, bei der er in den Betriebsrat gewählt wurde, bezeichnete er seine knapp 20 Jahre bei „Noie Werte“ und in der Neonazi-Szene als „Jugendsünde“. Im erwähnten Telefonat stellte er sich als Sprecher der „regional verwurzelten Arbeiter“ dar, die den „kosmopolitisch Orientierten“ gegenüberstünden. Das scheint insofern zu verfangen, als das Zentrum bei Daimler seither konstant an Sitzen zugelegt hat.

Der Rechtsextremismusexperte Professor Benno Hafeneger seinerseits verortet die Organisationen und ihren Gründer ideologisch nahe der AfD. Genauer gesagt, nahe den völkischen Positionen von Björn Höcke. „Die Begriffe, Formulierungen und Namen zeigen – es ist das neurechte Lager, das sich hier wiederfindet“, sagt er. Hilburger verwende nicht nur dieselben Begriffe wie der thüringische AfD-Fraktionschef, beide verfolgten „eine Strategie und sehr ähnliche Ziele“. Tatsächlich schmückt sich auch das Zentrum mit dem Label „alternativ“ und macht wie Vertreter der AfD oder auch der Pegida-Bewegung gegen das „Establishment“ und die „Lügenpresse“ mobil.

Frau wehr braunen Block ab.
Personalverantwortliche dürfen „brauner Rhetorik“ keinen Raum lassen. Foto: loco75 / iStock

Was die Strategie angeht, kopiert die Neue Rechte mit dem Bündnis von parlamentarischem und außerparlamentarischem Kampf laut Hafeneger Konzepte der Linken aus den 1980er-Jahren. Ziel sei es, dadurch als neue „Interessensvertretung“ an gesellschaftliche Machtpositionen zu kommen. Der eine ringe im Parlament um Einfluss, der andere im Betrieb. „Die neurechte Propaganda ist mit einer Hybris verbunden: Man sagt dem drohenden Untergang den Kampf an und imaginiert eigene Größe – es soll wirken, als stehe man vor einem Endkampf“, sagt Hafeneger, der an der Philipps-Universität in Marburg forscht und die Szene seit Jahrzehnten beobachtet. Diese Strategie schließt gemeinsame Veranstaltungen ein. Björn Höcke und andere AfD-Mitglieder des national-sozial orientierten „Flügel“ treten regelmäßig zusammen mit dem Zentrum auf. 2017 treffen sich Höcke und Hilburger – nebst Pegida-Chef Lutz Bachmann und anderen Köpfen der Bewegung – bei einem Kongress der Neuen Rechten in Leipzig. Beide halten in einem festlich geschmückten Saal Reden und beklatschen einander. Und im September 2018 reisten Hilburger und die Betriebsgruppe des Zentrums nach Chemnitz, um an der Seite von AfD, Pegida und anderen gegen „Ausländerkriminalität“ zu demonstrieren. „Jahrelang hat man die Chemnitzer mit Integrationslügen vergiftet“, hieß es damals in einem Aufruf des Zentrums.

Allem Anschein nach teilen Höcke und Hilburger das Ziel, die Belegschaften speziell in der Industrie in ihrem Sinne zu politisieren. Wenn das Zentrum auf Facebook etwa schreibt, die Arbeitsplätze in Deutschland, besonders in der Automobilindustrie und besonders im Zusammenhang der Energiewende, würden „wegglobalisiert“, stellt der AfD-Mann dazu passende, radikal klingende Forderungen auf: „Wir müssen die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus verteidigen“, sagte Höcke auf dem AfD-Parteitag 2018.

AfD und Gewerkschaften: das zwiespältige Verhältnis

Trotz allem: Offiziell gibt es keine direkte Zusammenarbeit zwischen der rechten Gewerkschaft und der AfD. Das könnte auch mit dem Konflikt innerhalb der Partei zu tun haben, in der das soziale Thema durchaus umstritten ist. Ihr Grundsatzprogramm erwähnt nicht ein einziges Mal die Wörter „Gewerkschaft“ und „Betriebsrat“. Der „Flügel“ hingegen hält die AfD für zu wirtschaftsliberal, Höcke will sie wie Hilburger zu einer Arbeiterpartei machen.

Bei den Bundestagswahlen haben 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für die AfD abgestimmt, mehr als in anderen Teilen der Bevölkerung. Die Neue Rechte sehe darin ein Potenzial, so Hafeneger. Was Höcke und Co. wirklich für Arbeiter tun wollen, bleibt allerdings unklar. Hafeneger: „Die Neue Rechte nutzt Unzufriedenheit mit den Eliten aus, um selbst an die Macht zu kommen.“ Der DGB nimmt dies zum Anlass, vor der AfD zu warnen. Gegenüber dem Tagesspiegel sprach Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach im Oktober von einer „zutiefst neoliberalen und gleichzeitig völkischen Partei, die unsere sozialstaatlichen Errungenschaften am liebsten abschaffen will“. Arbeitnehmer, so Buntenbach, dürften der Partei ihren sozialen Anstrich „auf keinen Fall abkaufen“.

Wie geht es weiter?

Die weitere Entwicklung dürfte zunächst von der der Branche selbst abhängen – und dem strategischen und kommunikativen Umgang der Konzerne mit dem Wandel. E-Autos etwa sind deutlich einfacher herzustellen als Autos mit Verbrennungsmotor. Deswegen scheinen besonders Jobs von Facharbeitern gefährdet. In Untertürkheim haben der Betriebsrat und die Unternehmensleitung einen Deal ausgehandelt, der diese Gefahr zumindest abmildert. So soll der elektrifizierte Antriebsstrang im Werk hergestellt werden statt wie befürchtet im Ausland.

Dennoch bleibt Unsicherheit, zumal die Komplettmontage von Dieselmotoren in Untertürkheim gestrichen wurde. Mitglieder des Zentrums nahmen daher im Februar 2019 an „Pro-Diesel-Demos“ in Stuttgart teil und produzierten ein eigenes Werbevideo dazu. Ihren IG-Metall-Kollegen bei Daimler werfen sie vor „mit dem Management unter einer Decke zu stecken“, wie Hilburger sagt.

Im Weiteren verweist Daimler-Mitarbeiter Karl-Heinz Hoffmeister auf den Einfluss betriebsexterner Faktoren.

„Es bedarf einer generellen politischen Lösung“,

sagt er. Das Potenzial rechter Gewerkschaften hänge von der allgemeinen politischen Entwicklung, aber auch von Entscheidungen innerhalb der AfD selbst ab. Je weniger die AfD auf Bundesebene der sozial-nationalen Position eines Björn Höcke folgt, desto weniger Rückhalt dürften Organisationen wie das Zentrum künftig haben.