Frau Fresenius, welche Auswirkungen hat die digitale Transformation auf HR bei der Swisscom?
Als großes modernes Telekommunikationsunternehmen arbeiten wir verstärkt mit Daten. Dabei setzen wir hauptsächlich auf Prozessautomatisierung, Data Analytics und künstliche Intelligenz. Die digitale Transformation konzentriert sich aber nicht allein auf Prozesse. Auch das Mindset innerhalb des Unternehmens muss transformiert werden. Bei der Swisscom lautet hier das Stichwort Agilität. 4.000 unserer insgesamt 18.000 Mitarbeiter sind agil organisiert – im Vergleich zu anderen Unternehmen also sehr viele. Gerade im HR-Bereich führt das zu großen Herausforderungen. Teilweise gibt es – im herkömmlichen Sinne einer hierarchischen Struktur – keine Vorgesetzten mehr. Trotzdem müssen Entscheidungsträger Vergütungs- oder HR-Entscheidungen treffen, ohne unmittelbar über die entsprechende Datenbasis zu verfügen oder auch die Nähe zu den Mitarbeitern zu haben. Deshalb ist für uns im HR auch die Automatisierung sehr wichtig. Durch die Datennutzung können wir diese Businessfragestellungen beantworten.
Wie nehmen Sie die Mitarbeiter mit in die Agilität?
Wir haben ein sehr breites Spektrum an Weiterbildungsangeboten zu diesem Thema, mit dem wir die Mitarbeiter begleiten. Darin wird geklärt, was Agilität eigentlich bedeutet, welche agilen Methoden es gibt und welches Mindset dahintersteht. Wir setzen sehr stark auf eine Lern- und Entwicklungskultur. Deshalb stehen jedem Mitarbeiter bei der Swisscom fünf Weiterbildungstage zu.
In welchen HR-Funktionen setzen Sie bereits digitale Lösungen ein?
In der Administration nutzen wir Robotics. Wir sind hier aber noch im Anfangsstadium. Ziel ist, händisch bediente Schnittstellen zu vermeiden und über digitalisierte Prozesse oder über eine App das Case Routing zu automatisieren. Wenn HR Anfragen bekommt, sollen diese automatisch an die richtige Stelle weitergeleitet werden. Der zweite Bereich ist die Personalentwicklung. Hier ist uns Employability wichtig. Die digitale Transformation beschleunigt viele Dinge. In kurzen Zyklen verändern sich die von den Mitarbeitern abverlangten Fähigkeiten. Deshalb haben wir einen freiwilligen Employability-Self-Check eingeführt, der den Mitarbeitern hilft, ihre Skills zu erfassen, zu bewerten und ihre Arbeitsmarktfähigkeit einzuschätzen. Das Tool empfiehlt dann ein gezieltes Weiterbildungsangebot, mit dem sich die Mitarbeiter die entsprechenden Skills aneignen können. Auch im Recruiting setzen wir auf digitale Lösungen. Dabei geht es aber nicht um eine Filterfunktion für den Auswahlprozess, denn diese kann diskriminierend sein. Und das finde ich kritisch. Das Thema Ethik steht bei uns ganz oben. Deshalb setzen wir hier auf den Onboarding-Prozess und beispielsweise auf eine automatisierte Vertragserstellung.
Im Zuge der Digitalisierung wird die Zusammenarbeit zwischen IT und anderen Abteilungen immer wichtiger. Dafür hat die Swisscom einen HR Digital Officer. Was sind seine Aufgaben?
Mit seinem Team bildet er die Schnittstelle zwischen HR und IT. Er hat die Hoheit über alle HR-Systeme. Der HR Digital Officer ist immer involviert, wenn es darum geht, neue HR-Systeme anzuschaffen, zu integrieren oder abzustimmen. Die dafür nötigen Ressourcen stellt uns aber die IT-Abteilung zur Verfügung: Die IT entwickelt für oder mit uns. Die Swisscom hat auch einen Business-Analytics-Bereich mit über 200 Mitarbeitern. In dessen agilen Strukturen sind auch unsere HR-Analytics-Mitarbeiter integriert. Sie gehören zwar zu meiner Organisationseinheit, sind aber in der gesamten Analytics Community eingeplant. Dort gibt es alle zehn Wochen Planungsrunden, die sogenannten Program Increment Plannings, in denen wir alle Cases melden, die wir mit HR-Analytics bearbeiten wollen. Dabei teilen wir auch mit, wie viele Ressourcen wir dafür benötigen. Der Vorteil ist, dass wir nicht auf die in unserem Bereich angesiedelten Analytics-Spezialisten beschränkt sind, sondern auch Kollegen aus anderen Bereichen zu Rate ziehen können.
Wie nutzt die Swisscom HR-Analytics?
Wir haben einen eigenen Reporting-Bereich, in dem wir uns mit Advanced Reporting und Key Performance Indicators (KPIs) beschäftigen. Dabei folgen wir dem Grundsatz, dass wir spezifische Daten nur dann für eine Auswertung nutzen, wenn wir aus dem Ergebnis eine Handlung ableiten können. Nicht zu wissen, wie ein Analyseergebnis genutzt werden soll, berechtigt oftmals gar nicht zur Datenauswertung. Angenommen, es soll untersucht werden, ob Frauen bei der Swisscom im Sales erfolgreicher sind als Männer. Sollten Frauen erfolgreicher sein, kann ich die Männer nicht einfach entlassen und nur noch Frauen rekrutieren, denn das wäre Diskriminierung. Mit diesem Ergebnis wären wir nicht handlungsfähig, also nutzen wir die entsprechenden Daten nicht. Für das Advanced Reporting nutzen wir KPIs, aus denen wir Implikationen für das Management ableiten können – und das predictive und prescriptive. Dabei gehen wir mit Hilfe von Business Cases vor. Die Themen sind zum Beispiel Kosten und Nutzen agiler Strukturen, Fluktuation oder Employability. Im Bereich Prediction haben wir zum Beispiel untersucht, wie die Sales Performance im Contact Center gesteigert werden kann. Hierzu haben wir verschiedene Weiterbildungsangebote ausgewertet: Welches Training hat einen nachhaltigen Effekt gezeigt? Daraufhin konnten wir sagen, welche Mitarbeiter mit welchem Skill-Set in welches Training geschickt werden sollten, um Sales nachhaltig zu verbessern. Zusätzlich planen wir ab 2021, mit Prescriptive Analytics Gehaltsentscheidungen vorbereiten zu können. Entscheidungsträger, die zum Teil 100 Mitarbeiter führen, haben diese nicht unbedingt vor Augen, sie müssen aber eine möglichst breit gestützte Entscheidung treffen. Über Prescription haben wir die Möglichkeit, einen Vorschlag zu generieren, der nicht nur die jeweilige Lage des Mitarbeiters im Lohnband oder ein Performancerating berücksichtigt, sondern auch die Fähigkeiten, den internen Peervergleich, erhaltene Prämien und abgeschlossene Weiterbildung einbezieht. Ein Algorithmus berechnet einen aus Sicht der Swisscom gerechtfertigten Lohnvorschlag. Analytics bedeutet für uns aber nicht, dass eine Maschine den Lohn festlegt. Sie spricht lediglich eine Empfehlung aus.
Welche Anforderungen an Ihre HR-Mitarbeiter bringen HR-Analytics mit sich?
Bei uns ist natürlich Datenaffinität gefragt. Unsere HR-Mitarbeiter sollten Daten interpretieren können. Sie sollten ein Gefühl dafür haben, was aufgrund einer bestimmten Datenlage tatsächlich empfohlen werden kann. Eine statistische Ausbildung ist dafür nicht unbedingt nötig. Das entsprechende Wissen eignet man sich sicherlich im Job an. Ich glaube, das Wichtigste ist die Bereitschaft, mit Daten arbeiten zu wollen.
Gibt es eine Zielsetzung für die Digitalisierung im HR-Ressort?
Die Vision ist, dass sich die Mitarbeiter selbst helfen und wir durch die Digitalisierung die Employee Experience verbessern können. Das bedeutet, dass Mitarbeiter künftig in der Lage sein sollen, ihre Fragen im Zusammenhang mit HR selbst zu beantworten und ihre Anliegen selbst zu bearbeiten. Bereits heute kann jeder Mitarbeiter bei der Swisscom seinen Beschäftigungsgrad selbst ändern – mit wenigen Klicks beispielsweise die Arbeitszeit reduzieren. Der zuständige Entscheidungsträger erhält nur noch eine entsprechende Benachrichtigung. Es gibt keinen Freigabeprozess. Das verlangt auch ein anderes Mindset und Selbstverantwortung. Aus meiner Sicht können auch HR-Analytics die Employee Experience positiv beeinflussen. Im Gegensatz zu einem standardisierten Vorgehen bieten Analytics die Möglichkeit, jeden Mitarbeiter individuell zu bedienen und eben doch Komplexität zuzulassen, weil sie eben nicht von Menschen bewältigt werden muss, sondern von einem Algorithmus. Ich glaube, es wird immer wichtiger, den Mitarbeiter mit konkreten, für ihn relevanten Angeboten – zum Beispiel im Hinblick auf Weiterbildung – individuell anzusprechen – und nicht wie in der klassischen Rundmail ein neues Fortbildungsangebot anzukündigen.
Dafür benötigen Sie Daten. Das ist ein heikles Thema. Worauf müssen Sie dabei besonders achten?
Im Bereich Data Governance müssen wir uns natürlich damit befassen, welcher Grad an Individualität überhaupt erlaubt ist. Bei der Swisscom sollen HR-Analytics Erkenntnisse aus der Gruppenperspektive liefern, nicht auf Individualebene. Dabei steht das Vertrauen der Mitarbeiter im Mittelpunkt: Die Swisscom muss ihnen als Arbeitgeber erklären, was mit ihren Daten geschieht. Laut unserer Gewerkschaft sind wir beim Umgang mit den Mitarbeiterdaten und bei der entsprechenden Aufklärung unserer Angestellten sehr gut aufgestellt. Ein solches Vertrauen sollte man nicht verspielen. Als Unternehmen müssen wir verstehen, dass die Daten unserer Mitarbeiter eine zweckgebundene Leihgabe an uns sind: Sie geben uns ihre Daten, damit wir beispielsweise die Payroll abwickeln, Sozialabgaben abführen, aber auch mit ihnen in Kontakt treten können – und nicht dafür, dass wir beispielsweise Kosten und Nutzen agiler Strukturen analysieren.
Welchen Prinzipien folgt die Datenanalyse bei der Swisscom?
Im HR-Bereich haben wir die ganz klare Devise, dass wir keine explorativen Analysen durchführen. Das bedeutet, dass wir immer hypothesenbasiert arbeiten. Deshalb müssen wir im Vorfeld klären, welche Daten wir benötigen, um die jeweilige Hypothese zu stützen. Ebenso müssen wir überlegen, was es für HR bedeutet, wenn ein Analyseergebnis eine Hypothese bestätigt. Nur wenn wir potentiell imstande sind, daraus eine Handlung abzuleiten, können wir die entsprechenden Datensätze freigeben. Wir haben einen sehr intensiven Freigabeprozess, und darauf bin ich stolz. Auch wenn dieser manchmal mühsam ist, bringt uns das einen Vorteil im Vertrauensverhältnis zu unseren Mitarbeitern, denn wir informieren sie stets darüber, welche Daten von ihnen erhoben werden: Alles wird dokumentiert, die Verhältnismäßigkeit der Datenerhebung geprüft und diese Ergebnisse werden am Ende an die Mitarbeiter weitergeleitet. Sie können auch immer Fragen dazu stellen. Dadurch versuchen wir, das Vertrauen unserer Mitarbeiter aufrechtzuerhalten.
Was ist das Ergebnis einer transparenten, auf ethischen Prinzipien beruhenden Datennutzung?
Es ist ein großer Beitrag zur Arbeitgeberattraktivität, wenn die Mitarbeiter wissen, wie mit ihren Daten umgegangen wird. Deshalb muss man immer überlegen, wem die Datenanalyse dienen soll. Im Sinne der Employee Experience geht es bei der Swisscom darum, dass auf Grundlage datenbasierter Erkenntnisse entweder die Arbeitssituation der Mitarbeiter verbessert, Prozesse freundlicher gestaltet oder auch Weiterbildungsmöglichkeiten aufgezeigt werden sollen.