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KI: „Das ist keine Bedrohung, sondern eine Chance“

Anja Michael ist Vice President Global HR beim Softwarehersteller Avira und stellvertretende Leiterin der BPM-Fachgruppe
Anja Michael ist Vice President Global HR beim Softwarehersteller Avira und stellvertretende Leiterin der BPM-Fachgruppe „Strategisches Personalmanagement“. Zudem hat sie lange Jahre Erfahrung als tiefenpsychologischer Coach (Foto: Avira).

Personalwirtschaft: Frau Michael, alle reden von künstlicher Intelligenz. Wie weit verbreitet ist KI in der Personalarbeit?
Anja Michael: Viele HR-Bereiche stehen ganz am Anfang. Zwar nähern sich die Personaler dem Thema an, aber ihre Skepsis gegenüber dem Einsatz von KI überwiegt. Wir haben gerade eine Umfrage durchgeführt, nach der knapp 37 Prozent der Unternehmen KI noch gar nicht einsetzen. Und wenn sie es planen, dann vor allem zur Mitarbeitersuche und in der Administration. KI ist eine der wichtigsten Universaltechnologien unserer Zeit. Viele Personaler nutzen sie ja schon privat – etwa Siri oder Alexa. Personaler brauchen technische Experimentierfreude, sie müssen Machine Learning verstehen, ausprobieren und erleben. Trotzdem sollen natürlich auch Skepsis und gesunder Realismus ihren Platz haben.

Welche HR-Bereiche eignen sich am besten für KI?
Derzeit gibt es viele Anbieter von Recruitment-Software. Mindestens 100 Tools wurden dafür bereits entwickelt – die meisten kommen aus den USA. Sie unterstützen den Profilabgleich, die Optimierung von Stellenanzeigen und die Bewerbungsgespräche. Dazu gehören beispielsweise Chatbots, Sprach- und Stimmanalysen, Videointerview- Plattformen und Tools für das Matching.

Matching? Das bieten Online-Jobbörsen doch schon ewig an.
Das war früher nur ein simpler Abgleich von Stichwörtern, die die Bewerber und Recruiter vorher eingegeben haben. Diese Funktion auf Jobbörsen hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt, aber bei KI geht es um viel größere Datenmengen und -quellen. Alles, was im Netz über einen Menschen bekannt ist, alles, was er jemals im Internet veröffentlicht hat, lässt sich theoretisch analysieren und mit den Anforderungen abgleichen. Da können Millionen von Daten in Echtzeit ausgewertet werden.

Dürfen Arbeitgeber überhaupt alle Daten auswerten – auch private Bilder auf Facebook?
Nein, aber alles, was in Businessnetzwerken gepostet wird, dürfen die Tools analysieren. Man muss vorab mit dem Hersteller klären, welche Datenquellen sie durchforsten, um die neue Datenschutzverordnung EU-DSGVO zu erfüllen.

Auch eine Stimmanalyse würde ich mir als Bewerber nicht wünschen.
Eine Stimmanalyse als Persönlichkeits- und Eignungsdiagnose sehe auch ich sehr kritisch. Sie sollte meiner Ansicht nach nur mit vorheriger Zustimmung eines Kandidaten erfolgen. Das gilt genauso für die Speicherung solcher sensiblen Daten. Egal, was ein Tool leisten kann – am Ende des Tages braucht man einen Menschen, der die Ergebnisse bewertet, verantwortungsvoll damit umgeht und entscheidet, ob jemand ins Team und die Unternehmenskultur passt.

… und dieses Bauchgefühl hat eine KI nicht.
Aber sie ermöglicht eine effizientere Vorgehensweise beim Recruiting, sie ist objektiv, zuverlässig und schafft Zugang zu Kandidaten, die man mit traditionellen Tools wie Online-Stellenanzeigen, Headhunting oder Mitarbeiterempfehlungen nicht erreichen würde.

Sie sorgt dafür, dass gute Kandidaten nicht durch die subjektive Einschätzung eines einzelnen Menschen übersehen werden.

Auf der anderen Seite kann es passieren, dass ein Unternehmen einen hervorragenden Bewerber einstellt, den das Tool nicht mal zum Vorstellungsgespräch eingeladen hätte. Deshalb braucht man die Technik und den Menschen, die einander ergänzen.

Wie reagieren Kandidaten darauf, wenn sie durch KI angeworben werden?
Da waren wir selbst sehr überrascht. Wir haben mit 25 Studenten der Fakultät Personalwirtschaft und Business Governance der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gesprochen. Die sind alle um die 20 Jahre alt, haben eine gute Ausbildung und wollen als Individuum wahrgenommen werden. Dazu möchten sie mit einem Recruiter sprechen, nicht mit einer Maschine. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass diese jungen Menschen mit allem Digitalen viel selbstverständlicher umgehen als die ältere Generation.

Welche Aufgaben kommen auf die Personaler zu?
Zwei Themen werden den HR-Bereich beeinflussen: Zum einen müssen Personaler ein tieferes psychologisches Wissen aufbauen, um Verhaltensweisen, Motivlagen, Antriebe und Erwartungen der Menschen zu verstehen. Dazu benötigen sie eine hervorragende Beziehungsgestaltungskompetenz.

Und das zweite Thema?
Sie müssen ein technisches Verständnis entwickeln und ohne Scheu mit neuen Tools experimentieren: Wie wirkt KI? Wie erkennen wir, dass KI im Spiel ist? Welche Datenbasis steckt dahinter? Und wie lernt die Maschine? Dazu braucht man Techniker und Business – analysten, die sich mit Tools, Technologien, Businessintelligence und People Analytics auskennen. Mit künstlicher Intelligenz wird HR nicht nur von der IT ins Boot geholt, sondern HR wird selbst zum Motor der digitalen Transformation. Das ist keine Bedrohung, sondern eine Chance.

Jubiläum: Zehn Jahre Personalmanagementkongress

Fünf Keynotes und mehr als 100 Referenten – das erwartet die Besucher beim zehnten Personalmanagementkongress in Berlin. Am 25. und 26. Juni 2019 werden über 1500 Teilnehmer erwartet, um neue Strategien in der HR-Arbeit zu diskutieren und zu entwickeln. „Auch digitale Arbeit muss gute Arbeit sein“ heißt es in der Eröffnungskeynote, die Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, am Dienstag um 9.30 Uhr hält.

Die Vorträge decken die gesamte Bandbreite von Personalthemen ab – vom Recruiting in Zeiten des Fachkräftemangels über Employee Experience und Lifecycle bis hin zu New Work. In interaktiven Sessions können die Besucher Lösungen gleich selbst ausprobieren, beispielsweise das Job Dating.

Dann geht es auf Tour: Die Teilnehmer können sich bei unterschiedlichen Unternehmen vor Ort ein Bild von den neuen Führungs-, Organisations- und Personalstrategien machen. Tandemploy beispielsweise gibt praktische Impulse, wie der Wandel von der Hierarchie zu einer Netzwerkorganisation gestaltet werden kann. Und Idealo, Betreiber der gleichnamigen Preisvergleichsplattform, offenbart, warum Führungspositionen doppelt besetzt werden und welche Vorteile sich dadurch für die Mitarbeiter ergeben.

Die Initiatoren der Spendenplattform Betterplace ihrerseits wollen auch firmenintern Gutes tun: Die Aufgaben, die traditionell den Chefs und Chefinnen vorbehalten sind, werden in den Teams verteilt. Das Credo: Wenn Haltung und Kompetenzen stimmen, lassen sich Prozesse und Strukturen leicht anpassen. Last, not least lernen die Kongressbesucher auf einer „New Work Tour“ mit dem Bus Firmen der Hauptstadt kennen und erhalten Handlungsempfehlungen für den Einsatz im eigenen Unternehmen.

Datum: 25./26. Juni 2019
Ort: BCC Berlin
Kosten: 1590 Euro (Standard), 1290 Euro (BPM-Mitglieder)
Weitere Infos und Anmeldung unter › www.personalmanagementkongress.de


Dieses Interview ist in Ausgabe 06/2019 der Personalwirtschaft erschienen. Das gesamte Heft finden Sie in unserem › Shop