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König Fußball regiert die Unternehmenswelt

Nach der Arbeit zum Public Viewing? Dann das Fanshirt am besten gleich unter dem Anzug tragen; Bild: gustavofrazao/Fotolia.de
Nach der Arbeit zum Public Viewing? Dann das Fanshirt am besten gleich unter dem Anzug tragen; Bild: gustavofrazao/Fotolia.de

Wenn bei der Fußball-EM der Ball rollt, droht ein Interessenkonflikt:
Mitarbeiter wollen die Spiele sehen, Arbeitgeber wollen die Produktion am
Laufen halten. Doch das Großereignis bietet auch die Chance, den betrieblichen Teamgeist zu
stärken. Wie gehen Unternehmen damit um, wenn König Fußball regiert?

Ab dem 10. Juni wetteifern Kicker aus 24 Nationen wieder um den begehrten Europameistertitel. Wenn die mit Stars gespickten Mannschaften dem Ball hinterherlaufen, wird auch in Unternehmen inbrünstig mitgefiebert. Tippspiele heizen die Stimmung kräftig an: Darf sich der Gewinner bei der Münchner Agentur Schwartz PR darauf freuen, im nahe gelegenen Bistro vier Wochen kostenlos zu speisen, lobt das auf Online-Arztbuchung spezialisierte Start-up Doctolib als Hauptpreis eine Fußmassage aus. Schließlich müssen die Mitarbeiter in der Aufbauphase des Unternehmens noch die ‚Extra-Meile‘ gehen. Beim Geisenhausener Softwarehaus Adito winkt als Hauptpreis ein Amazon-Gutschein.

Gemeinsames Anfeuern

Auch beim Personaldienstleister Page Group wird an allen Standorten getippt. Wer gewinnt, darf sich auf eine Flasche des offiziellen EM-Champagners (Hédiard Grand Cru Cuvée Blanc) freuen. Wie Geschäftsführer Goran Barić mitteilt, wird jeder Mitarbeiter zudem mit einem Fan-Paket aus Deutschland-Fähnchen, Fan-Schminke und Blumenkette ausgestattet – selbstverständlich auf Firmenkosten. Geplant ist, die Deutsche Mannschaft beim letzten Vorrundenspiel gegen Nordirland beim Public-Viewing im Kreise der Kollegen anzufeuern. Das will auch Microsoft seinen Mitarbeitern in Unterschleißheim ermöglichen – bei Snacks und Getränken im firmeneigenen Café.

Laut einer aktuellen Studie der Personalberatung Robert Half begrüßt jeder zweite Personalchef Maßnahmen zur Mitarbeitermotivation während der EM. Solche Steilvorlagen für das Teambuilding sind aber nicht die Regel. Bei der Überlegung, wie man die Bedürfnisse vieler Mitarbeiter mit betrieblichen Erfordernissen in Einklang bringen könnte, überwiegen oft juristische Bedenken. „Das Arbeitsrecht macht keine Spielpause“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung des Bayerischen Unternehmensverbands Metall und Elektro e.V. (bayme). Fußballbegeisterte Mitarbeiter hätten keinerlei Anspruch, ausgewählte Spiele zu sehen und dafür ihre Arbeit ruhen zu lassen. Auch Schichten zu verschieben käme nicht in Frage.

Unternehmen können nicht ihre Arbeitsplanung danach ausrichten, wann sich Jogis Jungs mit einem anderen Top-Team messen,

betont Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Harter Tobak.

Problematische Anstoßzeiten

Das kann man auch anders beurteilen. Zunächst die Fakten: In Frankreich wird vorläufig jeden Tag gekickt, die Spiele beginnen jeweils um 15, 18 und 21 Uhr. Nach der Vorrunde wird nur noch in den Abendstunden angepfiffen. Dennoch fragen sich viele Fans, ob sie rechtzeitig zuhause oder bei einem Public-Viewing-Event sein können. Besonders betroffen sind Beschäftigte, die in Spätschichten arbeiten.

Ulrike Augustin, Arbeitsrechtsexpertin der IHK für München und Oberbayern, plädiert deshalb für „einvernehmliche Lösungen“. Beispielsweise dürften Fußballfans früher Feierabend machen und die fehlende Arbeitszeit an einem anderen Tag nachholen. Oder sie bauten an Spieltagen ihre Überstunden ab. „Nach den Erfahrungen früherer Fußball-Großereignisse werden in den meisten Unternehmen pragmatische Regelungen gefunden“, ist sich die Juristin sicher.

Bestens gerüstet zum Anfeuern: Mitarbeiter von Schwartz PR; Bild Schwartz PR
Bestens gerüstet zum Anfeuern: Mitarbeiter von Schwartz PR; Bild Schwartz PR

In den Logistikzentren von Amazon dürfen Mitarbeiter die Spiele in der Kantine und den Pausenräumen verfolgen. Laut Personalchef Robert Marhan erweist sich die Firma bei Urlaubsanträgen, Pausenregelungen und Schichtwechseln ziemlich großzügig. „So viele Fans wie möglich sollen bei den Spielen ihrer Mannschaft mitfiebern können.“ Bedingung: Der Kunde leidet nicht darunter. Schließlich sollen dringend benötigte Fanartikel oder TV-Geräte „pünktlich zum Anpfiff“ ihr Ziel erreichen.

Beim Autobauer BMW hatte man bei der WM vor zwei Jahren zahlreiche interne Public-View-Events ermöglicht. Das erübrige sich nun, betont Personalsprecher Jochen Frey. „Weil spannende Spiele gegen Ende der Spätschicht stattfinden, wird es eher Schichtverkürzungen geben.“ Prinzipiell gibt das Management grünes Licht, dass ab dem Achtelfinale bei Beteiligung der deutschen Nationalmannschaft Schichten verkürzt oder unterbrochen werden können. Laut Frey hänge das davon ab, dass Produktionsziele ungefährdet seien und die ausgefallene Produktionszeit nachgeholt werden könne.

Wie flexibel ist der Betrieb?

In kleinen Betrieben ist man verständlicherweise viel flexibler. Arbeitszeit umdisponieren, Urlaub beantragen – Agenturchef Christoph Schwartz von Schwartz PR hält das für überflüssig. „Wenn ein Spiel der deutschen Mannschaft während der Arbeitszeit stattfindet, darf es jeder im dafür reservierten Konferenzraum verfolgen.“

Ein solches Entgegenkommen ist jedoch in einem weltweit operierenden Unternehmen wie der Düsseldorfer Gerresheimer AG kaum möglich. Allein 20 europäische Produktionsstandorte arbeiten an 365 Tagen rund um die Uhr im Schichtbetrieb. Betriebliche Anforderungen nach Qualität, Leistung und Sicherheit und persönliche Ansprüche jedes einzelnen Mitarbeiters zusammenzubringen, erinnert an die Quadratur des Kreises. Dennoch haben die Verantwortlichen um Personalchef Thomas Perlitz eine tolle Lösung gefunden: die „Gerresheimer Fußball-WM“. Ende Juni wird sie im polnischen Boleslawiec bereits zum 15. Mal veranstaltet. Um den Sieg kämpfen zwei Damen- und zwölf Herrenteams aus internationalen Standorten.

„Natürlich sorgen wir dafür, dass während des Turniers die EM-Spiele gesehen werden können“, freut sich Perlitz. Und bekräftigt damit ein weiteres Ergebnis der Robert-Half-Umfrage: Wenn Fußballspiele im Kollegenkreis geschaut werden, sehen rund 90 Prozent der befragten Personalchefs darin erhebliche Vorteile für Zusammenhalt und Motivation.

Autor:
Winfried Gertz, freier Journalist, München

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