Kennen Sie folgende Situationen aus Ihrem Arbeitsalltag? Sie sind zu einem Teams-Termin mit einem Neukunden verabredet. Einer Ihrer Mitarbeiter hat seine Teilnahme zugesagt, um seine Expertise im Gespräch einzubringen. Weil Sie bislang den Lead in der Beziehung zum Neukunden hatten, starten Sie nach einer kurzen Vorstellung das Fachgespräch und bringen Ihre Lösungsansätze und Erfahrungen ein. Im Gesprächsverlauf ist die Expertise Ihres Mitarbeiters gefragt, doch dieser schweigt. Damit keine peinlichen Pausen entstehen, füllen Sie die Lücken. Doch: Am Ende fehlt der Besprechung die Expertise und der Input des Kollegen. Drei Wochen später erfahren Sie, dass der Auftrag anderweitig vergeben wurde.
Das Beispiel zeigt: Vor allem Führungskräfte brauchen ein Bewusstsein über mögliche Performancerisiken in der virtuellen Zusammenarbeit. So kann ein virtuelles Gespräch adäquat vorbereitet werden und alle Teilnehmenden können ihre Potentiale entfalten.
Nicht in den Rückspiegel blicken
Wie hätte eine Situation wie die eben beschriebene verhindert werden? – Leider wird zu oft nach hinten geschaut, und es ist (noch) keine betriebliche Praxis, Frühindikatoren für Innovation und Ertragskraft in der hybriden Arbeitswelt einzusetzen. Doch es lohnt sich, den Blick dafür zu schärfen. Das Tableau zeigt Frühindikatoren für einige personelle und organisatorische Risiken, die es in der virtuellen Zusammenarbeit gibt und die sich auf Innovationskraft und Geschäftserfolg auswirken.

- Kooperationsrisiken resultieren zum Beispiel aus mangelnder Rollenklarheit in virtuellen Meetings, nicht ausreichender Sichtbarkeit der Akteure, unzulänglichem Selbstmanagement oder geringeren Karrierechancen.
- Motivationsrisiken werden unter anderem durch Mangel an Committment oder virtuellem Präsentismus sowie geringem Beteiligungswillen deutlich. Dies werden verstärkt, wenn Mitarbeitende den Sinn in der hybriden Arbeitswelt wegen eng getakteter Meetings nicht ausreichend verinnerlichen, ihre Rolle nicht verstehen oder ihnen das Gefühl der Machbarkeit fehlt.
- Kompetenzrisiken entstehen unter anderem durch zu wenige Lernaktivitäten, keine lernförderlichen organisatorischen Rahmenbedingungen oder zu geringe Fähigkeiten im Umgang mit den Tools für virtuelle Zusammenarbeit.
„Werden Risiken in der hybriden Arbeitswelt vorzeitig und mit Frühindikatoren erkannt, so bietet sich die Chance, den Wirkungsgrad mit Performancedialogen deutlich zu erhöhen. Werden sie ignoriert, so gefährdet das den Erfolg.“
Dr. Ulrich G. Schnabel
Frühindikatoren als Basis
Im obigen Beispiel gab es im Vorfeld der Projektbesprechung keinen ausreichenden Dialog zwischen den Kollegen. Die Vorbereitung erfolgte virtuell, beschränkte sich auf rein verbale Kommunikation, ergänzt um ein paar fachliche Botschaften per E-Mail. Leistungsmotive, die Fachkompetenz, die erwarteten Handlungen des Kollegen und gemeinsame Ziele wurden ebenso wenig besprochen wie Ängste, Bedenken und sonstige Hemmnisse des Kollegen. Auch konnten aufgrund der fehlenden non-verbalen Kommunikation keine „Warnsignale“ empfangen werden.
Zur Vor- und Nachbereitung einer virtuellen Zusammenarbeit sind Performancedialoge. Zu empfehlen. Dabei nutzt die Führungskraft Kompetenzen zum Erwartungsmanagement sowie Feedback-, Reflexionstechnik und Coachingmethoden. Im Vorhinein können mögliche Risiken und Werttreiber herangezogen und im Dialog besprochen und spezifiziert werden sowie präventiv geeignete Abhilfemaßnahmen eingeleitet werden.
Hätten also die Kollegen in unserem Beispiel diese im Bewusstsein gehabt, so hätten sie aus den Perspektiven Kooperation, Motivation oder Kompetenz im Vorfeld Lösungsansätze besprechen können. Im Nachhinein hätte die Person im Lead in einem Performancedialog ein Feedbackgespräch zum Verhalten im Team, einen Review zum Ergebnis oder eine Retrospektive zur Zusammenarbeit initiieren können. Ziel ist dabei immer, die virtuelle Leistungserbringung für den Kunden zu verbessern.
2 x 30 Minuten für mehr Performance
Um mehr Performance zu erzielen, sind zwei halbstündliche Dialoge sinnvoll:
- 1. Zur Vorbereitung eines virtuellen Vorhabens, spricht im Performancedialog die Führungskraft die Werttreiber oder Performancerisiken im Team an. Wenn Leistungserwartungen geäußert und festgestellt werden, können diese und deren Ursache-Wirk-Beziehungen zu Innovation und Geschäftserfolg reflektiert werden. Mit diesem Wissen im Hinterkopf können Ex-ante Impulse gesetzt, die Werttreiber fokussiert sowie der Status quo, die Ziele, Ressourcen und Leistungsvoraussetzungen sowie die Rolle der Mitwirkenden reflektiert werden. Im Dialog werden frühzeitig und präventiv die Voraussetzungen und Ressourcen für den Erfolg erarbeitet. Es werden der Sinn, die Verstehbarkeit und Machbarkeit für das konkrete virtuelle Vorhaben im Team vermittelt und die Orientierung gezielt gefördert. Bedürfnisse und Motive werden transparent geäußert, für Emotionen proaktiv Antworten gesucht, Kompetenzen geklärt oder Entwicklungspläne und Zielvorstellungen skizziert.
- 2. Nach einer Leistungserbringung im virtuellen Raum erfolgen die Dialoge unmittelbar danach. Nur dann sind sie wirksam. Es werden Impulse für das Lernen aus Fehlern gesetzt, Verbesserungen angestoßen und verbindlich vereinbart sowie der Fortschritt im Team fokussiert. Damit werden in der virtuellen Arbeitswelt das Feedback institutionalisiert und der Blick unter den Akteuren direkt auf das gelenkt, was gelingt und was verbessert werden sollte.

Performancedialog in fünf Schritten
- 1. Impuls geben: Der Performancedialog beginnt mit einem Impuls, um die Gesprächspartner zu aktivieren und für ein Thema zu gewinnen. Sie tauschen sich dabei über das Vorhaben in einem lockeren Warm-up aus und machen die Dringlichkeit deutlich. Sie holen sich von Ihren Gesprächspartnern die Bereitschaft ab, sich jetzt über Themen der virtuellen Kooperation auszutauschen. Dabei haben Sie die Werttreiber und Frühindikatoren im Hinterkopf und wissen, worauf Sie hinaus möchten.
- 2. Werttreiber fokussieren: Das Fokussieren auf die Werttreiber und Frühindikatoren dient dem Ziel, ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Wissensbasis zu den Inhalten der virtuellen Kooperation zu schaffen. Die Werttreiber und deren Relevanz für das bevorstehende Projekt spricht die Person im Lead an. Dann kann darüber diskutiert werden, und es können herausfordernde fachliche Motive, Inhalte, Ziele und auch Emotionen angesprochen werden, beispielsweise: Wie verstehen Sie das Vorhaben inhaltlich?, Um was sollte es aus Ihrer Sicht gehen?, Welchen Nutzen stiftet das Vorhaben dem Kunden und uns?, Sind Sie glücklich über den bisherigen Verlauf des Vorhabens?, Welche Werttreiber sind besonders wichtig, wenn wir an das bevorstehende Projektgespräch mit dem Kunden denken?, Welche Rollen brauchen wir bei dem bevorstehenden virtuellen Projektgespräch?
- 3. Feedback annehmen: Feedback zum Verhalten geben und nehmen ist in virtuellen Teams eine hohe Kunst. Wer das erlernt hat, kann damit Schritt für Schritt zu gegenseitiger Offenheit und Vertrauen kommen. Abweichungen, Fehler oder Missstände können angesprochen werden, ohne dass jemand Angst vor Schuldzuweisungen und Repressalien haben muss und sich gezwungen fühlt, sich zu rechtfertigen. Beim Feedback zu Abweichungen könnten die Person im Lead und das Team beispielsweise in kurzen Sätzen zurückmelden, was sie konkret erlebt haben oder was ihnen in der virtuellen Zusammenarbeit besonders gut gelungen ist.
Im Feedbackdialog geht es um die Zukunft, Verbesserungsansätze und deren Umsetzung. Sie initiieren also eine positive motivierende Dynamik, statt eine Spirale nach unten aus Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen auszulösen. Auf dieser Basis sind mehr Mitarbeitende bereit, eigene Fehler und Schwächen oder Verbesserungsvorschläge zu thematisieren. So kann das Team beschließen, wer zukünftig was in welcher Rolle macht und wie sich die Teammitglieder samt Führung gegenseitig am besten unterstützen können. - 4. Reflexion auslösen: Um die Motivation in virtuellen Vorhaben lebendig zu halten, empfehlen wir, sich regelmäßig in Performancedialogen über gemeinsame Ziele und Aufgaben sowie deren ertragskritische Werttreiber auszutauschen. Die Prioritäten werden in der Reflexion an die aktuellen Notwendigkeiten und die Bedürfnisse der Kunden angepasst. Im Rahmen der Reflexion spricht überwiegend das Team und nicht die Person im Lead. Letztere sollte vor allem aufmerksam zuhören. Der Beitrag der Führungsrolle zum Gespräch hat nur ein Ziel: das Team oder die Mitarbeitenden durch Nachfragen anzuregen, das Problem, seine Ursachen und eine Lösung herauszuarbeiten. Nutzen Sie dazu die Themen des Tableaus. Achten Sie auf Betonungen, und haken Sie dort sofort ein, beispielsweise durch Fragen wie: Warum war oder ist das virtuelle Vorhaben für Sie wichtig?, Was sind Ihre Erwartungen in ähnlichen Situationen?
- 5. Zukunftsimpuls geben: Die Führungskraft setzt den Impuls, indem sie mit dem Blick aus der Zukunft fragt: Angenommen wir hätten ein erfolgreiches Vorhaben durchgeführt, was hätten wir dann wie gemacht?, Angenommen wir hätten den Projektauftrag erhalten, welche Voraussetzung hätten wir dafür im Vorfeld erfüllen müssen?, Denken Sie an die hybride Arbeitswelt der Zukunft: Wo wollen wir in fünf Jahren stehen?
Die Führungskraft lebt ein „Growth Mindset“ vor
Wie das Beispiel zeigt, sieht die Realität oft anders aus. Die Fehlerkultur ist eher destruktiv: Wird ein Fehler begangen, folgt kein konstruktiver Performancedialog, sondern es wird ein Schuldiger gesucht. Dieser sucht Rechtfertigungen. Es entsteht eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit, in der das Risiko für neue Fehler enorm steigt. Es besteht kein Vertrauen, über Fehler offen zu sprechen. Lernchancen werden vertan.
Der Performancedialog hat eine andere Logik. Das Mindset ist auf Fortschritt und Verbesserung statt auf Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen ausgerichtet. Die Kultur des Teams ist durch Verantwortung für den Erfolg und Lernen statt durch Macht und Rechthaberei gekennzeichnet. Weicht jemand von den Erwartungen ab oder macht einen Fehler, so wird im Team vor dem Hintergrund des Fehlers nach dem Lernziel oder dem Verbesserungsansatz gesucht. Teammitglieder übernehmen dafür in ihrer Rolle die Verantwortung, kommen umgehend ins Handeln und Gestalten.

Führen Sie bewusst mit Frühindikatoren für die Innovations- und Ertragskraft, statt mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen, die nur die Vergangenheit abbilden. Bereiten Sie virtuelle Leistungserbringungen aus den Perspektiven Kooperation, Motivation und Kompetenz mit Fokus auf die Werttreiber gut vor. Stellen Sie sicher, dass alle Beteiligten mitdenken, den Kontext und die Bedeutung der Aufgaben verstehen, an Lösungen mitgestalten, so dass sie es aus ihren jeweiligen Rollen heraus verantworten und als sinnvoll erachten. So können alle sicher sein, dass es auf ihre Bedürfnisse einzahlt und einen Wertbeitrag zum Ganzen leistet.
Die Entwicklung funktionierender virtuellerer Teams braucht Führungsrollen, die Zukunftsimpulse setzen, Feedback geben und annehmen sowie Reflexionsgespräche im Team auslösen. Geht mal etwas schief, dann reflektieren Sie in Feedbackgesprächen das Verhalten, in Reviews die Ergebnisse und in Retrospektiven den Prozess der Zusammenarbeit. In der hybriden Arbeitswelt sind Sie als Führungskraft Vorbild für agile Lernkultur und „Growth Mindset“.
Autor
Dr. Ulrich G. Schnabel ist seit mehr als 20 Jahren Transformationsbegleiter und Organisationsberater sowie Führungs- und Organisationsforscher am Fraunhofer IAO in Stuttgart. Er ist Coach und Trainer für Teams und Führungskräfte sowie Mediator für Konfliktparteien. An der Hochschule für Technik und Wirtschaft ist er Lehrbeauftragter für Führung, Organisationsgestaltung und Transformation.
In seiner Kolumne „Organisationen neu denken!“ blickt Dr. Ulrich G. Schnabel in die Zukunft. Er skizziert, wie Unternehmen ihre Organisation und Führungspraxis sowie die Transformation vor dem Hintergrund der Demographie, digitalen Revolution, ökologischen Nachhaltigkeit und starker Dynamik zukunftssicher ausrichten können.