Die Maschine, dein Freund und Helfer: Bots unterstützen Callcentermitarbeiter, indem sie bei Kundenanfragen die passenden Antworten finden oder Mails automatisiert zuordnen. Die Softwarehersteller ziehen alle Register, um mit KI-Lösungen die Kommunikation zwischen Kunde und Dienstleister zu erleichtern, Wartezeiten zu verringern, das Benutzererlebnis zu verbessern und die Erreichbarkeit rund um die Uhr sicherzustellen. Vor allem wenig komplexe, repetitive Vorgänge lassen sich mithilfe der Maschinen erledigen. Robotic Process Automation nennt sich das, kurz: RPA. Dabei handelt es sich weniger um physische Roboter wie man sie aus Fabriken kennt, sondern um Softwareprogramme. Ein Beispiel sind Chatbots. Die Programme basieren auf KI-Technologien und Spracherkennungssoftware.
Jenseits des Hypes
Madhur Mayank Sharma, Head of Machine Learning for HR Products bei SAP, fasst das Leistungsspektrum so zusammen: „Chatbots übernehmen bereits Informationsanfragen oder führen einfache Transaktionen durch, zum Beispiel Reisebuchungen, Urlaubsanträge oder Zugriffsrechteanfragen. Oder sie leiten komplexe Serviceanfragen an einen Supportberater weiter.“ Szenarien, in denen ein tieferes Verständnis der Kundenanfragen und regelmäßige Folgemaßnahmen erforderlich seien oder die ein höheres Maß an menschlicher Interaktion und Intervention erforderten, würden hingegen weiterhin von Menschen betreut.
Gehen wir einen Schritt zurück und schauen uns die allgemeine Situation in der Callcenterbranche an: Wie in kaum einem anderen Bereich bringt der Mitarbeitermangel die Anbieter in Bedrängnis. Ganz abgesehen von Innovationsstau und ruinösen Preiskämpfen. Es ist ein Teufelskreis, der einen Betreiber nach dem anderen die Segel streichen lässt: Dumping-Preise, keine Zeit und zu wenig finanzielle Mittel, um die Mitarbeiter gut auszubilden. Die Folge sind oft eine miserable Erreichbarkeit und schlechter Kundenservice. Die Zeit ist daher reif für die intelligenten Softwarehelfer, die sowohl den Kunden als auch den Callcenteragenten das Leben erleichtern.
Seit etwa zwei Jahren spielt KI im Kundenservice wie in nahezu allen Unternehmensbereichen zunehmend eine Rolle. Das zeigen auch die aktuellen Investitionsvorhaben, siehe Abbildung. Der Technologie werden allerdings häufig Fähigkeiten angedichtet, über die sie nicht verfügt. Während Chatbots im Kundenservice anfangs als Alleskönner stark gehypt wurden, trat bald Ernüchterung ein: „Man musste die damalige Erwartungshaltung an Chatbots teilweise stark herunterfahren, denn viele Leute haben nicht bedacht, dass künstliche Intelligenz nicht nur ein Entscheidungsbaum ist“, so Marvin Troß, der als Business Development Manager für den Münchner Chatbot-Spezialisten E-bot 7 tätig ist. „Dass Bots sofort alles können, ist eine Wunschvorstellung, die jedenfalls bisher niemand erfüllen kann.“ Man müsse auch genau betrachten, wo sie wirklich einen Mehrwert bringen können. Einer dieser Bereiche sei der Customer Service oder auch die interne Kommunikation.
Auch der Blick auf die Kundenseite zeigt ein verhaltenes Bild: Laut einer aktuellen Studie bei 3500 weltweiten Kunden des US-Softwareherstellers Pegasystems sind die meisten Chatbots immer noch nicht so smart, dass sie die in sie gesteckten hohen Erwartungen erfüllen. 65 Prozent der befragten Kunden ziehen deshalb nach wie vor den Kontakt zu einem Menschen im Callcenter vor. Die Kommunikation mit einem Chatbot bricht etwa die Hälfte der Befragten vorzeitig ab.
Eine weitere Barriere sieht Markus Zimmermann: „Für den Einsatz von KI ist immer eine ausreichende Datenbasis notwendig, was oft eine Herausforderung darstellt. Die Datenbasis muss strukturiert sein, sodass die Informationen von einer Maschine verstanden und verarbeitet werden können.“ Oft seien in der Praxis aber nur unstrukturierte Daten vorhanden, was den KI-Einsatz erschwere, sagt der Senior Consultant AI beim Callcenter- Softwareexperten DTMS.
Als nächster Entwicklungsschritt in der Kundenkommunikation steht die automatisierte Bearbeitung von Anfragen per Sprachsteuerung an. Man denke etwa an die bekannten Sprachassistenten Alexa, Cortana, OK Google und Siri. Im Fachjargon wird dies als Natural Language Processing (NLP) und Natural Language Understanding (NLU) bezeichnet. „Wenn es um den Einsatz von KI in Kundenservicezentren geht, sprechen wir zurzeit noch ausschließlich von semantischen Analysen geschriebener Texte“, erläutert Marcus Bolzhauser, Inhaber eines Consultingunternehmens und Leiter der Arbeitsgruppe KI im Callcenterverband. „Echte Spracherkennung steckt noch in den Kinderschuhen und ist bestenfalls bei einigen wenigen großen Unternehmen bereits im Einsatz.“
Die Top-Erstinvestitionen 2018
und Big Data haben viele Contact
Center dieses Jahr in künstliche Intelligenz und Text-Chat investiert. Jeweils gut ein Viertel nannte diese Bereiche bei der Frage nach Erstbeschaffungen. Quelle: Contact Center Network, 2018
Individuelle Lösungen
Während Hunderte von Anbietern weltweit Lösungen anbieten, gibt es Unternehmen, die selbst an intelligenten Systemen für den Kundensupport arbeiten, zum Beispiel die Deutsche Telekom: In Österreich stellt man den Chatbot Tinka („T-Mobiles interaktive Kommunikations- Assistentin“) im Kundendialog zur Verfügung. Er ist Teil des Innovationsprojekts Eliza, das sich zum Ziel gesetzt hat, KI für eine Reihe von Telekom- Produkten und -Services zu entwickeln. Jan Hofmann verantwortet beim Bonner Konzern das Innovationsfeld KI. Sein Team entwickelt unter anderem Lösungen zur Automatisierung von Servicedialogen. Zurzeit sind Hofmann und seine Mitarbeiter zusammen mit einem weiteren Team dabei, intelligente Supportsysteme im Kundendialog einzuführen und weiterzuentwickeln, sowohl direkt für Kunden als auch für die Mitarbeiter. „Für uns ist der Umgang mit KI eine Ergänzung und Erweiterung der Fähigkeiten des Menschen“, betont er. Weil hochrepetitive, einfache Aufgaben künftig zunehmend von Robots übernommen würden, könnten deshalb Kapazitäten der Callcentermitarbeiter viel mehr für die komplexeren Tätigkeiten eingesetzt werden. „Das ist natürlich auch für die Kunden vorteilhaft, denn dort, wo eine Situation betreuungsintensiver ist, erhalten sie mehr Betreuung, und das schneller“, ergänzt sein Kollege Frank Pieper, der das andere Team führt. Pieper ist als Geschäftsbereichsleiter innerhalb des Service der Telekom, welcher über 30 000 Mitarbeiter beschäftigt, für Serviceentwicklung zuständig.
Kommunizieren die Kunden bald nur noch mit Maschinen? „Wir wollen ausdrücklich, dass der Kunde auch in Zukunft weiterhin die Möglichkeit hat, den persönlichen Dialog mit unseren Mitarbeitern zu führen“, sagt Pieper. Es werde dennoch eine zunehmende Nutzung der digitalen Kontaktkanäle erfolgen. „Wenn der Bot dann aber keine zutreffende Antwort geben kann oder der Kunde es wünscht, erfolgt die Übergabe des Anliegens an einen Agenten.“ Und die Folgen für die Mitarbeiter? Die einfachen Aufgaben würden zwar tendenziell immer weniger werden, sagt Pieper, dafür hätten die Mitarbeiter dann mehr Zeit für komplexere Fragen. „Das könnte sich an der einen oder anderen Stelle auf die Personalstruktur auswirken, wird aber eher nicht dazu führen, Callcenterstellen in größerem Umfang einzusparen.“
KI spart enorm viel Zeit ein
Ähnlich argumentiert Daniel Fallmann, Gründer und Geschäftsführer von Mindbreeze, einem Anbieter von auf KI basierenden Wissensmanagement-Systemen. Auch er ist sich sicher, dass KI den Menschen in Callcentern auf längere Sicht nicht ersetzen werde: „Unsere heutigen intelligenten Systeme wurden nicht dafür entwickelt, die menschliche Arbeit zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen. Die Tätigkeiten in einem Callcenter sind nicht zu vergleichen mit jenen im Fertigungsbereich, wo bereits heute unzählige Maschinen die Arbeit erledigen, die einst per Hand ausgeführt wurde.“ Im Callcenter könne durch KI zwar enorm viel Zeit eingespart werden, aber die menschliche Komponente werde weiterhin eine wichtige Rolle spielen.
Geht es nach dem Marktanalysten Gartner, wird in zwei Jahren ein Viertel der Kundenservices und von Support-Diensten virtuelle Kundenassistenten (VCA) integriert haben. In seinem aktuellen „Magic Quadrant“ für das Customer Engagement Center prognostiziert Gartner außerdem, dass bis zum Jahr 2022 70 Prozent aller Kundeninteraktionen mithilfe einer neuen Technologie wie Machine Learning, Chatbots oder Mobile Messaging durchgeführt werden. Gleichzeitig werde der Anteil der telefonbasierten Kundenkommunikation auf etwa zehn Prozent der gesamten Kundeninteraktion sinken. Allerdings werde bis 2022 noch in mehr als 40 Prozent der Dienstleistungsinteraktionen auch ein Callcenteragent beteiligt sein.
Die Konsequenzen für HR
Was bedeuten diese Entwicklungen für HR? In einem gemeinsamen Positionspapier zur Entscheidungsunterstützung mit KI fordern die Deutsche Forschungsgesellschaft für künstliche Intelligenz (DFKI) und der IT-Branchenverband Bitkom unter anderem dazu auf, „die Gesellschaft auf organisationale Veränderungen durch KI vorzubereiten“. Sie weisen darauf hin, dass die intelligente Automatisierung und die stärker um sich greifende Teamarbeit zwischen Menschen und Maschinen zu tiefgreifenden Veränderungen in den Unternehmen und staatlichen Institutionen führen werde.
Für HR folgt aus dieser Forderung von fundamentalen Änderungen der Organisationsstrukturen vor allem die Kompetenzentwicklung bei Mitarbeitern, um das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine erfolgreich zu gestalten. Je komplexer die Entscheidungssituation sei, so das Papier, desto stärker müssten qualitative Evaluationen mit menschlicher Urteilskraft in den Entscheidungsprozess eingebaut werden. Die Verlagerung des kognitiven Anteils an Entscheidungsprozessen in die KI erfordere deshalb eine bewusste Gestaltung, aber auch Lernprozesse für Mensch und Maschine. Inwiefern KI langfristig Personalstrukturen verändert, bleibt offen. Dem akuten Mitarbeitermangel in Callcentern könnte entgegengewirkt werden. Man käme zwar mit weniger, aber mit qualifizierteren Mitarbeitern zurecht, die dann den Kundendialog verbessern würden. Doch die Entwicklung geht noch weiter: Künftig könnte es durchaus zu einer „Inter-Bot-Kommunikation“ kommen, vermutet Franziska Dempt von der Novomind AG, einem KI-Lösungsanbieter für Callcenter, im Interview mit dem Fachmagazin „Callcenterprofi“. Das heißt: Nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Kunden werden Bots einsetzen. Kunden-Bots kommunizieren dann automatisiert mit Unternehmens- Bots. Auch wenn der Weg bis dahin noch weit ist, würde dies völlig neue Kommunikations- und Personalperspektiven eröffnen.
Ulli Pesch ist freier Journalist und schreibt regelmäßig über das Thema HR-Software in der Personalwirtschaft.