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Hauptsache gesund

Bild: Unsplash.com/freestocks.org
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Mit der Gesundheit ist es ja leider so: Wir wissen sie erst zu schätzen, wenn sie uns im Stich lässt. Bis vor ein paar Jahren durfte man wenigstens noch dem niesenden Nebenmann ein aufmunterndes „Gesundheit!“ zurufen, doch dann riet die für den deutschen Benimm zuständige Knigge-Gesellschaft auch davon ab: So erhöhe man das Schniefen „zu einem Drama gesundheitlichen Verfalls“. Dabei bleibt das Gegenteil korrekt: In dem Moment erst, wo sich die Krankheit sichtbar anpirscht, erinnern wir uns ihrer Existenz – und wünschen unserem Nächsten, dass sie ihn verschonen möge.

Wenn nun also die Daimler AG jenen Mitarbeitern einen „Anwesenheitsbonus“ zahlt, die nicht krank fehlen, rückt sie damit zunächst einmal den Wert der Gesundheit als solcher ins Licht. Das ist gut. Trotzdem verwundert die Maßnahme angesichts der gut dokumentierten Tatsache, dass Mitarbeiter, die krank zur Arbeit kommen, Organisationen deutlich mehr kosten als jene, die einen Tag zu lang freimachen. Daimler hat ein so ausgereiftes Gesundheitsmanagement, dass man das Unternehmen kaum über diese Fakten aufklären muss.

200 Euro im Jahr

Die Prämie wird quartalsweise gezahlt. Wer im Vierteljahr keinen Tag fehlt, erhält 50 Euro – übers Jahr gerechnet kommen so also maximal 200 Euro brutto zusammen. In einem Unternehmen, das traditionell quer durch alle Funktionen sehr gut zahlt, hat dieser Betrag primär symbolischen Wert. Allein mit dem letzten April-Gehalt hat Daimler rund 125.000 Tarifmitarbeitern in Deutschland eine Ergebnisbeteiligung von 5650 Euro ausgezahlt. Selbst wenn man also keinen Tag im Jahr krank fehlte, überstiege der Gewinn- den Gesundheitsbonus in etwa um das 28-fache. Die Prioritäten bleiben klar sortiert.

Interessant ist aber, dass sich Daimler und andere Arbeitgeber nun ein Prinzip abschauen, das bei Krankenkassen längst geübte Praxis ist: Weil man die Kranken schlecht bestrafen kann, belohnt man die Gesunden. Die Modi sind je nach Kasse unterschiedlich, das simple Prinzip aber bleibt gleich: Wer nachweisen kann, dass er sein Gewicht im Griff hat, Sport treibt oder regelmäßig zum Zahnarzt geht, kann Punkte sammeln. Und lässt man brav sein Heftchen abstempeln, erhält man am Jahresende einen Bonus. Das ist ein bisschen wie in der Grundschule; da hatten die Streber auch alle paar Wochen hausaufgabenfrei.

Heikle Einmischung

Die Jahresboni der Krankenkassen sind in etwa so hoch wie die Daimler-Gesundheitsprämie. Und sie funktionieren. Ein klassischer extrinsischer Incentive: Wo mit etwas mehr Aufwand auch etwas mehr zu holen ist, strecken wir uns, um das gesteckte Ziel zu erreichen. Nun ist der entscheidende Unterschied zwischen einem Arbeitgeber und einer Krankenkasse jedoch der, dass Letztere ohnehin über unsere Gesundheit Bescheid weiß. Insofern ist es traditionell heikel, wenn sich Arbeitgeber in Fragen der Gesundheit ihrer Belegschaft einmischen. Nicht wenige Mitarbeiter reagieren da grundsätzlich allergisch. Und überhaupt, so meist das nächste triftige Argument, sei das wahre Ziel der Unternehmen nicht die altruistische Fürsorge, sondern die möglichst lückenlose Leistungsfähigkeit der Belegschaft. Daran ist vieles richtig, es ändert aber nichts daran, dass ein strukturiertes betriebliches Gesundheitsmanagement arbeitsgeschichtlich betrachtet eine große Errungenschaft ist.

Der Daimler-Anwesenheitsbonus ist Symbolpolitik in wirtschaftlich guten Zeiten. Er wird sicher nicht die Spitze der BGM-Evolution darstellen. Schon heute ist klar: Auf Drängen des Betriebsrats wird er in zwei Jahren wieder kassiert. Was bleibt, ist die Möglichkeit für jeden Mitarbeiter, einen kostenlosen, präventiven Gesundheitscheck beim Werksarzt durchführen zu lassen. Freiwillig, und unter Wahrung der Schweigepflicht. Das ist ohne Frage präventiver, nachhaltiger, sinnvoller. Und doch erinnert der unsinnige Bonus an eine Erkenntnis, die für Erwachsene ebenso gilt wie für Neugeborene: Hauptsache gesund.

Autor: Cliff Lehnen, Chefredakteur der Personalwirtschaft

Erschienen in Ausgabe 02/2017 der Personalwirtschaft.