Fast die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland hat Interesse daran, den Arbeitgeber zu wechseln. Das geht aus der repräsentativen Jobstudie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmens EY hervor. Die EY-Jobstudie wird seit 2015 erhoben, aber noch nie war die Zahl der Wechselwilligen so hoch wie jetzt. Tendenziell sind Frauen und Arbeitnehmende aus der Dienstleistungsbranche wechselbereiter. Aktiv suchen allerdings nur wenige der Beschäftigten nach einem neuen Job bei einem anderen Unternehmen. Ob es in Deutschland zu einer Kündigungswelle, auch „the Great Resignation“ genannt, kommt, bleibt abzuwarten.
Von den 48 Prozent der mehr als 1550 Arbeitnehmenden, die an der EY-Befragung teilnahmen, schauen sich nur drei Prozent aktiv nach einer neuen Position um. 14 Prozent tun dies gelegentlich. Der Großteil der Wechselbereiten ist nicht abgeneigt, den Arbeitgeber zu verlassen, sollte sich eine Gelegenheit dazu ergeben (31 Prozent).
Warum würden Beschäftigte ihr Unternehmen verlassen?
Als Motivation für den Wechsel geben die meisten der Befragten das Gehalt an (58 Prozent). Auch die Suche nach interessanteren Arbeitsinhalte ist ein Grund dafür, dass Beschäftigte einen neuen Arbeitgeber suchen (34 Prozent), sowie das Streben nach generellen Weiterentwicklungsmöglichkeiten und dem Lernen neuer Qualifikationen (27 Prozent). Bei den drei meistgenannten Motiven zeigt sich laut der Studie kaum ein Unterschied zwischen Frauen und Männern. Bei weiteren erwähnten Gründen allerdings schon. Aufgrund von besseren Karrierechancen würden 27 Prozent der Frauen, aber nur 21 Prozent der Männer ihren Job wechseln, wegen der Unternehmenskultur 25 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer.
Den Wechselwilligen gegenüber stehen 22 Prozent der Beschäftigten, die sich eigenen Angaben nach sehr eng mit ihrem Arbeitgeber verbunden fühlen. 38 Prozent geben zudem an, in den nächsten fünf Jahren in derselben Position im Unternehmen bleiben zu wollen. Laut den Studienverfassern sind das so wenig wie noch nie, seitdem die EY-Jobstudie erhoben wird. Angst, ihren Job zu verlieren, haben wenige Wechselwillige und wenige unternehmensverbundene Mitarbeitende. 89 Prozent der Befragten halten ihre aktuelle Stelle für sehr oder ziemlich sicher.
„Wir beobachten, dass sich Beschäftigte immer stärker individuell entfalten wollen“, ordnet Jan-Rainer Hinz, Mitglied der Geschäftsführung sowie Personalleiter und Arbeitsdirektor von EY in Deutschland, die Studienergebnisse ein. „Gerade jüngere Berufstätige probieren sich heute häufiger aus. Unternehmen sollen ihnen die Möglichkeiten dafür geben.“
Frauen suchen eher nach Entfaltungsmöglichkeiten
Besonders Frauen haben laut den Studienergebnissen nicht das Gefühl, diese Entfaltungsmöglichkeiten in jeden Unternehmen zu haben. Während sich 12 Prozent der Männer in fünf Jahren in einer anderen Firma sehen, sind es bei den Frauen 18 Prozent. Genauso viele Frauen suchen derzeit aktiv nach einem neuen Arbeitgeber (bei den Männern sind das nur 16 Prozent). Das hat laut Hinz folgenden Grund: „Patriarchalische Verhältnisse in so manchem Unternehmen, die berüchtigte gläserne Decke, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Frauen stoßen oft auf ganz andere Hindernisse in Betrieben als Männer“, sagt er. Hinz rät Unternehmen deshalb, Diversität ernst zu nehmen und durch das Management vorzuleben. Dafür müsste auch der Gender Pay Gap geschlossen werden. Denn 38 Prozent der weiblichen Beschäftigten empfindet das Gehaltsgefüge in ihrem Unternehmen als ungerecht.
Enge Arbeitgeberverbundenheit in der Automobilbranche
Neben dem Geschlecht hängt die Wechselbereitschaft auch von der Branche ab. Besonders im Dienstleistungssektor (22 Prozent), der Handels- und Konsumgüterbranche (21 Prozent) sowie dem Maschinen- und Anlagenbau denken Mitarbeitende darüber nach, ihren Job zu ändern. Grund dafür sei die in den drei Sektoren im Branchenvergleich am geringsten ausgeprägte gefühlte Arbeitsplatzsicherheit.
Am wenigsten wechselbereit sind Mitarbeitende in der IT- sowie in der Automobilbranche (10 und 13 Prozent). In letzterer fühlen sich Mitarbeitende auch überdurchschnittlich mit ihrem Arbeitgeber verbunden: 32 Prozent der Arbeitnehmenden dieser Branche verspürt eine „sehr enge“ Verbundenheit mit dem Unternehmen. „Die starke Verbundenheit der Beschäftigten in der Automobilindustrie ist auch historisch gewachsen – die Werke der Hersteller bestimmen die Wirtschaftsstruktur ganzer Regionen“, sagt Markus Heinen, Leiter des Geschäftsfeldes Personalberatungsdienstleistungen bei EY in Deutschland. „Der Umbruch zur Elektromobilität und der Halbleitermangel werden die Branche allerdings noch vor erhebliche Herausforderungen stellen.“
Die Studienverfasser von EY bestätigen Ergebnisse aus einer Analyse des Jobportals Stepstone aus dem Sommer 2021 Auch die Analysten von Stepstone kamen zum Ergebnis, dass jeder zweite Arbeitnehmer oder jede zweite Arbeitnehmerin in die Jobsuche investieren will. Viele würden dabei auch einen Berufs- oder Branchenwechsel in Betracht ziehen. Die Suchanfragen auf StepStone.de nach dem Begriff „Quereinsteiger“ hätten sich allein im vergangenen halben Jahr mehr als verdoppelt. „Wir beobachten in diesem Jahr zudem eine deutliche Steigerung bei den Bewerbungen“, sagt der Stepstone-Arbeitsmarktexperte Tobias Zimmermann.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.