Personalwirtschaft: Herr Antonić, in Ihrer Keynote fordern Sie mehr Menschlichkeit, anstatt Daten und künstlicher Intelligenz (KI) blind hinterherzulaufen. Ist KI also unmenschlich?
Bodo Antonić: Nein, das sicherlich nicht. KI ist nach meinem Dafürhalten weder intelligent noch menschlich oder unmenschlich. KI ist nichts weiter als ein Algorithmus, Software beziehungsweise Hardware, der menschliche Intelligenz innewohnt. Unmenschlich ist gegebenenfalls der Umgang mit den Daten und Erkenntnissen.
Glauben Sie, dass die Unternehmen zu sehr auf Technologien setzen und zu wenig auf die persönliche Komponente?
Zu 100 Prozent. Mensch und Management neigen zu der fatalen Annahme, man könne Zukunft kontrollieren. Alles, was der Mensch tut und leistet, ist nicht Ausdruck einer Linearität in Denken und Handeln, sondern zeigt auf, dass Menschen auch ganz verrückt zu denken imstande sind. Genau diese Verhaltenssprünge, all dieses Unvorhersehbare, Kreativität, Irrsinn, Wahnsinn, kann durch eine Maschine nicht abgebildet werden.
Wie würden Sie die Themen Recruiting und Personalmanagement vor dem Hintergrund der Digitalisierung angehen?
In erster Linie ganz unaufgeregt. Warum nicht einfach beides tun? Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Ich befand mich vor Jahren auf dem Bewerberportal einer großen Unternehmensberatung. Ich fing an, die ersten Fragen zu beantworten, und nach zehn Minuten beendete ich das Ganze. Alles in mir drängte darauf, aus diesem entmenschlichten Vorgang auszusteigen. Andere Menschen finden das hingegen ganz wunderbar. Es stellt sich die Frage: Will man möglichst schlanke HR-Prozesse oder den idealen Kandidaten gewinnen? Mit den Fragen auf Bewerberportalen schließt man Leute aus, die sehr produktiv arbeiten.
Aber erwarten nicht auch die Bewerber die allerneuesten Technologien von ihren künftigen Arbeitgebern? Dann wäre der Einsatz von KI unvermeidlich.
Das sehe ich nicht so. Sie wollen heute wie morgen genau das Gleiche, was sie gestern auch schon wollten: Verlässlichkeit, Zugehörigkeit, Sinn, Stabilität und ein emotionales Zuhause. Jenseits der Technikfreaks sind wir nur eines: Menschen. Bitte vergessen wir nicht, dass KI Technik ist, vielleicht auch ganz tolle Technik. Aber sie ist kein goldenes Kalb, um das wir tanzen müssten.
Was können Personalverantwortliche und Vorgesetzte im Umgang mit ihren Mitarbeitern besser machen – sofort und ohne großen Aufwand?
Ganz einfach: zuhören! Wenn der Chef immer recht hat, kann er andere Ideen nicht verstehen und die eigenen nicht in Frage stellen. Außerdem sollte man alles Alltägliche hinterfragen: Spielregeln, Berichte, alles, was einen nervt.
Alle reden von New Work – was verstehen Sie darunter und wie setzt man sie im Unternehmen um?
New Work ist für mich nichts Neues. Mein New Work beschreibt nur das, was ein Teil der Menschheit schon immer wollte: selbstorganisiertes Arbeiten, mehr Sinn im Tun und etwas mehr Selbstbestimmtheit. Damit einher geht aber ein Mehr an Selbstverantwortung. Die Zentralbegriffe für mich sind Freiheit und Emanzipation. Ich glaube an den freien, kreativen Geist, der nicht in Ketten liegen, sondern frei schweben will. Wie man diesen umsetzt? Die richtigen Menschen anheuern, Regeln abbauen, Pluralität und Machtverlust ertragen und im Gegenzug sich an der Schönheit des menschlichen Geistes erfreuen.
Das hört sich alles sehr schön an, aber in Unternehmen gibt es nun mal Abteilungen und Zuständigkeiten. Da kann nicht jeder Geist frei schweben.
Aber die Menschen können sich selbst organisieren und brauchen nur wenige Leitplanken. Leider gibt es immer noch viele Vorgesetzte, die alles im Detail durchplanen, weil sie Angst haben, die Kontrolle zu verlieren.
Ist der klassische Mitarbeiter überhaupt in der Lage, sich von den starren Strukturen und Vorgaben zu lösen?
Ich kenne keinen klassischen Mitarbeiter – jeder Mensch hat ein spezifisches Maß an Selbstbestimmtheit. Die Frage drückt aus, dass wir bereit sind, diesen gar nicht vorhandenen Mitarbeiter kleinzureden, ihn als dumm und führungsabhängig zu beschreiben. Und das missfällt mir. Menschen sind großartig, einzigartig, bockig, unwillig, kreativ oder was auch immer, aber eben kein klassischer Durchschnitt.
Und wie sieht es mit den Vorgesetzten aus?
Sind diese denn bereit, Entscheidungsbefugnisse – also Macht – abzugeben? Der eine ja, der andere nein. Zum einen ist es eine Charaktersache, zum anderen Teil einer Unternehmenskultur.
Sie sprechen von „geistiger Enge“ und „Atemlosigkeit“. Müssen wir uns damit abfinden?
Wenn ich bereit wäre, mich damit abzufinden, würde ich heute nicht dieses Interview geben. Allgegenwärtig sind mangelnde Phantasie und Kreativität, es dominieren Menschen, die sich ergeben haben, leider. Dabei können und wollen sie es anders. Diese geistige Enge ist überall und drückt sich in stupiden Routinen aus, im mangelnden Hinterfragen von Überflüssigkeiten, Verwaltungsballast und sinnentleerten Riten. Da heißt es: aufstehen, durchatmen und die Ketten sprengen.
Zur Person: |
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Dr. Bodo Antonić ist als Interimsmanager, Moderator und Speaker tätig. Er forscht und unterrichtet als Lehrbeauftragter der Hochschule Aalen in den Fächern Unternehmensführung, Absatzwirtschaft und Innovationsmanagement. Promoviert hat Antonić in Chemie. Er ist zudem ausgebildeter Verkaufsprozessberater und systemischer Coach. |
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