Personalwirtschaft: Herr Schmidt, noch immer sitzen deutlich weniger Frauen in den Vorständen und Chefsesseln deutscher Unternehmen als Männer. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Nils Schmidt: Das ist vielleicht eine Plattitüde, aber: Deutschland tut sich in mancherlei Hinsicht schwer mit Veränderung. Und diese spezielle Veränderung greift die Grundfesten vieler tief verwurzelter Einstellungen an. Hierzulande war das Führungsressort seit ewigen Zeiten in männlicher Hand, und den Männern fällt es schwer, loszulassen, zu teilen und abzugeben. Sie wollen nicht akzeptieren, dass Führung nicht ausschließlich eine männliche Aufgabe ist und dass diverse Führung das Beste ist, was uns passieren kann. Viele ältere weiße Männer haben das noch nicht verstanden. Grundsätzlich muss sich auch unser Bild von einer Führungskraft ändern
Was war am bisherigen Verständnis von Führung denn falsch?
Früher hieß es: „Die Führungskraft hat immer recht, ist immer erreichbar und hat die Kontrolle.“ Hier hat sich enorm viel durch die Pandemie getan. Auf einmal mussten Führungskräfte empathisch sein, auf Distanz moderieren und mehr vertrauen. Das sind Fähigkeiten, die nicht von bestimmten Gruppen gepachtet sind, weder von Männern, Frauen oder irgendeiner anderen.
Inwieweit hatten die vergangenen zwei Jahre Auswirkungen auf Frauen in Führungspositionen?
Ich sehe weder eine Verschlechterung noch eine echte Verbesserung. So setzt sich unsere Mitgliedschaft immer noch größtenteils aus Männern zusammen. Auch Sprecherausschüsse sind trotz zunehmender weiblicher Besetzung weiterhin männlich dominiert. Aber es gibt auch Fortschritte. Durch vermehrtes mobiles Arbeiten haben männliche Chefs in der Pandemie gelernt, dass Führungsverantwortung und Familienleben miteinander vereinbar ist. Wir könnten allerdings nach zwei Jahren schon viel weiter sein. In der Pandemie haben wir die Möglichkeiten dafür geschaffen, aber setzen sie nicht wirklich um.
Warum fand kein echtes Umdenken statt?
Deutschland ist in dieser Hinsicht einfach sehr langsam. Dabei sollten wir doch jetzt gelernt haben, dass es keine Rolle spielt, von wo aus ich führe oder wer zu Hause für welche Aufgabe zuständig ist. Doch diese Einstellung muss noch in den Köpfen ankommen. Noch ist der Weg zur gleichberechtigten Führung also weit.
Welche Strategien können Unternehmen in der Zwischenzeit anwenden, um erfolgreich weibliche Nachwuchsführungskräfte aufzubauen?
Die Unternehmen, die es richtig machen, geben sich ganz anders nach außen. Es sind oft die kleinen Dinge, zum Beispiel das kontrovers diskutierte Thema Gendern. Unternehmen müssen davon wegkommen, nur Männer anzusprechen. Wird das geändert, regen sich ja auch überwiegend Männer darüber auf, als wäre jetzt alles vorbei mit der deutschen Sprache. Dabei reden wir ja auch nicht mehr wie in Goethes Zeiten.
Was kann die Außenrepräsentation verbessern?
Wirklich diverse Unternehmen sprechen alle Menschen an. Aber nicht als Marketingmasche, es ist eine Selbstverständlichkeit, die von innen nach außen wirkt. Gerade konservative Unternehmen präsentieren sich immer noch sehr männlich, zum Beispiel in Unternehmensfotos. Hier ist wichtig, allgemeine Diversität zu zeigen – nicht nur bestimmte Personengruppen wie Männer und Frauen, sondern alle möglichen. Wir müssen auch damit aufhören, Führungskräfte nur mit stereotyp männlich besetzten Themen anzuwerben. Ein klassisches Beispiel: der dicke Dienstwagen als Benefit.
Eine weiterhin sehr von männlichen Führungskräften geprägte und gleichzeitig vom Fachkräftemangel stark gebeutelte Branche ist die IT. Hier kann von einer konservativen Kultur ja eigentlich nicht die Rede sein. Warum also haben es Frauen hier so schwer, ein- und aufzusteigen?
Ich lehne mich jetzt sehr weit aus dem Fenster: Die Jungen sind in der Tech-Branche die neuen Alten. Sie machen das nach, was sie eigentlich ablehnen. Unbewusste Vorurteile sorgen dafür, dass beim Recruiting und bei Beförderungen nur die Leute berücksichtigt werden, die einem selbst ähnlich sind. Überlegt man, ein IT-Unternehmen zu gründen, fällt die Wahl auf einen der Buddies statt auf eine Frau. Die Branche ist eigentlich offen für alle, ist aber durch diese Berührungsängste immer noch sehr männerdominiert.
Was ist Ihr Rat für eine diverse Führungskräfteentwicklung, die auch Gleichberechtigung stärkt?
Erstmal sollte es überhaupt eine Führungskräfteentwicklung geben. Das findet in vielen Unternehmen ja gar nicht statt. Führung ist da oft die nächste Hierarchiestufe. Doch wer hier landet und nicht weiß, wie mit Personalverantwortung umzugehen ist, kann sehr viel Schaden anrichten.
Wird die Aufgabe von Führungskräften unterschätzt?
Führung ist ein Beruf, den niemand gelernt hat. Und wenn wir berücksichtigen, dass es viel Arbeit ist, sich diese Fähigkeiten anzueignen, dann sehen wir auch, dass es keinen Unterschied macht, ob diese Person ein Mann oder eine Frau ist. Führung ist mittlerweile vielfältiger als noch vor zehn Jahren. Das macht die Gesamtaufgabe komplexer – aber auch einfacher, neue Dinge auszuprobieren.
Und wie kann das konkret geschehen?
Statt sich hinzusetzen und zu überlegen, wie Frauen besser anzusprechen sind, sollte die grundsätzliche Einstellung überarbeitet werden.
Statt Diversity-Trainings also besser an die Wurzel der Unternehmenskultur gehen?
Das ist oft nur reines Pinkwashing. Das ist zu wenig. Es muss mehr investiert werden, um die Einstellung in den Köpfen wirklich zu ändern.
Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Managemment und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit HR-Technologie und Diversity.