Personalwirtschaft: Herr van Dick, wie genau wird Mitarbeiterbindung in der Forschung definiert?
Rolf van Dick: Die Definition von Mitarbeiterbindung kann man von zwei Seiten angehen. Zum einen kann man sich ihr mit dem englischen Begriff „Organizational Commitment“ annähern. Die Sozialpsychologie unterteilt diese Art der Bindung in drei Formen: Zum einen gibt es das fortsetzungsbezogene Commitment, das beschreibt, dass ich bei einer Organisation bleibe, weil ich muss – entweder aufgrund des Jobmarkts, aus finanziellen Gründen oder wegen bestimmter Benefits. Die zweite Form des Commitments – das normative – wird dadurch hergestellt, dass ich mich an das Unternehmen aufgrund eines Loyalitätsgefühls binde. Die dritte Form von Commitment ist das affektive Commitment. Unter diese Art der Bindung fallen Menschen, die ihrer Organisation treu bleiben, weil sie es möchten und weil sie gerne im Unternehmen sind.
Welche Art des Commitments ist am stärksten?
Es kommt darauf an, was man mit der Bindung erreichen möchte. Das affektive Commitment vergrößert die Arbeitszufriedenheit, das Engagement sowie die Leistungsfähigkeit im Job. Das normative Commitment hängt auch positiv mit diesen Dingen zusammen, aber nicht so sehr wie das affektive. Fortsetzungsbezogenes Commitment hängt zwar nicht mit diesen Vorteilen zusammen – es hilft aber, um vorherzusagen, ob Menschen ihre Firma verlassen oder nicht. Folglich würde ich sagen, dass bestenfalls alle drei Formen hoch sind – oder zumindest das affektive und das normative Commitment. Sonst hat man Mitarbeitende gehalten, die nicht die bestmögliche Leistung erbringen.
Was kann getan werden, um die zwei wichtigsten Arten des Commitments zu fördern – das affektive und normative?
Soziale Unterstützung ist eine ganz wichtige Variable. Inwieweit nehmen die Mitarbeitenden wahr, dass sich die Führungskraft um sie kümmert und sie bei der Zielerreichung unterstützt – und das ohne kritischen Ton oder Bedingungen. Außerdem ist es wichtig, Loyalität zu betonen und zu belohnen.
Sie sagten eingangs, es gebe neben dem Commitment noch eine andere Weise, um Mitarbeiterbindung aus der sozialpsychologischen Theorie zu betrachten. Welche ist das?
Die Identifikation mit dem Unternehmen. Das ist noch einmal etwas anderes, als mit einem Teil der Organisation oder mit ihr als Ganzes eine Bindung einzugehen. Wenn sich Beschäftigte mit dem Unternehmen identifizieren, nehmen sie das Unternehmen als Teil von sich selbst wahr und nicht als etwas anderes, mit dem sie eine Beziehung haben.
Wie kommt es zu dieser Identifikation mit dem Unternehmen?
Die Basis sozialer Identität – und davon sprechen wir hier – ist, dass man sich selbst als Teil einer Gruppe sieht, die sich von anderen abhebt und meist als besser angesehen wird. Das kann sekundenschnell geschehen oder sich mit der Zeit aufbauen. Wir kommen mit etwas in Kontakt, mit dem wir uns identifizieren möchten, weil es bereits bestehende Identitäten in uns anknipst oder eine darstellt, die wir entwickeln möchten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Im Hörsaal sind wir erstmal alle ein Teil der Universität und des Fachbereichs. Wenn ich jetzt aber hervorhebe, dass ich der Professor bin und die anderen die Studenten und dann noch davon spreche, dass es einen Unterschied zwischen Frauen und Männern gibt, werden jeweils andere Gruppenidentitäten aktiviert, die dazu führen, dass man sich von einer Identität abgrenzt und mehr an eine andere bindet. Davon können Unternehmen profitieren. Gibt es beispielsweise eine Dienstuniform, eine Mitarbeiterkarte oder gebrandete Artikel, kann die unternehmensgebundene Identität angeknipst werden. Die Unternehmensmarke und die Art und Weise, wie Werte kommuniziert und gelebt werden, spielen hier eine große Rolle.
Wer im Unternehmen kann diese Identifikation mit dem Team oder der Organisation am besten hervorrufen?
Wenn ich mir die Bindung ans Team anschaue, dann ist die unmittelbare Führungskraft der wichtigste Faktor. Der zweitwichtigste Faktor sind die Kollegen und Kolleginnen. Was die Bindung mit dem Unternehmen als Ganzes betrifft, ist das Top-Management ausschlaggebend. Die Führungskraft sollte sich als Teil des Teams verstehen und mit der Gruppe eine gemeinsame Identität entwickeln, die dann immer wieder betont und gelebt wird. Zur Identitätsbildung sind auch klassische Weihnachtsfeiern oder längere Retreats hilfreich, bei denen man sich besser kennenlernt, gemeinsam Ziele definiert und Erfolge feiert. Was die Bindung zum Unternehmen betrifft, ist das Top-Management essentiell, das Werte betont und vorlebt.
Inwiefern?
Es gibt eine neue Studie, die zeigt: Wenn Top-Manager das Wort „Ich“ in ihren Reden verwenden, dann ist die Jahresbilanz schlechter als wenn Sie überwiegend von „Wir“ sprechen. Natürlich zählen für eine gute Bindung ans Unternehmen aber auch andere Dinge wie gute Arbeitsbedingungen und sinnvolle Arbeit, weil man mit dem CEO schließlich nicht täglich interagiert.
Was ist für eine starke Mitarbeiterbindung wichtiger? Dass sich die Beschäftigten mit ihrem unmittelbaren Team oder der Organisation als Ganzes identifizieren?
Wir Menschen finden es unheimlich wichtig, dass wir dazugehören. Gleichzeitig wollen wir aber auch nicht in der Masse untergehen und unsere Individualität behalten. Deswegen fühlen wir uns in kleineren Gruppen wohler und identifizieren uns stärker damit. Wenn man sich das Engagement anschaut, dann ist die Bindung ans Team ausschlaggebend, wenn es aber um Kündigungen geht, die Bindung an die Organisation.
Wie hängen die drei Arten des Commitments und die Identifikation mit einem Unternehmen zusammen?
Beide Prozesse beeinflussen sich gegenseitig. Der Forschungsstand ist momentan noch nicht so, dass wir sagen können, was am Anfang steht. Ich persönlich tendiere dazu, dass sich erst eine Identifikation bildet und dann über die Zeit hinweg die verschiedenen Bindungsformen.
Hat die Corona-Pandemie etwas am Prozess der Mitarbeiterbindung geändert?
Die Pandemie hat verdeutlicht, wie wichtig Mitarbeiterbindung ist. In einer unserer aktuellen Studien zeigte sich, dass Mitarbeitende, die wochenlang im Homeoffice gearbeitet haben, sich weniger isoliert und ausgeschlossen fühlten, wenn sie sich mit ihrem Team stark identifizieren. Wir nehmen an, dass diese Menschen ein Gemeinschaftsgefühl haben, egal ob sie sich sehen oder nicht. Mitarbeitende, die das nicht haben, sind von der Pandemie kalt erwischt worden und haben keinen Halt im Team gefunden.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.