Sie haben zunächst Medizin studiert. Warum ist aus Ihnen doch kein Humanmediziner geworden?
Siregar: Hätte ich mich damals nicht dazu entschieden, katholischer Geistlicher zu werden, wäre ich sehr gerne Humanmediziner geworden. Mich fasziniert die ganzheitliche Frage nach dem Menschen. Insofern gibt es eine tiefe Verwandtschaft zwischen beiden Wissenschaften, Berufen und Berufungen. Ich hatte mich damals für die Theologie entschieden, weil sie für mich persönlich noch umfassender und über die Lebenszeit hinaus diese Frage nach dem Menschen und dem Leben stellt.
Wie kam es dazu, dass Sie zehn Jahre an der Päpstlichen Universität in Rom studierten und Doktor der Theologie wurden? Mit welchem Blick schauen Sie auf den heutigen Zustand der Kirche?
Mein damaliger Bischof von Osnabrück hatte mich nach Rom geschickt. Aus nahezu jedem deutschen Bistum waren ein oder zwei Priesteramtskandidaten im Päpstlichen Kolleg Germanicum et Hungaricum. Dort durfte ich zehn Jahre lang Weltkirche und unter anderem Johannes Paul II. erleben. Das, was die heutige Kirche durchlebt, erscheint mir wie existenzielle (Be-)Reinigung. Es geschieht so etwas wie eine Reduktion auf das Wesentliche, das geht an keinem Menschen innerhalb und auch außerhalb der Kirche vorbei. Und es trennt sich Sein von Schein. Genau das aber wäre für die ganze Gesellschaft recht hilfreich.
Ihre Dissertation trägt den Titel „Sittlich handeln in Beziehung. Geschichtliches und personales Denken im Gespräch mit trinitarischer Ontologie“. Können Sie eine Kurzzusammenfassung in maximal drei Sätzen geben?
Das geht am besten mit dem Begriff der „Perichorese“. Ursprünglich ist das ein griechischer Springtanz, bei dem drei Tanzpartner ihren Platz verlassen, um dem jeweils nächsten Tanzpartner Platz zu machen. Nur weil das alle drei gleichzeitig machen, gelingt ein solcher Tanz, sonst gäbe es Zusammenstöße. Ich gebe freiwillig meinen (Lebens-)Raum auf, damit ein anderer leben kann, erhalte aber von wieder einem anderen meinen neuen (Lebens-)Raum. Dieses Bild ist ein Bild für Gott, für die Trinität, ein Bild für lebendige Kirche und ein Bild für jegliches erfolgreiches Managementteam in der Wirtschaft.
Sie arbeiteten sich bei Fielmann vom Ausbildungsleiter bis zum Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor hoch. War das Weitblick, vielleicht sogar geplant?
Das konnte gar nicht geplant werden. Ich habe da vielen Menschen sehr viel zu verdanken, allen voran Günther Fielmann selbst, der etwas in mir gesehen hat, was ich selbst im Zusammenhang mit einer möglichen Karriere in der Wirtschaft noch nicht sehen konnte.
Welche Projekte liegen derzeit auf Ihrem Tisch?
Claas ist ein großer Kleiner gewesen, ist jetzt schon lange ein kleiner Großer. Und Claas wächst, entwickelt sich zu einem Landtechniker mit digitaler Aussagekraft und verwandelt sich vom multinationalen zu einem internationalen Unternehmen. Deswegen führen wir in unserer größten Business Unit eine Matrixorganisation ein, wir arbeiten an einer darauf abgestimmten Human Resources Road Map und an der digitalen Transformation unseres Unternehmens.
Ihr vielfältiges Engagement zeigt, dass Sie ein Faible für Ethik und Verantwortung haben. Kommen diese Werte heutzutage in der Geschäftswelt zu kurz?
Einerseits kommen diese Werte immer zu kurz. Andererseits sehe ich an vielen Stellen und in vielen Kollegen und Mitarbeitern eine scharfe und bewusste Wahrnehmung dieser Problematik, erlebe starkes persönliches Engagement und durchaus auch Arbeiten im Verborgenen. Neuerdings hat mir einer unserer Topmanager den Begriff der „Achtsamkeit“ nahegebracht, und auch im Umfeld unserer Betriebsräte und Gewerkschaften wird dieses Thema stark fokussiert. Hier können wir sozialpartnerschaftlich sehr viel gestalten. Das passiert nicht nur bei Claas, sondern an unendlich vielen Stellen in unserer Gesellschaft. Ich habe da sehr viel Hoffnung. Es nützt wenig, immer nur das Negative zu sehen, viel besser ist es, das Positive zu tun.
Welche zentralen Lehren aus Ausbildung und Studium haben Ihnen im Berufsleben wirklich weitergeholfen?
Entscheide nie aus einer Ad-hoc-Emotion heraus. Besprich dich mit Menschen, die zu dir stehen und nicht nach deinem Mund reden. Höre auf deine innere Stimme und bleibe bei dieser Intuition.
Gibt es auf Ihrem beruflichen Weg eine(n) Mentor(in)?
Klaus Demmer, Hans-Josef Tymister, Fredmund Malik
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David Schahinian arbeitet als freier Journalist und schreibt regelmäßig arbeitsrechtliche Urteilsbesprechungen, Interviews und Fachbeiträge für die Personalwirtschaft.